Lügen in der Politik:Nur nicht erwischen lassen

Angela Merkel

Es war halt Wahlkampf: Vor zwei Jahren behauptete Angela Merkels Regierung, No-Spy-Abkommen sei in greifbarer Nähe. Mit der Wahrheit hatte das nichts zu tun.

(Foto: AP)

Ein taktischer Umgang mit Fakten ist in der Politik legitim - bis zu einem gewissen Grad. Doch die Posse um das angebliche No-Spy-Abkommen zeigt: Im politischen Berlin gilt die Lüge mittlerweile als Kavaliersdelikt.

Von Christoph Hickmann

Was hat die Affäre um den ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy mit den Vorgängen rund um das zu keinem Zeitpunkt realistische deutsch-amerikanische No-Spy-Abkommen zu tun? Was die politische Dimension angeht: nicht viel - dazu ist die Geheimdienstaffäre zu groß. Was das Muster dahinter angeht: eine ganze Menge.

Im Fall Edathy steht die Aussage des SPD-Fraktionschefs gegen die des ehemaligen Abgeordneten - es geht um die Frage, wen Thomas Oppermann über den Knaben-Nacktbilder-Verdacht gegen Edathy informierte und wen nicht. Außerdem widersprechen Edathys Angaben denen eines weiteren Abgeordneten. Und schließlich lieferte der Parlamentarier Johannes Kahrs im Untersuchungsausschuss zu der Angelegenheit eine gnadenlos dreiste Vorstellung ab, indem er ein ums andere Mal antwortete, leider könne er sich nicht mehr so genau erinnern.

Es war halt Wahlkampf

Im Fall "No Spy" widerlegt nun ein Mailwechsel die Behauptung des CDU-geführten Kanzleramts aus dem Wahlkampf 2013, ein solches Abkommen sei in greifbarer Nähe. Darüber hinaus belegen die Dokumente, warum die Regierung das Abkommen wider besseres Wissen öffentlich herbeizureden versuchte: Es war halt Wahlkampf. Und am Montag lieferte Regierungssprecher Steffen Seibert eine gnadenlos peinliche Vorstellung ab, als er ein ums andere Mal wiederholte, 2013 "nach bestem Wissen und Gewissen" informiert zu haben. Wobei ein Sprecher naturgemäß stets im Namen anderer informiert. In diesem Fall: der Kanzlerin.

Ist da etwas eingerissen im Verhältnis des politischen Personals zur Wahrhaftigkeit? Tatsächlich gehörte die Lüge seit jeher zur Politik wie der Tiefschlag zum Boxkampf - doch wenn nicht alles täuscht, hat sich unter dem politischen Spitzenpersonal ein gefährlicher Common Sense ausgebreitet, wonach es sich um ein Kavaliersdelikt handele, bei dem man sich nur eben nicht erwischen lassen dürfe.

Wenn man nichts mehr glauben kann, ist alles möglich

Natürlich ist in der Politik bis zu einem gewissen Grad ein taktischer Umgang mit Fakten legitim. Wer immer mit offenen Karten spielt, wird am Ende als putziger Volltrottel dastehen. Zuletzt mussten das die Piraten lernen, die noch ihre Selbstzerfleischung bis zur letzten Konsequenz transparent betrieben. Zugleich lehrt aber die Entstehungsgeschichte der Piraten, wie ernst die Lage seit einiger Zeit ist.

Es war ja nicht nur das basisdemokratische Heilsversprechen, das dieser politisch nie so recht definierbaren Gruppierung Wähler und Mitglieder zutrieb. Mindestens ebenso bedeutsam war die Ankündigung, politische Entscheidungsprozesse aus den viel zitierten Hinterzimmern herauszuholen. Sie erzeugte deshalb solche Resonanz, weil sie auf die mittlerweile auch in politisch gebildeten Kreisen verbreitete irrige Annahme traf, in diesen Hinterzimmern geschähen unsagbare, mit Demokratie jedenfalls kaum vereinbare Dinge. In dieser Grundstimmung haben Darbietungen wie die Edathy-Affäre oder die No-Spy-Posse jedes Potenzial, das Vertrauen auch der Wohlmeinenden hinwegzuspülen und alle anderen in ihren Hirngespinsten noch zu bestätigen.

Der Gipfel des Zynismus ist jene Beschwichtigung, die seit Tagen wieder zu lesen und hören ist: Wer je an ein No-Spy-Abkommen geglaubt habe, sei naiv und also selbst schuld. Genau so entstehen Verschwörungstheorien: Wenn man nichts mehr glauben kann, ist alles möglich.

Wer "Lüge" ruft, kann dann nicht tun, als sei nichts gewesen

Wie tief ein beträchtliches Maß an Zynismus aber offenbar auch beim politischen Personal bereits verankert ist, zeigen zwei Sätze, die SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi am Dienstag im Deutschlandfunk äußerte. Zur Erinnerung: Frau Fahimi und ihre Partei bezichtigen Spitzenvertreter ihres Regierungspartners seit Tagen der Lüge. Auf die Frage nach personellen Konsequenzen aber sagte Fahimi: "Na ja, weil jemand im Wahlkampf sich nicht an die Wahrheit gehalten hat, glaube ich, muss niemand zurücktreten. Das wäre zu weit gegriffen." Jeder Wahlkämpfer darf Fakten in seinem Sinn deuten und Dinge verschweigen. Aber eine Regierung, die in einer Angelegenheit dieser Tragweite täuscht? Das hat eine andere Dimension.

Wenn die Sozialdemokraten ihren Lügen-Vorwurf ernst meinen, dann müssen sie auch erklären, wie sie eigentlich unter einer Kanzlerin weiterregieren wollen, der sie derart Gravierendes zutrauen. Verglichen mit den schwarz-gelben Wildsau-Gurkentruppe-Schmähungen der vergangenen Legislaturperiode jedenfalls hat auch dies eine neue Dimension. Wer aber erst "Lüge" ruft und dann im Regierungsalltag tut, als sei nichts gewesen, der bestätigt letztlich nur die Annahme der Politikverächter: dass "die da oben" doch sowieso alle unter einer Decke steckten.

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