Bericht "Putin - der Krieg":Das Vermächtnis des Kremlgegners Nemzow

Konfliktgebiet Debalzewo

Separatisten in Debalzewe: Ihre militärischen Erfolge wurden durch den Einsatz russischer Soldaten erzielt, heißt es in einem Oppositionsbericht aus Moskau.

(Foto: Dan Levy/dpa)
  • "Putin - der Krieg", diesen Bericht bereitete der russische Oppositionspolitiker Boris Nemzow seit Beginn des Jahres vor - dann wurde er getötet.
  • Parteifreunde haben ihn nun veröffentlicht - sie bilanzieren einen verdeckten Einsatz russischer Soldaten in der Ukraine. 220 kamen demnach ums Leben.
  • Angehörige sollen sich Nemzow anvertraut haben, weil ihnen für die Gefallenen keine Entschädigungen gezahlt worden seien.

Von Julian Hans, Moskau

Bei der Schlacht um die ukrainische Stadt Debalzewe sind im Februar 70 russische Soldaten umgekommen. Bei der Offensive der Separatisten gegen die vorrückende ukrainische Armee starben im August 2014 mindestens 150 russische Soldaten. Insgesamt kostete der unerklärte Krieg im Osten der Ukraine den russischen Haushalt bislang etwa eine Milliarde Euro. Dazu kommen noch einmal 1,4 Milliarden für die Versorgung der Menschen, die aus den umkämpften Gebieten nach Russland fliehen.

Zu diesen Ergebnissen kommt der Bericht, "Putin - der Krieg", den der russische Oppositionspolitiker Boris Nemzow seit Beginn des Jahres vorbereitet hat. Parteifreunde des Ende Februar ermordeten Putin-Gegners stellten das Ergebnis am Dienstag in Moskau vor. Es ist die bisher umfassendste Sammlung von Belegen für eine Beteiligung Russlands in dem Krieg, in dem bisher mehr als 7000 Menschen starben.

"Alle großen militärischen Erfolge der Separatisten wurden durch den Einsatz russischer Soldaten erzielt", sagte Ilja Jaschin, der den Moskauer Verband von Nemzows Partei RPR-Parnas leitet. Der Bericht solle in erster Linie der Aufklärung der Menschen in Russland dienen, die aus dem staatlich gelenkten Fernsehen nicht die Wahrheit erführen.

"Kein Volk ist den Russen näher, als es die Ukrainer sind"

Nach Ansicht der Kreml-Kritiker war die Annexion der Krim keineswegs ein Erfolg, wie es die politische Führung darstellt und eine Mehrheit der Russen glaubt. Vielmehr habe der Konflikt das Land in eine tiefe Wirtschaftskrise und in die internationale Isolation geführt und von seinem Brudervolk getrennt. "Kein Volk ist den Russen näher als es die Ukrainer sind", sagte der 31 Jahre alte Politiker, der ein enger Freund und Mitarbeiter Nemzows war. Früher oder später werde Präsident Wladimir Putin gehen, "aber wir müssen mit den Ukrainern leben". Die Bedingung für eine Versöhnung sei es, die Wahrheit zu sagen, "dafür ist dieser Bericht ein Anfang".

Auf 65 Seiten fassen die Autoren zum Teil bereits bekannte Indizien für eine Beteiligung des russischen Militärs in der Ostukraine zusammen und ergänzen sie durch neue Untersuchungen und Analysen. Unter ihnen sind der frühere russische Vize-Premier Alfred Koch und der Ex-Zentralbank-Vize Alexej Alexaschenko, der die volkswirtschaftlichen Kosten des Krieges errechnete.

Ein großer Teil der Informationen stammt aus offen zugänglichen Quellen. Außerdem sollen Angehörige gefallener Soldaten Nemzow um Hilfe gebeten haben, weil ihnen die versprochenen Entschädigungen nicht ausgezahlt wurden. Das bestätigt Berichte unabhängiger russischer Journalisten, wonach Soldaten genötigt werden, ihren Dienst zu kündigen, um dann beim Grenzübertritt in die Ukraine Verträge als Söldner zu unterschreiben, um den Einsatz zu kaschieren. Dabei wurde ihnen offenbar mündlich zugesichert, im Falle von Tod oder Verwundung dieselben Entschädigungen zu bekommen wie reguläre Angehörige der Streitkräfte.

Darüber, ob der Mord an Nemzow mit der geplanten Veröffentlichung zusammenhängt, wollen seine Parteifreunde nicht spekulieren. Die Ermittlungen steckten derzeit fest, "weil es sich als unmöglich erwiesen hat, in Tschetschenien zu ermitteln", sagte der Parteivorsitzende Michail Kassjanow.

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