Inszeniertes Schlachten in Kochmagazinen:Die Rache des toten Tieres

Inszeniertes Schlachten in Kochmagazinen: Ein Fleischmagazin für Hartgesottene: Die Beef legt Wert auf barocke Inszenierung.

Ein Fleischmagazin für Hartgesottene: Die Beef legt Wert auf barocke Inszenierung.

(Foto: Daniel Hofer)

Ein Moderator erschlägt ein Kaninchen, TV-Köche häuten Tiere vor laufender Kamera, die Zeitschrift "Beef" inszeniert Schweinsköpfe. Das soll ein ehrlicher Umgang mit unserem Fleischkonsum sein - ist aber purer Fetischismus.

Von Karin Janker

Es ist wieder da: Sarah Wiener, Jamie Oliver und das Fleischmagazin Beef feiern das tote Tier. Wo in Kochsendungen früher gezeigt wurde, wie man Tomaten ihre lästige Haut abzieht, werden jetzt Hasen gehäutet und Fische ausgeweidet. Jamie Oliver löste mit der "Exekution" eines Hühnchens einen medialen Aufschrei aus, seine Kollegin Sarah Wiener ließ ihre "Küchenkinder" in der gleichnamigen Sendung Kaninchen das Fell über die Ohren ziehen. Als das Blut floss, flossen auch Tränen. Sie wolle den Kindern zeigen, dass jeder Braten zuvor gelebt habe, sagt Wiener. Aus der Aufklärungskampagne wurde ein Trend, der inzwischen Kochmagazine in TV und Print erreicht hat. Heutzutage liegen bei angesagten Fernsehköchen die Filetstückchen nicht mehr sauber im Glasschälchen, das Tier wird vor laufender Kamera zerlegt.

Während bei Köchin Sarah Wiener der didaktische Anspruch 2009 noch mit einer Prise Provokation gewürzt ist, setzt das Fleischmagazin Beef auf brachiale Ästhetik. In aufwändigen Fotostrecken erläutert die Zeitschrift nicht nur die einzelnen Handgriffe beim Ausweiden, sondern bebildert das Rezept für "Rehzungen an Lauch-Vinaigrette" gleich mit dem abgetrennten Kopf eines Rehs, Wacholderzweig im Maul und eine klaffende Wunde am Hals.

Hinter dieser neuen Küchenphilosophie steckt die Erkenntnis, dass Wurst in Bärchenform nicht das ist, womit reflektierte Bildungsbürger ihre Kinder ernähren wollen. Die hippen Fernsehköche und das Fleischmagazin, das seine Zielgruppe als "Männer mit Geschmack" definiert, sind Modeerscheinungen, die uns zurück zum Echten und Ursprünglichen führen wollen - und dennoch in einer künstlichen Inszenierung enden.

Wie zivilisiert wir doch sind!

Unsere Gesellschaft hat sich längst entfremdet von dem, was unsere proteinreiche Nahrung liefert: vom Tier. Kaum einer glaubt sich heute noch in der Lage, eigenhändig ein Tier zu töten. Das Töten findet im Verborgenen statt, in Schlachthöfen, zu denen die Öffentlichkeit keinen Zugang hat. Und selbst die Ställe sind aus den Dörfern verschwunden, zu Fabriken mutiert und in einsamere Gegenden gewandert, wo sich niemand am Gestank der Gülle stört.

Das tote Tier ist uns fremd geworden, man kennt es nur noch als verzehrfertiges Endprodukt. Und irgendwie sind wir doch heilfroh und auch ein bisschen stolz darauf, uns die Hände nicht mehr blutig machen zu müssen, nur weil wir ein Steak essen wollen. Wie zivilisiert wir doch sind!

Schnellrestaurants, die Hühnerfleisch in Nugget-Formen pressen, stehen für das, was wir heute sind: Fleisch-Fetischisten. Das sind nicht Menschen mit einer bestimmten sexuellen Neigung, auf die Fleischfetzen erotisch wirken. Der Philosoph Karl Marx erklärt in seiner Theorie des Warenfetischismus, wie die Ware für den Menschen zum Fetisch wird. Der Fließbandarbeiter in der kapitalistischen Gesellschaft erkennt sich nicht mehr in den von ihm selbst hergestellten Produkten. So wird die Ware vom Arbeiter entfremdet. Ein ähnlicher Fetischismus zeigt sich beim Fleisch: Der Braten, so sauber und schmackhaft auf dem Teller, scheint weit entfernt vom Rind und von allem Tierischen.

Doch es gibt einen Trend in die Gegenrichtung - und für den stehen Sarah Wiener, Beef und Jamie Oliver. Sie wollen zurückholen, was verloren geht, wenn Hühnchenteile in Panade getaucht und auf Pappe serviert werden. Und dabei geht es ihnen nicht nur um den Geschmack. Sondern auch um diesen Zauber, der heute allem Handgemachten angedichtet wird. Wer etwas auf sich hält, beschäftigt sich mit dem, was er isst. Die privilegierten Großstadt-Hipster wollen wissen, woher das Fleisch stammt, das sie in ihrer Manufaktum-Pfanne in einem Schuss geröstetem Sesamöl anbraten. Essen ist zum Distinktionsmerkmal geworden.

Bärchenwurstesser vom Fetischismus heilen

Gegen die Anhänger der Bärchenwurst ziehen Wiener, Oliver und Beef als Apologeten des toten Tieres ins Feld. Sie wollen mehr vermitteln als bloß Rezepte zum Nachkochen, sie verstehen sich als Aufklärer. Und so drapieren sie das zum Fleischstück gehörige Tier kameragerecht neben der Herdplatte. Mit offenen, schwarzen, noch feuchten Augen liegt es da und starrt uns an.

Insbesondere die Zeitschrift Beef liebt barocke Schwulstigkeit in ihren Inszenierungen. Dem sensibleren Betrachter mag beim Anblick eines matt-rosigen Schweinekopfes, gebettet auf rustikales Leinen, mulmig werden. Muss neben dem Steak unbedingt ein totes Rind zu sehen sein, dessen leere Augenhöhlen so demonstrativ aus dem Heft starren? Vergeht einem da nicht der Appetit? Beef und Pop-Köche wie Oliver und Wiener würden wohl sagen, dass man das aushalten muss. Sie wollen die Distanz einreißen, die zwischen unserer täglichen Portion Eiweiß und dem Lebewesen, von dem sie stammt, liegt. In ihrer Inszenierung des Tierkadavers wollen sie Verdrängtes wieder ins Bewusstsein holen: Dass dieses eingeschweißte Etwas, das wir gerade aus der Kühltheke des Supermarktes gefischt haben, vor nicht allzu langer Zeit gelebt hat, ein Fell und Augen hatte. Sie wollen die Bärchenwurstesser von ihrem Fetischismus heilen.

Die neue Lust am Schlachten in Kochsendungen und -magazinen markiert die Wiederkehr eines Gedankens, den wir erfolgreich verdrängt haben: Fleisch ist totes Tier. Diese Erkenntnis löst einen Schock aus, der Beef und ähnlichen Formaten ihren Erfolg beschert. Die Fotostrecke mit den Tierköpfen beispielsweise kündigt die Redaktion dem Leser mit dem Hinweis an "Bitte nicht erschrecken", an anderer Stelle werden "liebe Mädchen" vor gegrillten "Riesenbraten" gewarnt. Nur wer den Schrecken aushält, gehört zur Zielgruppe der "ehrlichen Genießer", derer, die nicht wegsehen. Fleisch essen darf nur, wer sich damit auseinandersetzt, wo es herkommt. So lautet das Credo der sogenannten Flexitarier, die auf Fleischgenuss vom Bio-Bauern bestehen.

Die Inszenierung verstärkt die Distanz

Allerdings, und hier liegt die Krux: Die mediale Inszenierung des toten Tieres lässt es nur scheinbar in unsere Welt einbrechen - in Wirklichkeit hält die Beef uns das tote Tier auf Abstand, indem sie es wie in einer Vitrine aufbahrt. Die versuchte Heilung vom Fetischismus schlägt fehl. Stattdessen vergrößern die neuen Kochmagazine unsere Distanz zum toten Tier durch ihre Überästhetisierung. Sie hieven den Kadaver auf den Sockel. Die toten Kaninchen bei Sarah Wiener und der Schweinekopf in der Beef kommen den Zuschauern und Lesern aber nicht näher als abgepackte Lyoner. Es ist gerade die Inszenierung, die die Distanz erhöht. Durch den Fernseher lässt sich warmes Blut nicht fühlen, Hochglanz-Magazinseiten haftet nicht der Geruch von Kutteln an.

Vom aufklärerischen Gestus einer Sarah Wiener und eines Jamie Oliver bleibt bei näherer Betrachtung nicht viel übrig. Sie erheben das tote Tier nun selbst zum Fetisch. Das spielt der Fleischindustrie in die Hände, denn die will nicht nur sattmachen, sondern auch unser Bedürfnis nach Nostalgie befriedigen.

Dass das tote Tier nun als ästhetisiertes Kunstwerk in die Medien Einzug hält, zeigt am Ende: Auch aufgeklärte Esser versuchen das Steak von dem zu trennen, was es vorher war, um es genießen zu können. Das durch die Inszenierung untot gewordene Tier sucht die Kochmagazine heim wie ein Gespenst. Es macht das Steak selbst zu etwas Unheimlichem. Dies ist die Rache des Tieres.

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