De Maizière in der BND-Affäre:Ein Mann, der gerne nichts weiß

De Maizière in der BND-Affäre: Wer etwas wusste, der leugnet, dass er davon wusste: Innenminister de Maizière.

Wer etwas wusste, der leugnet, dass er davon wusste: Innenminister de Maizière.

(Foto: AP)

In der BND-Affäre wiegelt Innenminister Thomas de Maizière ab. Er hat das als Verteidigungsminister schon so gemacht. Was muss eigentlich passieren, bis etwas passiert?

Kommentar von Heribert Prantl

Es ist schon sechzig Jahre her. Auch damals ging es um einen Geheimdienstskandal, es war einer der ersten dieser Skandale in der damals noch jungen Republik. In einer großen Bundestagsrede stellte der FDP-Abgeordnete Reinhold Maier, der zuvor erster Ministerpräsident des neuen Bundeslandes Baden-Württemberg gewesen war, die geflügelte Frage: "Was muss in der Bundesrepublik eigentlich passieren, bis bei irgendeinem Verantwortlichen etwas passiert?"

Die Frage stellt man sich nach sechzig Jahren immer noch - im aktuellen BND-Skandal in besonderer Weise. Der Bundesnachrichtendienst hat illegal und im Auftrag des US-Geheimdienstes NSA spioniert - und keiner will dafür verantwortlich sein.

Wenn es um Fehler, Affären und Skandale von Geheimdiensten geht, ist seit jeher ein Phänomen zu beobachten, das Verantwortungsdiffusion heißt: Niemand weiß angeblich so richtig, wie und warum es zum Skandal kam und wer wann von ihm wusste. Und wer etwas davon wusste, der leugnet - wie Innenminister de Maizière soeben - dass er davon wusste.

Der BND kuschelt mit der NSA, das Kanzleramt mit dem BND

Das ist ein unerträglicher Zustand: Die Übernahme von Verantwortung gehört zum Wesen der Demokratie. Wenn niemand verantwortlich ist, ist zumindest das ein Indiz für eine miserable Organisation. Dann greift das, was man politische Verantwortung nennt: eine Haftung des zuständigen Ministers, selbst wenn er in einen Skandal nicht persönlich verstrickt war.

Der Bundesnachrichtendienst hat, im Auftrag des US-Geheimdienstes, aber ohne diesen Auftrag genau zu prüfen, mit seinen umfassenden Abhör-Mitteln und Hacker-Fähigkeiten deutsche und europäische Rüstungsfirmen und Sicherheitspolitiker ausspioniert.

Der BND hat angeblich nicht gemerkt, dass ihm die Amerikaner Suchwörter geliefert hatten, nach denen er nicht suchen durfte. Er hat sich als willfähriger Handlanger missbrauchen lassen. Wenn das wirklich keiner gemerkt hat, ist auch das wirklich gruselig - weil man sich dann fragen kann, welche weiteren fragwürdigen Aktionen verantwortungslos stattfinden.

Der deutsche Geheimdienst BND kuschelt mit dem US-Geheimdienst NSA. Man nennt das Kooperation, und das ist so in der Geheimdienstwelt befreundeter Staaten. Umso wichtiger sind gute interne und externe Kontrollsysteme. Das Bundeskanzleramt ist die Fachaufsicht für den BND. Fachaufsicht ist etwas anderes als Kuschelei. Die Fachaufsicht muss, wenn sich der BND der Aufsicht entzieht, zu personellen Konsequenzen greifen.

Minister mussten schon wegen weniger zurücktreten

Offenbar hat der Bundesnachrichtendienst sowohl seine Informationspflichten dem Bundeskanzleramt gegenüber, als auch seine Informationspflichten gegenüber den beiden Geheimdienst-Kontrollgremien verletzt. Die Verletzung dieser Informationspflichten sollte künftig als Dienstvergehen bestraft werden. Ein Geheimdienstchef, der Kontrollgremien missachtet, riskiert dann seine Entlassung.

Wenn Innenminister Thomas de Maizière Kenntnis von den illegalen Spionierereien hatte, dies aber etwa bei einer parlamentarischen Anfrage der Linken am 14. April leugnete - dann ist das kein Aprilscherz. Es mussten schon Minister wegen weniger zurücktreten.

Was muss eigentlich passieren, bis etwas passiert?

Die Abwimmelei des Innenministers de Maizière im Jahr 2015 erinnert an die Abwimmelei des Verteidigungsminister de Maizière im Jahr 2013. Damals behauptete der Minister, er sei über das Scheitern und die Einstellung des Drohnen-Projekts erst zu einem sehr, sehr späten Zeitpunkt informiert worden. Der Minister ist offenbar ein Mann, der gern nichts weiß.

Was muss eigentlich passieren, bis etwas passiert? Es ist nicht geheim, dass die Kontrolle der Geheimdienste nicht funktioniert. Die beiden parlamentarischen Kontrollorgane (die G-10-Kommission und das Parlamentarische Kontrollgremium) sind zu klein und zu schwach. Neun Mitglieder hat das Kontrollgremium, vier Mitglieder die G-10-Kommission. Um eine ernsthafte demokratische Kontrolle handelt es sich nicht; die ist - bei allem guten Willen der Kontrolleure - in dieser Zusammensetzung und bei diesem Zuschnitt objektiv unmöglich.

Ohne gute Kontrolle bleibt aber ein Geheimdienst ein Fremdkörper in der Demokratie. Weil die Welt nicht so friedlich ist, wie man sie sich wünschte, und weil sich auch die Demokratie die Welt nicht schöner malen kann als sie ist, braucht Deutschland einen Auslandsgeheimdienst (beim Inlandsgeheimdienst, dem Verfassungsschutz, kann man mit Fug und Recht daran zweifeln; dessen Aufgabe kann auch die Polizei übernehmen). Er braucht aber so viel Kontrolle wie möglich.

Dass es diese Kontrolle nicht gibt, ist ein Skandal, der alle bisherigen Geheimdienstskandale miteinander verbindet.

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