Spreebogen:Abschied nach New York

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Gegensätze ziehen sich an - unbedingt. Gerade wenn ein Wirtschaftsexperte und ein Politikmensch in einem Büro zusammenhocken. Zwei, die vom jeweils anderen Fachgebiet nix verstehen und einander doch mögen. Na so was.

Von Nico Fried

Neulich ist mir klar geworden, dass mein Kollege und Stellvertreter Claus Hulverscheidt schon in wenigen Tagen das Berliner Büro der SZ verlassen wird. Er geht als Korrespondent nach New York. Ich werde nie als Korrespondent nach New York gehen, weil das eine Stelle des Wirtschaftsressorts ist, und ich verstehe nichts von Wirtschaft.

Ich bin mir nicht sicher, ob Claus Hulverscheidt etwas von Wirtschaft versteht. Er schreibt halt in dieser Zeitung darüber. Aber er ist auch Borussia-Dortmund-Fan, versteht also nachweislich nichts von Fußball, und trotzdem redet er dauernd davon. Fest steht, dass die Welt eine Finanzkrise nach der anderen erlebt hat, seitdem Hulverscheidt zu dieser Zeitung kam. Vielleicht ist es auch eine einzige fortwährende Finanzkrise oder eine sich selbst immer wieder neu gebärende Finanzkrise, woher soll ich das wissen, ich verstehe ja nichts davon. Wenn es besser werden sollte, nachdem Hulverscheidt in die USA ausgewandert ist, wissen wir jedenfalls, wer die Schuld trug.

Gut informiert war er ja schon meistens. Es gibt die alte Weisheit, dass Wirtschaft in der Wirtschaft gemacht wird. Auch Wirtschaftsberichterstattung wird in der Wirtschaft gemacht, jedenfalls die von Claus Hulverscheidt. Ich weiß das, weil ich seine Spesenrechnungen abzeichnen durfte. Interessanterweise haben Hulverscheidts Informanten meistens wenig gegessen, aber häufig viel getrunken. Offensichtlich bedurfte es der Verabreichung einer gewissen Anschubflüssigkeit, um bestimmte Quellen so richtig zum Sprudeln zu bringen. Manch ein Finanzexperte aus dem Bundestag bräuchte eine Leiter, wenn er alle Kölsch-Gläser aufeinanderstapeln wollte, die an einem Abend mit Hulverscheidt geleert wurden.

Gelegentlich haben Claus Hulverscheidt und ich auch gemeinsam Artikel geschrieben, besonders gerne über Wolfgang Schäuble. Hulverscheidt war für die Fakten zuständig, ich fürs Geschwurbel. Einmal kamen wir mit so einem Text unter die letzten ichweißnichtwievielten beim Henri-Nannen-Preis, einer renommierten Auszeichnung für Journalisten. Weil die Geschichte keine Reportage war, nahm uns die Jury in die Kategorie Essay. Das war ungefähr so, als würde man bei einem Kochwettbewerb einen Toast Hawaii mit Knäckebrot zulassen. Wir haben den Preis am Ende nicht gewonnen, uns aber gegenseitig fortan voller Ehrfurcht als Essayisten angesprochen.

Hulverscheidt kommt aus Wermelskirchen, also vom Dorf. Ich komme aus Ulm, also aus der Großstadt. Er hält zu Dortmund, ich zu Bayern. Er hat zwei Söhne, ich zwei Töchter. Er Bier, ich Wein. Er Metallica, ich Mozart. Er Fahrrad, ich Auto. Ich groß und schlank, er klein und, äh, sportlich. Nichts sprach dafür, dass wir uns verstehen könnten. Und dann wurden wir doch wie Ballauf und Schenk oder Laurel und Hardy. Blindes Verständnis. Unverbrüchliche Loyalität. Ein super Kollege.

Mein ehemaliger Büroleiter, der heute mein Chefredakteur ist, entsandte vor einiger Zeit zur Vorsicht noch einen seriösen Journalisten in die Büroleitung. Seither bilden wir zu dritt ein perfektes Duo. Jetzt geht Hulverscheidt trotzdem.

Alles Gute, Verräter!

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