Römerberggespräche:Wir sind nicht mit Mördern im Bunde

Nicht zum ersten Mal war der Islam Thema bei den Römerberggesprächen in Frankfurt. In diesem Jahr trat an die Stelle der Kulturkampf-Rhetorik das Bemühen um semantische Abrüstung.

Von Volker Breidecker

Es ist schon "ziemlich anstrengend", seufzte die im westfälischen Ahlen geborene Religionspädagogin Lamya Kaddor, "immerzu sagen zu müssen, dass man Muslim und Deutscher" sei. Denn wo immer über Islam und über Muslime in Deutschland debattiert wird, häufen sich die Gretchenfragen, müssen gläubige Muslime sich des Generalverdachts erwehren, mit Mördern im Bunde zu sein. Hat sie, oder hat sie nichts mit dem Terror der Islamisten zu tun - die Religion der Muslime? Ob der Islam "Partner oder Gegner unserer Zivilgesellschaft?" sei, lautete die Leitfrage auch bei den Frankfurter Römerberggesprächen am Wochenende.

Zum Glück wurde hier nicht mehr pauschal über "die" Muslime gesprochen

Wenn man diesen ältesten Debattierclub der Republik, zumal im Blick auf die stets hohe Erregungsbereitschaft seines Publikums, als Gradmesser für den Zustand unserer - Muslime eingeschlossen - "Bürgergesellschaft" nehmen kann, dann ist diese auf dem Weg, den Reifetest in puncto Aufklärungsbereitschaft und Toleranz zu bestehen. Vor wenigen Jahren, als das Thema Islam hier schon einmal auf der Agenda der Römerberggespräche stand, wurde noch verbal zum Kulturkampf aufgerüstet: Selbsternannte Religionsexperten schlugen sich unter frenetischem Applaus des Publikums die Koransuren und Bibelstellen um die Ohren. Diesmal aber war semantische Abrüstung angesagt, und folgte man allein den Vorträgen der Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer und des Evangelischen Theologen Friedrich Wilhelm Graf, so wünschte man sich, überall in diesem Land werde, statt pauschal über "den Islam" und "die Muslime", einmal so besonnen, kompetent und differenziert gesprochen wie hier, im überfüllten Frankfurter Versammlungssaal.

Graf erläuterte, warum alle Religionen - und nicht nur die monotheistischen - schon aufgrund ihrer autoritativen Ordnungsstrukturen gewaltanfällig sind, oder es zumindest waren, ehe sie sich in moderne, rechtsstaatliche Verhältnisse einfügten. In Deutschland sei dies erst spät erfolgt, weshalb es keinen Grund dafür gebe, dass Leute, die die von ihnen behaupteten Werte noch gar nicht so lange verinnerlicht haben, mit dem Zeigefinger auf Muslime deuteten. Zumal sei die Bereitschaft, Normabweichungen und Ambivalenzen zu tolerieren, im Islam historisch stets stärker ausgeprägt gewesen als im Protestantismus. Die Freiburger Islamwissenschaftlerin Johanna Pink zeigte, welch differenzierte Vielfalt der Auslegung der Koran bei genauer Lektüre zulässt und gab frappierende Beispiele für virulente Streitfragen um Sex und Gender. Es ließen sich im Koran auch positive Antworten auf die Frage nach den Menschenrechtsfragen finden. Über die säkularen Entwicklungstendenzen islamischer Gesellschaften sprach Gudrun Krämer. Wo sie zu keiner Liberalisierung führten, sei dies den autoritären politischen Verhältnissen und nationalistischen Eliten geschuldet.

Lamya Kaddor zufolge sind die Chancen für die Entwicklung hin zu einem aufgeklärten, toleranten und weltoffenen Verständnis des Islam in den liberalen westlichen Einwandergesellschaften - wachsend mit jeder neuen Generation - um so größer. Mit der Dynamik fataler Gegenbewegungen wie dem radikalen Salafismus, der unter orientierungslosen Jugendlichen Rekrutierungsarbeiten für den IS leiste, ist sie als Religionslehrerin unmittelbar konfrontiert. Das gilt auch für den Pädagogen Thomas Mücke, der aus der Praxis der Präventionsarbeit mit gefährdeten Jugendlichen berichtete.

Mit der Reform-Muslimin Khola Maryam Hübsch und dem Journalisten Eren Güvercin, Autor des Buchs "Neo-Moslems. Porträt einer deutschen Generation" (2012), war Kaddor sich darüber einig, dass der IS mit Religion und Islam wenig zu tun habe. Die Führungskader - weiß Hübsch als Tochter eines einst prominenten APO-Aktivisten - pflegten ein rein instrumentelles Verhältnis zum Islam. Die Wirkung von IS in Deutschland habe die Dynamik einer Jugendprotestbewegung mit vergleichbaren Verwicklungen wie einstmals zur RAF.

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