Finanzmarkt:Warum Anleihen riskanter als Aktien sind

Staatsanleihen galten als sicherer Hafen. Aber aus dem risikolosen Zins ist heute ein zinsloses Risiko geworden. Sind es Staatsanleihen, die den nächsten Finanzcrash auslösen?

Kommentar von Markus Zydra, Frankfurt, Frankfurt

Es ist der Traum vieler Spekulanten, den Wert des eigenen Vermögens an der Börse in kurzer Zeit zu vervielfachen. Die große Kunst besteht darin, den richtigen Moment zu erkennen. Rückblickend kann man mit Fug und Recht behaupten, dass sich dieser Tage eine solch seltene Gelegenheit ergeben hat. Ein Profit von mehr als 700 Prozent war drin. Da liegt die Vermutung nahe, es müsse sich hier um ein riskantes Geschäft mit Aktien oder komplizierten Derivaten gehandelt haben. Doch weit gefehlt: Man konnte diese exorbitant hohen Gewinne mit deutschen Staatsanleihen machen.

Im Zivilrecht gibt es den Begriff der mündelsicheren Anlage. Der Vormund eines minderjährigen Erben soll das hinterlassene Vermögen besonders sicher und ohne großes Verlustrisiko anlegen. Erste Wahl sind da seit jeher Staatsanleihen aus sicheren Industriestaaten, gerade auch deutsche. Diese Wertpapiere haben in den vergangenen Jahrzehnten eine ordentliche Rendite abgeworfen. Gleichzeitig waren sie, anders als Aktien, keinen extremen Preisschwankungen ausgesetzt.

Anleihe-Welt in Turbulenzen

Doch die Welt der Staatsanleihen ist in Turbulenzen geraten, wie folgendes Rechenbeispiel zeigt: Am 20. April brachte eine deutsche Staatsanleihe mit zehnjähriger Laufzeit an den Börsen nur eine Verzinsung von 0,07 Prozent. Am Montag lag die Rendite hingegen bei 0,6 Prozent. Die Zahlen wirken klein, doch der Effekt ist riesig. Beispielhaft bezogen auf eine Million Euro hat sich der Zinsertrag in den vergangenen drei Wochen von 700 Euro auf 6000 Euro erhöht, mithin ein Plus von mehr als 700 Prozent.

Die Preisausschläge für deutsche Staatsanleihen - immer wieder apostrophiert als sichere Anlage für Witwen und Waisen - haben Dimensionen von Zockerpapieren. Wie konnte das passieren?

Die Erklärung ist zunächst einmal bei den Herren des Geldes zu suchen. Die Notenbanken der Industriestaaten haben durch ihre Rettungspolitik den Markt für Staatsanleihen durcheinandergebracht. Die Währungshüter in Großbritannien, Japan, der Schweiz und der Euro-Zone erwarben seit Ausbruch der globalen Finanzkrise 2008 Staatsschuldscheine in Billionenhöhe. Ein solcher Nachfrageschub entfaltet natürlich Wirkung. Die Notenbanken kauften etwas, was andere nicht in dieser Menge gekauft hätten. Die Europäische Zentralbank und Kollegen anderer Notenbanken haben den Staatsanleihemarkt durch ihre Ankaufprogramme deformiert. Der Preis hat seine Signalkraft verloren. Niemand weiß, was Staatsanleihen wirklich wert sind. Diese Marktverzerrung führt zu einer grundsätzlichen Unsicherheit bei den Investoren.

Das Geschäft lohnt sich nicht mehr

Diese Furcht der Anleger dürfte mit ein Grund dafür sein, dass es an den Anleihemärkten zu historisch einmaligen Verwerfungen gekommen ist. So fielen die Renditen für zehnjährige amerikanische Staatsanleihen an einem Oktobertag 2014 binnen weniger Minuten um rund 15 Prozent. Die Rendite der Bundesanleihe legte vergangenen Donnerstag gar um 37,5 Prozent zu. Zum Vergleich: Der höchste Tagesverlust in der Geschichte des Aktienindex Dax lag bei 12,8 Prozent, das größte Plus bei 11,4 Prozent.

Der Hauptgrund für die Preisschwankungen ist die strengere Regulierung der globalen Banken. Die Institute haben früher den Anleihehandel am Laufen gehalten. Sie waren bereit, Schuldscheine zu kaufen, kurz zu halten und weiter zu veräußern. Doch die Regulierer haben solche Geschäfte mit hohen Eigenkapitalanforderungen belegt. Sie lohnen sich nicht mehr. Der internationale Anleihemarkt ist deshalb zuweilen ausgetrocknet. Es fehlen die Händler. Das verstärkt die Nervosität der Anleger.

Die Logik des Crashs folgt keiner Mathematik

Die Anleihemärkte galten früher als sicherer Hafen, wenn die Aktienmärkte verrückt spielten. Nach dem Platzen der Internet-Blase 2000 und auch nach der Lehman-Pleite 2008 konnten Anleger mit sicheren Staatsanleihen akzeptable Renditen erzielen. Die Lage veränderte sich, als die größten Notenbanken den Leitzins praktisch auf null Prozent setzten. Staatsanleihen werfen seither kaum Rendite ab. Aus dem risikolosen Zins einer sicheren Anleihe ist ein zinsloses Risiko geworden. Gleichzeitig stecken Investoren viele Milliarden Euro in den Aktienmarkt oder in riskante Unternehmensanleihen, um wenigstens ein bisschen Rendite zu erwirtschaften. Der Herdentrieb ist zurück, eine Preisblase baut sich auf.

Die meisten Experten halten in naher Zukunft einen erneuten Börsenkollaps für sehr unwahrscheinlich. Doch die Logik des Crashs folgt keiner Mathematik. Die Auslöser waren immer andere, mal die Internet-Aktien, mal amerikanische Immobilienkredite. Nun könnten es mündelsichere Staatsanleihen sein.

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