Abwerben im Juniorenfußball:Verkaufte Kinderträume

12 05 2015 Stara Zagora Bulgaria Germany Czech Republic European Under 17 championship men s footba

Besonders begehrt: Nachwuchsspieler, die das deutsche Nationaltrikot tragen (hier das deutsche U-17-Nationalteam bei der Europameisterschaft in Bulgarien)

(Foto: imago/Aleksandar Djorovic)
  • In den Halbfinals um die deutsche A-Juniorenmeisterschaften steht in Leipzig und Hoffenheim zwei finanzstarke Emporkömmlinge.
  • Traditionsklub begegnen dem Masterplan der Neureichen mit Sorge, weil sie junge Speler aggressiv abwerben würden.
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Von Philipp Selldorf, Köln

Wenn die Mannschaft eines Erstliga-Aufsteigers auf Anhieb Meister wird, dann steckt im Allgemeinen Otto Rehhagel dahinter. Aber Otto Rehhagel ist in der supermodernen Fußball-Welt von RB Leipzig beim besten Willen nicht vorstellbar. Außerdem ist er nicht in Württemberg zur Welt gekommen. RB Leipzig ist zwar in Sachsen zu Hause und lebt vom Geld des Großinvestors aus Österreich, doch das Sagen im Unternehmen haben die Experten aus Schwaben, und eben diese Kombination aus schwäbischem Perfektionismus und scheinbar unbegrenzten Finanzmitteln ist es, die bei der Konkurrenz als besonders bedrohlich wahrgenommen wird.

Die am Mittwoch und Donnerstag anstehenden Halbfinal-Hinspiele der A-Junioren-Meisterschaft versteht die Branche daher als eine Art Fanal. An dem einen Tag stehen sich der Karlsruher SC und Schalke 04 gegenüber, am anderen die TSG Hoffenheim und der Aufsteiger-Meister der Staffel Nord/Nordost - RB Leipzig also. Da zwei Alteingesessene, dort zwei Emporkömmlinge.

"Ich hoffe", sagt Schalkes langjähriger Nachwuchschef Oliver Ruhnert, "dass der Sieger unseres Halbfinales am Ende auch den Titel holt, damit es einer der Traditionsklubs schafft." Und ausdrücklich bedauert es Ruhnert, dass nicht ein dritter Traditionsklub das Halbfinale erreicht hat: "Ich hätte es Hannover 96 gegönnt, Leipzig noch zu überholen. RB ist nicht mein Fall. Mir gefällt dieses Modell nicht, das vor allem auf Finanzqualitäten beruht. Gott sei Dank gibt es Eltern, die sich bewusst gegen die Leipziger Methode entscheiden."

Ruhnert gibt sich keine Mühe, seine Antipathien gegen das Projekt des Brausekonzerns zu verbergen. "In Leipzig werden Unsummen aufgerufen, wenn es darum geht, Jugendspieler anzuwerben. Das muss man ganz klar sagen, und das tue ich auch", teilt er mit. Der 42-Jährige, seit 2007 in Gelsenkirchen für den Nachwuchs zuständig, regt sich nicht nur über den erhöhten Preisdruck auf, den die neureichen Sachsen im Jugendfußball erzeugen, sondern auch über die nach seiner Auffassung schrankenlose Rekrutierungspraxis: "Wer auch nur einmal ein deutsches Nationaltrikot getragen hat, der wird von Leipzig angesprochen, da können Sie sicher sein."

Mit dieser Klage steht Ruhnert nicht allein. Armin Kraaz, Leiter des Leistungszentrums von Eintracht Frankfurt, sieht es ähnlich: "Sie versuchen, alles zu bekommen, was der deutsche Markt hergibt. Ich kenne keinen Verein, der so flächendeckend und aggressiv agiert wie Leipzig. Das ist eine ganz andere Dimension."

Masterplan zur Erringung der Weltherrschaft

In Leipzig nimmt man solche Aussagen mittlerweile routiniert zur Kenntnis. "Wir wollen unsere Spieler nicht mit Geld zu uns locken", hat RB-Nachwuchschef Frieder Schrof neulich wieder erklärt. Die jungen Spieler kämen wegen der exzellenten Bedingungen, die RB ihnen biete. Unter anderem weiht der Verein demnächst sein 35 Millionen Euro teures Nachwuchszentrum ein, auch die Investitionen ins Lehrpersonal übertreffen deutlich das Niveau anderer Vorzeigejugendzentren - jene der ebenfalls in großem Rahmen waltenden Hoffenheimer und Wolfsburger inbegriffen.

Es ist nicht nur ein teures, sondern auch ein importiertes Blitz-Erfolgsmodell. Die Leipziger Nachwuchs-Verantwortlichen Schrof, 60, und Thomas Albeck, 59, hatten viele Jahre beim VfB Stuttgart gearbeitet, bevor sie 2012 auf Betreiben von Red-Bull-Sportchef Ralf Rangnick nach Leipzig kamen. Auch der A-Junioren-Trainer Frank Leicht ist Schwabe.

Rangnicks schwäbisches Sendungsbewusstsein, die rigorose Professionalisierung des Leipziger Projekts und dessen internationale Verknüpfung, unter anderem mit den Konzernakademien in New York und Sao Paulo - das alles klingt wie ein Masterplan zur Erringung der Weltherrschaft, gegen den allmählich James Bond einschreiten sollte. Armin Kraaz fände es aber schon gut, wenn zumindest die Verbände eingreifen könnten. "Der Markt spielt sich jetzt bereits bei den 14- und 15-Jährigen ab", sagt er, "ich finde, man sollte beim DFB und bei der DFL Möglichkeiten suchen, die Wechselei zwischen den Leistungszentren in diesem, noch vertragslosen Zeitraum zu erschweren. Dieses Verpflanzen mit Verträgen, Geld, dem Traum, der mit verkauft wird - das sind Wucherungen des Geschäfts."

Einst abgeworbene 15-Jährige sind wieder auf dem Markt

Eintracht Frankfurt lässt sich die Nachwuchsarbeit rund 2,5 Millionen Euro kosten, eine unterdurchschnittliche Summe. Die Folge ist unter anderem, dass im vorigen Sommer ein B-Jugend-Spieler an Leipzig verloren ging, im Winter zwei weitere nach Wolfsburg und einer nach Dortmund abwanderten, und in diesem Sommer die nächsten Abgänge anstehen. "Das ist ein Spiegelbild des großen Ganzen", sagt Kraaz, "die Eintracht hätte voriges Jahr auch gern Schwegler, Jung und Rode gehalten, aber sie gingen trotzdem nach Hoffenheim, Wolfsburg und zu den Bayern. Damit müssen wir ganz einfach leben."

Ob die Leipziger aber tatsächlich so planmäßig den Weg nach oben beschreiten, bezweifeln manche Experten. Ihre Ungeduld könnte ihnen in die Quere kommen. "Ich glaube nicht, dass das Modell funktionieren wird, es lässt sich auf Dauer nicht seriös durchhalten", sagt Ruhnert, und Kraaz schließt sich an: "Es kommen ja bereits in diesem Sommer wieder Spieler zurück in den Markt, die vor zwei Jahren in die Leipziger U15 geholt wurden. Die werden jetzt in der U17 wieder angeboten. Das wird sich auf Sicht herumsprechen. Wenn Ralf Rangnick sagt, RB wolle jedes Jahr nur die Besten holen, dann fallen logischerweise hinten wieder welche runter."

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