Umgang mit der eigenen Schwäche:"Fehler sind unvermeidbar - und spannend!"

Carol Dweck

Psychologin Carol Dweck

(Foto: oH)

Was lässt sich im Silicon Valley lernen? Das Scheitern. An kaum einem anderen Ort verbindet man Fehler so stark mit positiven Gefühlen. Auch an der Elite-Universität Stanford im Herzen des kalifornischen Tech-Landstrichs wird zu unserem Umgang mit Fehlern geforscht. Allen voran Psychologin Carolin Dweck, 68. Die renommierte Professorin, die lange an der Columbia University in New York gelehrt hat, untersucht seit Jahrzehnten die Einstellung von Kindern, Erwachsenen und Firmen zum Scheitern.

Von Johannes Kuhn, Palo Alto

SZ.de: Deutschland hat eine Kultur, in der Fehler nicht gerne gesehen werden. Ein Fehler?

Carol Dweck: Absolut. Früher hat sich die Welt nur langsam verändert. Wenn Menschen Fachkönnen und Gewohnheiten erlernt hatten, konnten sie fehlerfrei durchs Leben kommen. Inzwischen wandelt sich alles so unglaublich schnell, dass die Welt Experimentierfreude, Innovation, die Lust aufs Ausprobieren belohnt. Doch wer genau das versucht, macht dabei natürlich Fehler.

Aber das Gefühl, einen Fehler gemacht zu haben, ist furchtbar unangenehm.

Wir versuchen, den Menschen eine andere Einstellung zu vermitteln - ob Kindern oder Unternehmensgründern. Der Leitspruch des Silicon Valley ist nicht umsonst "Scheitere früh, scheitere oft, damit du schneller etwas erreichst". Fehler sind unvermeidbar - und unglaublich interessant, weil sie dich langfristig voranbringen.

Legen wir in der Erziehung also zu viel Wert darauf, Kinder für ihre Erfolge zu loben?

Es kommt darauf an, was Sie loben: Wenn Sie Ihrem Kind sagen, dass es schlau ist und Talent hat, kann das ihm durchaus schaden - es denkt, dass diese Eigenschaften entscheidend sind und geht auf Nummer sicher, um nur in Situationen zu geraten, in denen es einen schlauen Eindruck hinterlassen kann. Das führt dazu, dass es bei Schwierigkeiten weniger Ausdauer an den Tag legt. Loben Sie das Kind jedoch für den Prozess, für die Anstrengung, die Strategie, die Konzentration, wird es die Angst vor Herausforderungen und Schwierigkeiten ablegen. Im Falle des Scheiterns kommt es sich dann nicht gedemütigt oder untalentiert vor, sondern überlegt sich, wie es stattdessen vorgehen muss.

Wie sehr prägt uns die Denkweise, die wir in unserer Kindheit annehmen?

Alles lässt sich ändern, aber der Einfluss der Erziehung ist immens. Es gibt zwei Selbstbilder, die unsere Haltung prägen. Das eine nenne ich "statisch" - jemand glaubt, dass Fähigkeiten und Talent schon feststehen. Du hast sie, und das war es. Das Gegenteil nenne ich "dynamisch", Menschen sind überzeugt davon, dass sich Fähigkeiten entwickeln lassen. Durch harte Arbeit, Strategien, mit Hilfe von anderen. Wir haben jüngst in einer Studie herausgefunden, dass sich aus dem Umgang von Müttern mit ihren Kleinkindern das Selbstbild ableiten lässt, das diese mit fünf von sich haben - und das sagt wiederum die Leistungen in Rechnen und Lesen in der zweiten Klasse voraus.

Im Berufsleben spielen Mitarbeiter mit außergewöhnlichen Fähigkeiten aber eine zentrale Rolle - die Personalabteilungen fahnden regelrecht nach ihnen.

Menschen haben unterschiedliche Fähigkeiten, aber man weiß nicht, was davon gegeben und was erarbeitet worden ist. Wir haben große börsennotierte Firmen untersucht und es war deutlich sichtbar, ob ein Unternehmen an das statische Konzept von Talent geglaubt hat oder an die dynamische Entwicklung seiner Mitarbeiter. Ein interner Konsens, dass sich jeder verbessern kann, führte zu einer größeren Bindung, dem Gefühl, ernst und mitgenommen zu werden.

Und Firmen mit statischer Haltung?

Die hatten intern eine geringere Glaubwürdigkeit, Bekenntnisse zur Innovation wurden häufig als Lippenbekenntnisse wahrgenommen, die Angst vor Fehlern war groß. Statische Firmen sagen immer "Wir brauchen gute Mitarbeiter, wir müssen gute Mitarbeiter halten", aber in der Praxis müssen sie nach einiger Zeit häufig feststellen, dass diese Mitarbeiter dann ihre Möglichkeiten nicht ausschöpfen.

"Fehler gehören zum Lernprozess"

Wie können Personalabteilungen Mitarbeiter finden, die ein dynamisches Selbstbild haben?

Ich habe einmal mit einem Profi-Baseballteam zusammengearbeitet. Wir haben neue Spieler zu ihrer Selbstwahrnehmung befragt. Sprachen sie eher über Fähigkeiten oder über hartes Training? Suchten sie für ihre größten Fehler die Verantwortung bei sich, oder bei anderen? Wir wollten von neuen Spielern wissen, was sie nun in der Profi-Liga ändern mussten. Manche erklärten, dass sie sich an den lauten Jubel der Fans gewöhnen müssen, andere sagten, sie müssten womöglich alles ändern, um mitzuhalten. Ich darf das Team nicht nennen, aber es war sehr erfolgreich.

Eine Firma, in der sich alle Mitarbeiter Fehler verzeihen und sich Raum geben, um zu wachsen. Das klingt nett, aber in Wahrheit herrscht Konkurrenzdruck, es geht um Posten, Chefs müssen Leistungen bewerten.

Am Ende geht es bei Unternehmen natürlich immer um Resultate, aber die Fähigkeit zum Teamwork, Brainstorming, das Teilen von Ideen kann eine Firma messbar voranbringen. Ich habe einmal mit einem großen Tech-Konzern aus dem Silicon Valley zusammengearbeitet, in dem eine sehr statische Haltung herrschte. Das Idealbild des "kreativen Genies" hatte dazu geführt, dass von Mitarbeitern erwartet wurde, nur brillante Sachen zu sagen. Ich schlug dem Team, das ich beriet, vor: Beginnt eure Meetings damit, dass jeder am Tisch davon erzählt, was ihm gerade Mühe macht.

Warum das?

Dadurch konnten sie sich von der Vorstellung lösen, dass jeder kleine Schritt zu einer Idee gleich brillant und unangreifbar sein musste. Es entstand eine neue Form der Zusammenarbeit. Das führte sogar dazu, dass es fast seltsam schien, wenn jemand nicht mit irgendwas zu kämpfen hatte.

Ist der Unterschied zwischen "statisch" und "dynamisch" nicht einfach der zwischen einem Pessimisten und einem Optimisten?

Beide können Optimisten sein, gerade bevor sie eine Aufgabe angehen. Sie reagieren allerdings unterschiedlich auf Rückschläge, mit einer dynamischen Haltung können sie ihren Optimismus eher behalten. Der Unterschied zwischen statisch und dynamisch kann übrigens auch je nach Gebiet wechseln - sie können zu ihrer Intelligenz eine dynamische Haltung haben, aber die Qualitäten ihrer Kollegen statisch wahrnehmen.

Wie finde ich meine Haltung heraus und ändere sie vielleicht sogar?

Hören Sie darauf, was Ihre innere Stimme erzählt. Sagt sie Sätze wie "Ich bin nicht gut genug, der Kollege da drüben kann das viel besser" oder "Wenn ich scheitere, merkt jeder, dass ich ein Hochstapler bin"? Hören Sie einfach ein paar Wochen zu, und fangen Sie dann an, ihr etwas zu entgegnen. Wer nichts versucht, wird nicht besser, und Fehler gehören zum Lernprozess. Und es gibt fast immer Hilfe - vielleicht sogar von dem Kollegen da drüben, den wir für so viel besser halten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: