Sick-Building-Syndrom:Fall für den Hausarzt

Sick-Building-Syndrom: Arbeits- und Umweltmediziner untersuchen, ob ein Gebäude tatsächlich krank macht.

Arbeits- und Umweltmediziner untersuchen, ob ein Gebäude tatsächlich krank macht.

(Foto: Boening/Zenit/laif)

Fühlt man sich im Büro oft krank, kann auch das Gebäude dahinterstecken. Vor allem schlechte Luft kann Symptome verursachen. Oft spielen aber auch psychologische Ursachen eine Rolle.

Von Felicitas Witte

Ist man im Büro ständig müde, hat Erkältungsbeschwerden oder kann sich schlecht konzentrieren, kann dies viele Ursachen haben. Eine Ursache könnte auch das Gebäude sein. Arbeits- und Umweltmediziner sprechen dann vom "Sick Building Syndrom" (SBS).

In einem Fall hatte eine Büroangestellte ständig das Gefühl, mit dem Kopf gleich vornüber auf die Tastatur zu fallen, so müde war sie. Die Frau hüstelte immer wieder, ihre Nase juckte, die Augen waren rot. Ohne ihren aufmerksamen Chef dächte die Angestellte vermutlich noch jetzt, sie leide unter Wintermüdigkeit. Volker Mersch-Sundermann, Direktor des Instituts für Umweltmedizin und Krankenhaushygiene an der Uni Freiburg, erinnert sich noch genau an den Anruf des Büroleiters. "Der war total engagiert und hatte gleich schon einen Verdacht: die neuen Laserdrucker". Mersch-Sundermann schickte sein Team zum Messen ins Büro und stellte kurz danach die Diagnose: "Sick Building Syndrom", hervorgerufen durch eine Kombination von mehreren Faktoren. Dazu gehörten zu viele winzige Staubpartikel in der Luft, zu hohe Temperatur, zu geringe Luftfeuchtigkeit sowie ein ständiger Luftzug durch offene Türen.

"Gebäude können tatsächlich krank machen", sagt Gerhard Wiesmüller, Professor für Hygiene und Umweltmedizin am Uni-Klinikum Aachen. "Es gibt keine Statistiken, wie häufig das ist. Wir bekommen aber regelmäßig Anfragen von Betrieben." In den Siebzigerjahren häuften sich die gesundheitlichen Probleme, die mit dem Arbeitsplatz zusammenhingen. 1983 fasste die Weltgesundheitsorganisation die Beschwerden unter dem Begriff "Sick Building Syndrom" (SBS) zusammen. Häufige Symptome sind trockene, geschuppte oder gerötete Haut, Unwohlsein, Schwindel oder Geschmacks- und Geruchsstörungen. "Solche Symptome können natürlich auch bei vielen anderen Krankheiten vorkommen", sagt Wiesmüller. "Wegweisend für ein SBS ist, dass die Beschwerden auftreten, wenn man am Arbeitsplatz ist und sich während des Feierabends, am Wochenende oder in den Ferien bessern oder verschwinden. Deshalb ist es auch so wichtig, dass ich detailliert frage und mit entsprechenden Untersuchungen andere Krankheiten ausschließe."

In klimatisierten Gebäuden gibt es mehr Beschwerden, obwohl dort die Luft oft besser ist

Ein SBS kann aus vielen Gründen auftreten: ein geringer Luftaustausch, eine zu hohe oder zu niedrige Temperatur, zu viel oder zu wenig Luftfeuchtigkeit, daneben chemische Ausdünstungen von Teppichen, Möbeln oder Wänden, Schimmelpilzbefall oder kleinste Staubpartikel. Die deutschlandweite ProKlimA-Studie fand mit Messungen in 14 großen Bürogebäuden und Untersuchungen von 4596 Beschäftigten heraus, dass Menschen in klimatisierten Büros häufiger über SBS-Beschwerden klagen - das zeigen auch große Studien aus anderen Ländern. Interessant war an der Untersuchung, dass die Luft in klimatisierten Räumen nach objektiven Kriterien aber meist sogar besser war. Die Belastung der Luft mit Schadstoffen wie flüchtigen organischen Verbindungen (VOC) oder der Befall mit Mikroorganismen war nur in Einzelfällen eine mögliche Ursache für die SBS-Beschwerden. "Die persönliche Anfälligkeit - etwa durch eine vorbestehende Allergie - sowie die Art der Tätigkeit und der Arbeitsplatz sind oft entscheidender für das Auftreten eines SBS als die Einflüsse des Bürogebäudes", sagt Wiesmüller. SBS sei komplizierter, als es auf den ersten Blick erscheine, sagt auch Hans Drexler, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Arbeits- und Umweltmedizin. "Bei SBS kommen viele Faktoren zusammen, etwa chemische, biologische, physikalische und psychologische Ursachen." Eine große Rolle spiele, dass die Betroffenen ihre Umgebung oft nicht kontrollieren könnten. "Kann ich selbst nicht bestimmen, wie warm oder wie kalt es ist, oder kann ich nicht das Fenster öffnen, fühle ich mich unwohl", sagt Drexler. Dies sei vermutlich einer der Gründe, warum bei Leuten, die zu Hause arbeiteten, SBS-Symptome selten auftreten. Auch wenn Stuhl oder Schreibtisch ergonomisch unpassend gestaltet seien, könne das Kopfschmerzen oder Unwohlsein verursachen. "Oft ist SBS aber auch ein Zeichen dafür, dass man zu viel Stress bei der Arbeit hat oder die Arbeit zu langweilig findet, sich unterbezahlt oder wenig wertgeschätzt fühlt oder gemobbt wird", sagt Drexler.

Erfahrene Ärzte könnten schnell herausfinden, was wirklich hinter den Beschwerden stecke. "Als erstes würde ich zum Hausarzt gehen, denn vielleicht steckt hinter den Beschwerden eine andere Krankheit", rät Drexler. "Wenn sich der Verdacht auf ein SBS erhärtet, geht man am besten zu einem Umwelt- oder Arbeitsmediziner. Denn man darf nicht übersehen, wenn das SBS wirklich durch Schadstoffe oder eine kaputte Klimaanlage hervorgerufen wird." Mit einer Raumluftanalyse lassen sich diverse Werte messen, etwa Luftfeuchtigkeit, Kohlendioxidgehalt, Schadstoffe oder Schimmelpilzsporen. Drexler warnt jedoch vor Übertreibungen. "Ich erlebe immer wieder, dass viele Werte gemessen werden, die gar nichts aussagen." Es sei wichtig, die Daten sinnvoll zu interpretieren. Leicht erhöhte Werte müssen noch lange keine Symptome verursachen. Menschen mit "Multiple Chemical Sensitivity" (MCS) meinen indes, bereits auf geringste Spuren von Chemikalien überempfindlich zu reagieren. "Wissenschaftlich ist aber nicht bewiesen, dass es MCS im Sinne einer Chemikalien-Überempfindlichkeit wirklich gibt", sagt Mersch-Sundermann.

Betroffene mit einem "Sick Bulding Syndrom" müsse man ernst nehmen und den Ursachen auf die Spur gehen, sagt Umweltmediziner Wiesmüller. "Wir werden in den kommenden Jahren vielleicht mehr Menschen mit SBS haben." Aus Energiespargründen werde nämlich immer luftdichter gebaut. "Wollen wir energieeffizient bauen, müssen wir darauf achten, dass die Gebäude sich gut lüften lassen", sagt Wiesmüller. Die Büromitarbeiter sollten außerdem im Idealfall in die architektonische Gestaltung eingebunden werden, die Räume sollten nicht hallen, adäquat beleuchtet sein und die Luftfeuchtigkeit sollte stimmen. "Außerdem nicht zu kalt, nicht zu warm, ein an den Körper angepasster Arbeitsplatz und ein harmonisches Miteinander - da haben es SBS-Symptome schwer, aufzutreten", sagt Wiesmüller. Ganz so einfach, gibt er zu, sei es jedoch nicht. "Vor allem bei der Wohlfühltemperatur kommt man an Grenzen. Aus Innenraumstudien wissen wir, dass es in Gruppen kaum gelingt, dass sich mehr als 90 Prozent der Leute wohlfühlen. Es gibt immer einen, der fröstelt oder schwitzt."

Dem Büroleiter in dem eingangs geschilderten Fall riet Mersch-Sundermann, gründlich zu "entstauben": Vollgestopfte Regale wurden ausgemistet, Teppiche entfernt und die Drucker in einen anderen Raum gestellt, der besser belüftet wurde. Schon nach wenigen Tagen ging es der Frau und ihren Kollegen besser. "Ob dabei aber auch psychologische Faktoren eine Rolle spielten, bleibt offen."

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