Untersuchungsausschuss:Wie ein Geheimdienst-Beamter über einen NSU-Mord sprach

  • Der NSU-Untersuchungsausschuss in Hessen beschäftigte sich mit einem Telefongespräch von 2006 zwischen dem damaligen Geheimschutzbeauftragten des Verfassungsschutzes und dem Verfassungsschützer Andreas T., der sich während des Mordes an Halit Yozgat in Kassel am Tatort aufhielt.
  • Im Gespräch sagte der Geheimschutzbeauftragte des Verfassungsschutzes folgenden Satz: "Ich sage ja jedem: Wenn er weiß, dass irgendwo so etwas passiert, bitte nicht vorbeifahren."
  • Die Anwälte von Yozgats Familie sehen den Satz als Indiz dafür, dass T. oder die ganze Behörde bereits vor dem Mord Hinweise auf die Tat gehabt haben könnten.
  • Der Geheimschutzbeauftragte sagte dagegen, er habe den Satz damals ironisch gemeint.

Von Tanjev Schultz, Wiesbaden

Die Abgeordneten lauschen konzentriert. In einem Raum des hessischen Landtags wird ein altes Telefonat vorgespielt. Zwei Beamte des Landesamts für Verfassungsschutz sprachen am 9. Mai 2006 über den Mord an Halit Yozgat, der einen Monat zuvor in einem Internetcafé in Kassel verübt wurde. Als Täter gelten mittlerweile die Neonazis des NSU, aber damals stand der Verfassungsschützer Andreas T. unter Verdacht. Er hatte sich zur Tatzeit in Yozgats Laden aufgehalten und dort, wie zuvor schon häufiger, ein Online-Flirtforum besucht, sich später aber nicht als Zeuge gemeldet. Nachdem die Polizei ihn ausfindig gemacht hatte, ermittelte sie intensiv gegen den Beamten.

In diese Zeit fällt das Telefonat, das nun im NSU-Untersuchungsausschuss einigen Wirbel ausgelöst hat. Im Gespräch mit Andreas T. hatte der damalige Geheimschutzbeauftragte des Verfassungsschutzes geäußert: "Ich sage ja jedem: Wenn er weiß, dass irgendwo so etwas passiert, bitte nicht vorbeifahren." Wie meinte er das?

Aus Sicht der Anwälte von Familie Yozgat deutet der Satz darauf hin, dass T. oder die ganze Behörde bereits vor dem Mord Hinweise auf die Tat gehabt haben könnten. Diese Interpretation wies die Bundesanwaltschaft im NSU-Prozess zurück. Der Satz habe sich vielmehr darauf bezogen, dass kein Kollege den Verdächtigen besucht habe. Tatsächlich hatte T. mehrmals vor dem Telefonat versucht, Kontakt mit Vorgesetzten aufzunehmen. Der Geheimschutzbeauftragte rief ihn dann zurück. Nun, neun Jahre später, soll er als Zeuge vor dem Ausschuss seinen Satz erklären.

Leicht heikle Stimmlage am Ende des Satzes

Sichtlich unwillig stellt sich der pensionierte Gerald H. den Fragen der Abgeordneten. An das Telefonat habe er keine konkrete Erinnerung mehr. Man spielt ihm das alte Überwachungsband der Polizei vor. Anschließend trägt Gerald H. seine Interpretation vor: Der Gesprächseinstieg mit der betreffenden Passage sei von ihm "wahrscheinlich etwas ironisch" gemeint gewesen. Tatsächlich wirkt die Stimmlage am Ende des heiklen Satzes leicht heiter; man hört die Andeutung eines verlegenen Lachens. Ob denn solche Ironie angebracht sei im Zusammenhang mit einem Mordfall, fragt ein Abgeordneter. Darüber lasse sich streiten, antwortet der Beamte. Vielleicht habe er nicht alles glücklich formuliert, es habe sich um die "allmähliche Verfertigung der Gedanken bei einem Telefonat" gehandelt.

Ob er vor der Tat wusste, dass ein Anschlag geplant war? "Nein." Ob er den Verdacht hatte, dass T. etwas über einen bevorstehenden Anschlag gewusst haben könnte? - "Nee." Das ergebe sich aus dem ganzen Inhalt des Gesprächs.

Als ungeheuerlich empfinden vor allem Politiker der Opposition den Rat des Geheimschutzbeauftragten an T., dieser solle "so nah wie möglich" bei der Wahrheit bleiben. Der Beamte beteuert vor dem Ausschuss, er habe diese Einschränkung damals nur getroffen, weil Geheimdienst-Mitarbeiter stets die Verschlusssachen-Regeln beachten müssten und deshalb zum Beispiel nicht alles über Quellen verraten dürften. Er habe Andreas T. aber mehrmals ermuntert, er solle der Polizei alles sagen, was geschehen sei. An einer Stelle, die auch vorgespielt wird, mahnte er, keine Geschichten zu erfinden, so etwas platze irgendwann auf.

Auffällig ist, dass der Geheimschutzbeauftragte in dem Telefonat freimütig das Vorgehen der Polizei kritisierte ("arg forsch") und dem Kollegen, der das Landesamt in große Schwierigkeiten gebracht hatte, den Rücken stärkte. Die Mordermittler beklagten sich damals in einem Vermerk über die "Unterstützungshaltung" des Verfassungsschutzes für den Verdächtigen. Gerald H. spricht dagegen von einer "Fürsorgepflicht" gegenüber dem Mitarbeiter. Er habe damals "ein Bauchgefühl" gehabt, dass an den Beschuldigungen nichts dran gewesen sei. Und er habe recht behalten. Das Verfahren gegen Andreas T. sei ja eingestellt worden.

Dieser tritt dann selbst als Zeuge auf. Er wisse nicht, ob er damals überhaupt über den umstrittenen Satz - "bitte nicht vorbeifahren" - nachgedacht habe. Im Nachhinein deute er ihn so, dass sein Vorgesetzter bemerkt habe, wie schlecht es ihm gegangen sei. Gerald H. habe deshalb wohl versucht, "das Gespräch etwas aufzulockern". Andreas T. sagt, er habe vor dem Mord "definitiv" nichts über einen bevorstehenden Anschlag gewusst.

Der NSU-Prozess
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