16-Jährige in Syrien:Eine Flucht mit Plan

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Elif Ö. hatte auch Kontakt zu Gruppen, die Koranausgaben verteilen. So könnte sie an eine Anwerberin geraten sein. (Foto: oh)
  • Vor sechs Wochen ist Elif Ö. aus Neuried bei München in Richtung Syrien verschwunden.
  • Dabei hatte sie offenbar Hilfe von einer Frau, an die sie gebetsartige Liebesbriefe schrieb. Wo sich die 16-Jährige jetzt befindet, ist weiter unklar.
  • Nun wird gegen sie ermittelt - auch weil der Verdacht besteht, dass sie Mitglied einer Terrororganisation ist.

Von Georg Heil, Volkmar Kabisch und Katja Riedel, München

Seit Anfang März ist die 16-jährige Elif Ö. aus Neuried verschwunden. Ihr Vater, der wochenlang in der türkisch-syrischen Grenzregion nach ihr Ausschau gehalten hatte, beendete die Suche und reiste alleine nach Hause. Alles spricht dafür, dass sich die Schülerin längst nach Syrien durchgeschlagen hat, nicht allein, sondern mithilfe einer oder mehrerer Anwerber des Islamischen Staates (IS). Nach Informationen von SZ, WDR und NDR suchen deutsche Ermittler und der Auslandsgeheimdienst BND Elif Ö. nicht nur, weil sie in die Fänge von Terroristen geraten sein könnte, sondern auch, weil sie gegen die 16-Jährige ermitteln: Wegen des Verdachts, dass sie einer terroristischen Organisation beigetreten ist. Aus Polizeikreisen ist allerdings zu hören, dass sie bei einer möglichen Rückkehr nach Deutschland keine allzu schweren Folgen zu erwarten hätte. Nur gegen sehr wenige Rückkehrer wird am Ende Anklage erhoben: Denn es fällt schwer, ihnen Straftaten nachzuweisen.

Prozesse gegen Rückkehrer beschäftigen die deutschen Gerichte und Staatsanwaltschaften zunehmend, sie stellen die Justiz vor sehr heikle Fragen. Es geht dabei unter anderem darum, inwiefern die Ausreisenden Terror-Organisationen wie dem IS oder dem syrischen Al-Qaida-Ableger Al-Nusra gedient haben. Nicht nur, wer selbst mit Waffen gekämpft hat, macht sich strafbar, sondern auch, wer die Organisationen logistisch unterstützt.

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Aus Sicherheitskreisen ist zu hören, dass bislang 61 Menschen aus Bayern gen Syrien oder Irak ausgereist sind oder ihre Ausreise konkret geplant haben, etwa 20 Rückkehrer leben im Freistaat. Nur gegen eine Handvoll wird jedoch derzeit ermittelt, noch weniger mussten sich vor einem Richter verantworten. Im Januar stand die Allgäuerin Andrea B. in München vor Gericht, die in Syrien Zweitfrau eines Dschihadisten geworden war. Gegen sie wurde eine Bewährungsstrafe verhängt - aber nicht wegen der Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung, sondern weil sie ihre beiden Kinder dem Vater entzogen hatte. Die Staatsanwaltschaft hat Revision beantragt.

Vergangene Woche hat am Oberlandesgericht der Prozess gegen einen 21-jährigen Münchner begonnen, der sich Al-Nusra angeschlossen hatte und gegen den die Bundesanwaltschaft Anklage erhoben hat wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen Terror-Organisation und Planung einer staatsgefährdenden Straftat.

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Wie viele Menschen aus Bayern ausgereist sind, um in Syrien zu kämpfen, wissen die Behörden nicht - und auch nicht, wie viele zurückgekehrt sind. Offiziell erfasst werden aus rechtlichen Gründen nur Erwachsene. Die Dunkelziffer dürfte auch deshalb hoch sein, weil manche Familien die Ausreise der meist jungen Kämpfer unterstützen und ihre Söhne, Töchter oder Ehepartner nicht als vermisst melden. Unter den aus Bayern ausgereisten Dschihadisten sind laut Innenministerium auch junge Frauen - im einstelligen Bereich, wie es heißt. Bundesweit sollen laut Verfassungsschutz etwa 70 Frauen gen Syrien ausgereist sein. Der Generalbundesanwalt führt derzeit jedoch kein einziges Verfahren gegen eine Ausgereiste; er konzentriert sich auf die Gefährder, und das sind bisher die Kämpfer, fast ausschließlich Männer.

Angeworben werden die Frauen von Dschihadisten in Deutschland und in Syrien, und so könnte es auch bei Elif Ö. passiert sein. Sie bewegte sich nicht nur in Internetforen und WhatsApp-Gruppen, sondern hatte auch Kontakt zu Islamisten, die an "Lies!"-Ständen kostenlose Koran-Übersetzungen verteilen. Dahinter stehen der radikale Prediger Ibrahim Abou-Nagie und seine Organisation "Die wahre Religion", die an jeden deutschen Haushalt einen Koran verteilen will. Auch in München gibt es diese Stände: jeden Samstag, mal am Stachus, mal in der Neuhauser Straße, mal am Einkaufszentrum Pep in Neuperlach.

Regeln zu Kleidung und Verboten mit Leuchtstift markiert

Kontakt zu diesen Ständen hatte auch Elif Ö. Unter den vielen Büchern, die sie vor ihrem Verschwinden studiert und in denen sie mit bunten Leuchtstiften Regeln zu Kleidung, Geboten und Verboten angestrichen hat, finden sich auch solche, die zu islamistischen Verlagen führen und an eben jene Lies-Stände. Über sie könnte Ö. womöglich auch Kontakt zu einer Anwerberin bekommen haben, an die sie gebetsartige Liebesbriefe schrieb, die ihre Eltern im Kinderzimmer fanden. Es ist davon auszugehen, dass die Frau Elif Ö.s Ausreise unterstützte, womöglich auch finanziell.

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Ö.s Reise gen Syrien weist zudem typische Elemente auf, die Ermittler aus Anleitungen kennen, die im Internet kursieren. Diese sehen genaue Ablaufpläne vor, wie die Jugendlichen aus ihren Familien und Freundeskreisen verschwinden. Dazu gehört es, Handykarten mehrfach zu wechseln und zu zerstören, Hin- und Rückflugtickets in die Türkei sowie Hotelzimmer zu buchen, gefälschte Einverständniserklärungen der Eltern vorzubereiten und sich auf der Reise nicht religiös, sondern betont westlich zu kleiden, um nicht aufzufallen. Auch Elif Ö. soll das befolgt haben, vor der Passkontrolle aber sehr nervös gewirkt haben, wie ein Augenzeuge berichtete. Dieser hatte im Flugzeug nach Istanbul nur eine Reihe vor dem Mädchen gesessen und es auf Fotos wiedererkannt - ein normaler Teenager, so habe er sie gesehen.

© SZ vom 15.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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