Hannover 96:Vorzeitiges Ende der Visionen

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Tayfun Korkut wird als Coach von Hannover 96 entlassen - bis zum Ende der Saison übernimmt nun Michael Frontzeck.

Von Jörg Marwedel, Hannover/Hamburg

Es ist noch keine drei Monate her, da verkündete Präsident Martin Kind große Visionen. Mit Chefcoach Tayfun Korkut wolle er den nächsten Schritt machen und mit Hannover 96 wieder in der Europa League mitspielen. 24 Punkte hatte der Klub in der Hinrunde gesammelt, nur drei Punkte fehlten zu Platz vier, mit dem man sich für die Champions League qualifizieren kann. Nun ist auch diese Idee mit Kinds erklärtem Lieblingstrainer hinfällig geworden. Am Montag hat Korkut das Training nicht mehr leiten dürfen. Er wurde nach zuletzt 13 sieglosen Spielen und nur fünf Punkten in der Rückrunde beurlaubt und verabschiedete sich "deutlich emotional", so Pressechef Alex Jacob, von der Mannschaft.

Unternehmer Kind hat seine vor zehn Tagen ausgesprochene Arbeitsplatzgarantie für Korkut nach dem 0:4 in Leverkusen zurückgezogen. Aus Panik, dass der von ihm seit fast 18 Jahren (mit kurzer Unterbrechung) geführte Klub in Liga zwei verschwinden könnte. 96 hat nur noch zwei Punkte mehr auf dem Konto als der Tabellensechzehnte SC Paderborn. Es geisterten am Montag so viele Namen durch Hannover, dass man mehr als die halbe Bundesliga mit neuen Übungsleitern hätte versorgen können. Es begann mit Interimslösungen wie Daniel Stendel (A-Jugend-Coach von 96), Lorenz-Günther Köstner (zuletzt Düsseldorf) und Peter Neururer (zuletzt Bochum), der am Dienstag tatsächlich auch zu Verhandlungen in Hannover war, und setzte sich mit Korkuts Vorgänger Mirko Slomka, Lothar Matthäus, Stefan Effenberg, Jens Keller, Markus Babbel, Felix Magath und Volker Finke fort.

Aus nach 16 Monaten: Tayfun Korkut sammelte als Trainer von Hannover in 46 Spielen 53 Punkte - blieb zuletzt aber 13 Mal ohne Sieg. (Foto: Daniel Roland/AFP)

Um kurz vor 20 Uhr gab es dann die endgültige Nachricht: Der Klub verpflichtet Michael Frontzeck. Der 51 Jahre alte Fußballlehrer und ehemalige Nationalspieler erhält einen Vertrag bis zum Ende der laufenden Saison. "Michael Frontzeck hat als neuer Cheftrainer unser volles Vertrauen, die Mannschaft zum Klassenerhalt zu führen. Es geht in den verbleibenden Spielen ausschließlich um das Ziel, dass Hannover 96 in der Bundesliga bleibt", erklärte Präsident Kind. "Michael Frontzeck kann sofort einsteigen, um die Mannschaft ab Dienstagmorgen auf das wichtige Heimspiel am Samstag gegen Hoffenheim vorzubereiten. Er kennt die Bundesliga und verfügt über vielfältige Erfahrungen. Ich bin davon überzeugt, dass er mit der Mannschaft die Saison erfolgreich beendet", sagte Sportdirektor Dirk Dufner.

Für den Neuaufbau in der kommenden Saison gibt es aber auch andere Kandidaten: Jos Luhukay (zuletzt Hertha BSC) und André Breitenreiter (Paderborn). Von Breitenreiter, einem gebürtigen Hannoveraner, soll Kind ebenso viel halten wie dem von ihm geschätzten, aber doch geschassten Korkut. Als vor 16 Monaten ein Nachfolger für Slomka gesucht wurde, erschien Breitenreiter Kind noch als zu unerfahren, was sich aber geändert hat. Für Luhukay spricht, dass er bereits mit Andreas Rettig beim FC Augsburg gut zusammengearbeitet hat. Rettig, vor kurzem auf eigenen Wunsch als Geschäftsführer der Deutschen Fußball Liga ausgeschieden, wird in Hannover als Favorit für den Manager-Posten genannt. Intern soll jedenfalls längst beschlossen sein, mit einem neuen sportlichen Chef-Duo in die kommende Saison zu gehen und auch Manager Dirk Dufner zu entlassen. Ihm wird keine gute Transfer-Bilanz vorgehalten. Die Beurlaubung musste er Korkut aber noch mitteilen.

Woran aber ist Tayfun Korkut, 41, gescheitert? Der in Stuttgart geborene Deutsch-Türke hatte im Trainerbereich nur als Co-Trainer der türkischen Nationalmannschaft Profi-Erfahrungen gesammelt, ansonsten Nachwuchsteams in Stuttgart und Hoffenheim gecoacht. Kind war aber derart begeistert, dass er sich eine ganze Korkut-Ära vorstellen konnte. Als 96 im vergangenen April schon einmal tabellarisch in einer Notlage war, hat Korkut die Mannschaft souverän in Sicherheit gebracht - in den letzten fünf Spieltagen.

Vor den jetzt folgenden fünf Spieltagen hatte Kind dieses Vertrauen nicht mehr. Das Umfeld des Klubs warf Korkut Sturheit und eine Sicherheitstaktik vor, die wenig ansehnlich war und zuletzt kaum noch Punkte brachte. An einigen unzulänglichen Profis hielt er fest, etwa an Ceyhun Gülselam oder Jimmy Briand. Andere, wie den verdienten Jan Schlaudraff, ließ er links liegen. Der Rückzug der Ultra-Fans, seit Saisonbeginn wegen Auseinandersetzungen mit der Klubführung nicht mehr in der Arena, erschwerte die Aufgabe zusätzlich. Die Stimmung bei den Heimspielen war mies, die Profis fühlten sich ungenügend unterstützt. Gegen Hoffenheim werden diese Fans erstmals wieder im Stadion sein. Korkut wird es nicht mehr helfen, vielleicht aber seinem Nachfolger.

© SZ vom 21.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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