Vorschläge aus Brüssel:Was die EU beim Thema Flüchtlinge klären muss

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Flüchtlinge warten auf dem Rettungsschiff "Phoenix" darauf, dass sie in Sizilien an Land gehen können. (Foto: AP)

Am Mittwoch präsentiert die EU-Kommission ihre Flüchtlingsagenda. Sie schlägt ein Quotensystem vor, das vielerorts auf Widerstand stößt. Zweites Thema ist der Kampf gegen illegale Schlepper. Wie soll der konkret aussehen? Und welche Hürden gibt es?

Von Martin Anetzberger

In Europa bewegt sich etwas in der Flüchtlingsfrage. Am Mittwoch will die EU-Kommission erläutern, wie die nach Europa kommenden Menschen in Zukunft auf die Mitgliedsstaaten verteilt werden sollen. Das zweite zentrale Thema ist, wie weitere Todesopfer auf dem Mittelmeer vermieden werden und die Schlepperbanden in Libyen bekämpft werden können. Antworten auf wichtige Fragen.

Warum ändert die EU ihre Flüchtlingspolitik?

Die EU-Mitgliedsstaaten handelten weniger aus tiefster Überzeugung - sie sahen sich vielmehr dazu gezwungen, nachdem in der Nacht zum 19. April mehr als 750 Flüchtlinge vor der libyschen Küste ertrunken waren und der öffentliche Druck immer größer wurde.

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Erst Ende 2014 hatte Italien das Seenotrettungsprogramm "Mare Nostrum" eingestellt. Zur Begründung verwies das Land auf die fehlende Unterstützung der EU-Partnerländer für die teure Mission. Der deutsche Innenminister Thomas de Maizière (CDU) war stets einer der größten Kritiker des Programms. Er fand, es ermutige Flüchtlinge zur gefährlichen Fahrt über das Mittelmeer.

Das Nachfolge-Programm "Triton" der EU-Agentur "Frontex" war mit wesentlich weniger Geld ausgestattet und konzentrierte sich auf den Grenzschutz, nicht auf die Rettung in Seenot geratener Flüchtlinge. Der Aktionsradius war erheblich kleiner als jener der Mission "Mare Nostrum", in deren Rahmen die italienische Marine auch vor der libyschen Küste Flüchtlinge gerettet hatte. Im April kam es schließlich zu weiteren verheerenden Unglücken. Schätzungen zufolge starben seit Jahresbeginn etwa 1750 Flüchtlinge auf der Überfahrt von Libyen nach Italien. Die EU sah sich nun zum Handeln gezwungen, auch de Maizière änderte seine Meinung ( hier dokumentiert).

Wie sieht die neue Strategie aus?

Kurz nach der Katastrophe vom 19. April legte die EU-Kommission einen Zehn-Punkte-Plan vor, um weitere Todesopfer zu verhindern. "Frontex" stehen statt drei nun etwa neun Millionen Euro im Monat zur Verfügung. Allerdings bleibt das Einsatzgebiet auf die Gewässer vor Italiens Küste beschränkt.

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Der Plan beinhaltet auch das Ziel, das von Libyen aus operierende Netz der Schlepper zu zerschlagen. Sie kassieren von den Flüchtlingen hohe Geldbeträge und schicken sie dann in oftmals heruntergekommenen und unsicheren Booten aufs Mittelmeer. Auf einem Sondergipfel kündigten die EU-Staats- und Regierungschefs "systematische Anstrengungen" an, um die Schiffe schon vor ihrem Einsatz "zu identifizieren, aufzubringen und zu zerstören". Ziel der EU sei es, das Geschäftsmodell der Schlepper zu zerstören, hieß es in Brüsseler Diplomatenkreisen.

Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini soll einen möglichen Militäreinsatz gegen die Banden vorbereiten. Die Staats- und Regierungschefs sollen dann beim Gipfel im Juni zustimmen.

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Welche politischen Hürden gibt es?

Mogherini warb am Montag vor dem UN-Sicherheitsrat für ein Mandat für einen robusten Militäreinsatz. "Unsere oberste Priorität ist es, Leben zu retten und weitere Verluste von Leben auf dem Meer zu verhindern", sagte sie in New York. Das Geschäft mit dem Leid der Flüchtlinge sei "nicht nur ein humanitärer Notstand, sondern auch eine sicherheitspolitische Krise". Die Schlepperbanden hätten Verbindungen zu Extremistengruppen und würden "terroristische Aktivitäten" finanzieren.

Notfalls will die EU mit Waffengewalt gegen die Menschenhändler vorgehen. Ein Mandat ist deswegen nötig, weil EU-Militär aus völkerrechtlichen Gründen nur in diesem Fall in libyschen Gewässern operieren dürfte. Russland hat als eine der fünf Vetomächte bisher erklärt, einem Einsatz zur Zerstörung von Booten nicht zustimmen zu wollen. Aus der italienischen Regierung, welche die Mission vorbereitet, hieß es jedoch, auch Moskau sei "bereit zu kooperieren". Bisher hatte sich auch UN-Generalsekretär Ban Ki Moon gegen einen solchen Einsatz ausgesprochen.

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Kritik an den EU-Plänen kommt auch von Menschenrechtlern. Amnesty International verwies auf einen am Montag veröffentlichten Bericht, wonach Flüchtlinge in dem nordafrikanischen Land "regelmäßig ausgeraubt, gefoltert, entführt und sexuell missbraucht" werden. "Wenn die EU ihre Pläne umsetzt, sitzen die Flüchtlinge vollends in der Falle", sagte die Generalsekretärin von Deutschland, Selmin Caliskan. Ähnlich äußerte sich die Organisation Pro Asyl.

Die Nato signalisierte hingegen volle Unterstützung. Es gebe bisher aber keine Anfrage, dass die Nato eine militärische Rolle übernehme. Der US-Nato-Botschafter deutete bereits an, dass amerikanische Kräfte bei der Aufklärung zum Einsatz kommen könnten. Über eine Einbindung des Militärbündnisses wollen die Nato-Außenminister am Mittwoch und Donnerstag in der Türkei sprechen.

Welche Probleme könnten bei der praktischen Umsetzung entstehen?

Das prinzipielle Ziel ist klar: Boote sollen zerstört werden, im Idealfall bereits bevor Menschen an Bord gehen. Oder aber, nachdem die Flüchtlinge gerettet wurden. Wie aber sollen die Boote bereits vor dem Auslaufen identifiziert werden? Was passiert mit den Menschen, die für ihre Überfahrt möglicherweise bereits viel Geld gezahlt haben? Außerdem sollen die Infrastruktur und das Geschäftsmodell der Schlepper zerschlagen werden, notfalls mit militärischer Gewalt. Wie kann verhindert werden, dass Flüchtlinge bei den Einsätzen in Gefahr geraten? Wie das in der Praxis konkret ablaufen soll, ist unklar. Die EU muss noch viele Fragen beantworten.

Wie soll die Verteilung von Flüchtlingen in der EU künftig organisiert werden?

Bewegung kommt nun auch in die Debatte, wie Flüchtlinge in Zukunft auf die EU-Mitgliedsländer verteilt werden sollen. Die EU-Kommission will Einwanderung erleichtern und ein Quotensystem einführen. Der Vorschlag sieht vor, jährlich eine bestimmte Anzahl von Flüchtlingen den 28 Staaten nach den Kriterien Wirtschaftskraft, Arbeitslosenquote und Bevölkerungsdichte zuzuordnen. Nach Informationen der SZ sollen in einem Pilotprojekt auf diese Weise 40 000 Flüchtlinge aufgenommen werden.

Dies wäre eine Abkehr von der derzeitigen Praxis, wonach Flüchtlinge in dem EU-Land bleiben und dort Asyl beantragen müssen, in dem sie ankommen. Dieses sogenannte Dublin-System solle aber nicht abgeschafft werden, sagte eine Kommissionssprecherin: "Wir werden am Mittwoch erklären, wie die Pläne innerhalb des Dublin-Systems funktionieren."

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Die EU-Kommission stellt dazu am Mittwoch ihre Flüchtlingsagenda vor. Europa brauche "ein ständiges System, um die Verantwortlichkeiten bei der Aufnahme großer Zahlen von Flüchtlingen und Asylsuchenden unter den Mitgliedstaaten zu teilen", heißt es in dem Vorschlag. Die Staaten sollten gemeinsam und sofort handeln. Auf keinen Fall sollten sie abwarten, bis zum Sommer so viele Flüchtlinge landeten, dass "nicht zu handeln nicht mehr tolerierbar ist".

Doch auch hier kommt auf die EU noch viel zu. Denn der Vorschlag stieß bereits im Vorfeld auf heftige Ablehnung, zum Beispiel in Polen, Tschechien, der Slowakei, Ungarn, den baltischen Staaten und Großbritannien. "Das Vereinigte Königreich hat eine stolze Geschichte des Asyls für diejenigen, die es am nötigsten brauchen", sagte ein Sprecher des britischen Innenministieriums der Zeitung The Times. "Aber wir glauben nicht, dass ein verpflichtendes Ansiedlungsprogramm die Antwort ist." Die EU solle sich stattdessen auf die Bekämpfung von Schlepperbanden konzentrieren. Die Times nannte die Pläne in einem Leitartikel eine "direkte Bedrohung für die britische Mitgliedschaft in der Europäischen Union".

Mit Material von AFP und dpa.

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