Fehlerhaftes Sturmgewehr:De Maizière wusste seit Jahren über G36-Probleme Bescheid

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Im nicht G36-tauglichen Kampfgebiet: Der damalige Verteidigungsminister Thomas de Maizière vor einem Hubschrauberflug über Afghanistan. (Foto: Michael Kappeler/dpa)
  • Interne Dokumente aus dem Verteidigungsministerium, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen, zeigen, dass der damalige Minister Thomas de Maizière (CDU) und seine Staatssekretäre von den Problemen des Sturmgewehrs G36 wussten.
  • Auf den unteren Ebenen des Ministeriums sah man das Gewehr schon damals zunächst kritisch. Die Einschätzung wurde jedoch kurze Zeit später revidiert und die Waffe als "grundsätzlich tauglich" bewertet.
  • Schon 2012 kam zur Sprache, dass das Gewehr problematisch sein könnte, wenn sich das Einsatzprofil der Bundeswehr ändere.

Von Christoph Hickmann, Berlin

Bereits vor drei Jahren war die damalige Spitze des Verteidigungsministeriums über die Probleme mit dem Sturmgewehr G36 im Bilde. Aus internen Dokumenten, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen, geht hervor, dass der damalige Minister Thomas de Maizière (CDU) und seine Staatssekretäre im Frühjahr 2012 einen wesentlichen Teil jenes Kenntnisstands hatten, den eine neue Untersuchung nun nochmals bestätigt hat und den das Ministerium öffentlich lange Zeit relativierte.

Schon damals wurde überlegt, ob das Gewehr noch die Anforderungen der Truppe erfülle. Zunächst wollte man abwarten, bis die Ergebnisse laufender Tests vorlägen, auf die später noch weitere Untersuchungen folgten. Aus den Dokumenten geht aber auch hervor, dass die zunächst kritische Einschätzung, was die Probleme für den Einsatz bedeuten könnten, auf den unteren Ebenen des Ministeriums in kurzer Zeit geändert wurde. Während zunächst noch die Frage aufgeworfen wurde, ob das Gewehr für den Einsatz geeignet sei, hieß es wenige Wochen später, es werde als "grundsätzlich tauglich" bewertet.

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So wird in einer von de Maizière abgezeichneten Vorlage von Ende März 2012 zunächst geschildert, dass es wegen eines verschmorten Handschutzes an zwei G36 Ende 2011 Tests unter anderem an der Wehrtechnischen Dienststelle 91 gegeben habe (was seit langem öffentlich bekannt ist). Dabei habe sich herausgestellt, "dass bei heißgeschossener Waffe innerhalb zulässiger Schußzahlen Treffbildablagen ermittelt wurden, die so bisher nicht bekannt waren, aus dem Einsatz nicht gemeldet wurden, aber dennoch aus militärischer Sicht einen erheblichen Mangel darstellen und von erheblicher Einsatzrelevanz sind".

Weiter heißt es in der Vorlage aus der Rüstungsabteilung des Ministeriums, man habe festgestellt, "dass nach schnellem Verschuss von 150 Schuss Gefechtsmunition Ziele in Entfernungen über 200 m nicht mehr zuverlässig getroffen werden können". Als Konsequenz solle man unter anderem "weiterführende Handlungsanweisungen für die Einsatzkontingente" prüfen "und/oder eine Produktänderung". Zugleich heißt es allerdings: Die "Spezifikation des G36, die auf Grundlage der taktischen Forderung vom Oktober 1996 festgelegt wurde", werde "eingehalten".

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Auf diesen Punkt beruft sich auch der Hersteller Heckler & Koch: Man habe geliefert, was vereinbart war. Dies wird auch von der heutigen Spitze des Verteidigungsministeriums nicht bestritten. Hintergrund ist, dass man in den Neunzigerjahren von anderen Gefechtssituationen ausging, als sie dann in Afghanistan eintraten. In diese Richtung zielt auch eine Einschätzung, die der damalige Staatssekretär Stéphane Beemelmans Ende März 2012 auf die Vorlage schrieb: Das Problem scheine zu sein, dass das G36 "nicht mehr (so) zuverlässig ist wie erwartet", wenn man es "anders verwendet als vorgesehen. ("Sperrfeuer")". Dahinter stehe "dann auch die Frage der ,richtigen' Bewaffnung für Sperrfeuer, was aber kein Rüstungsproblem ist".

Darüber hinaus heißt es in der Vorlage: "Angesichts des erkennbar nicht mehr spezifikationskonformen Einsatzes des G36" solle man bewerten, ob das Gewehr vor dem Hintergrund des "heutigen Einsatzprofils die Forderungen der Truppe noch erfüllen kann". Bereits damals war die Spitze des Ministeriums also für die Frage sensibilisiert, was die Präzisionsprobleme der Waffe für den Einsatz bedeuten könnten.

Der damalige Verteidigungs- und heutige Innenminister de Maizière verlangte in einer Anmerkung auf dem Dokument eine neue Vorlage mitsamt einer Chronologie der Ereignisse. Diese Vorlage erreichte ihn Mitte April 2012 und stammte, wie von Beemelmans mit dem Vermerk "kein Rüstungsproblem" nahegelegt, aus der Abteilung "Führung Streitkräfte". In der neuen Vorlage heißt es: "Das Sturmgewehr G36 wird als grundsätzlich tauglich für die Erfordernisse der laufenden Einsätze bewertet. Einschränkungen der Treffleistung bei heißgeschossener Waffe sind Gegenstand von laufenden Untersuchungen."

Die "Aufweitung des Streukreises" sei "ein physikalischer Vorgang, der grundsätzlich bei allen Waffen nach extremen Beschusszyklen/hoher Schusszahl und/oder extremen Umgebungstemperaturen auftritt". Die Dienstvorschrift lege daher fest, dass nach 150 Schuss Dauerfeuer das Rohr "auf Handwärme" abkühlen müsse, bevor weitergeschossen werden dürfe. In der "heutigen Einsatzrealität" sei jedoch "nicht auszuschließen, dass in bestimmten Gefechtssituationen eine übermäßige Rohrerhitzung auftritt und unbemerkt bleibt".

Dennoch lägen "keine belastbaren Erkenntnisse" vor, die Anlass gäben, "die Bewertung des Sturmgewehrs G36 als grundsätzlich einsatztauglich zu revidieren", heißt es in der Vorlage. Eine "belastbare Aussage" zur Einsatzfähigkeit der Waffe könne man erst treffen, wenn weitere Untersuchungen abgeschlossen seien.

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Eine von de Maizières Nachfolgerin Ursula von der Leyen (ebenfalls CDU) in Auftrag gegebene Untersuchung hatte zuletzt erhebliche Präzisionsprobleme des Gewehrs festgestellt und damit jene Erkenntnis bestätigt, die das Ministerium lange als nicht endgültig gesichert dargestellt hatte. Der Hersteller Heckler & Koch zweifelte am Dienstag die Methodik der Tests an. So hätten die Prüfer "Beschusszyklen und Auswertungsmethoden offensichtlich willkürlich geändert" und das G36 mit einem leichten Maschinengewehr verglichen. Dies sei "ungefähr so, als wenn man 'nachweisen' würde, dass ein PS-starker handelsüblicher Pkw 'viel zu langsam' sei, weil er ein Rennen gegen ein Formel-1-Auto" verliere, heißt es in einer Stellungnahme.

© SZ vom 22.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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