DNA-Tests:Wattestäbchen, die lügen

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Der Vergleich von DNA-Spuren etwa mit Speichelproben dürfte Täter eindeutig überführen - theoretisch. Praktisch sind viele Fehler möglich. (Foto: Stephan Rumpf)
  • Falsche Haaranalysen beim FBI hatten in der Vergangenheit zu mehreren Hundert falschen Urteilen und mindestens 14 Hinrichtungen geführt.
  • Experten versichern, dass so etwas mit dem heutigen Stand der Wissenschaft nicht mehr möglich wäre. Trotzdem kann auch der genetische Fingerabdruck anfällig für Fehler sein.
  • Eine weibliche DNA-Spur war im Zusammenhang mit Mordfällen überall in Deutschland gefunden worden. Auch an dem Ort, an dem die Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn erschossen worden war. Es handelte sich um die DNA der Frau, welche die Wattestäbchen verpackte, mit denen der Abstrich für DNA-Analysen gemacht wird.
  • DNA-Spuren werden in Deutschland seit 1998 in der DNA-Analyse-Datei gespeichert. Ende März 2015 enthielt die Datenbank 1 103 342 Datensätze.
  • Die Zahl der Kriminalfälle, die sich nur oder vor allem durch DNA aufklären ließen, liegt bei über 150 000.

Von Joachim Käppner

Sie galt als Killerin, als Mastermind ohne Gewissen, als unheimliche Frau. Sie soll, hieß es damals, 2007 die Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn erschossen und einen Rentner in Freiburg beraubt und ermordet haben. In Idar-Oberstein, weit entfernt von beiden Tatorten, war die Unbekannte zudem Hauptverdächtige dafür, eine ältere Dame mit Blumendraht erdrosselt zu haben. Kriminaltechniker fanden dieselben DNA-Spuren außerdem im Fiat einer Krankenpflegerin, die tot in einem Regenüberlaufbecken lag.

Mord, Drogendelikte, aber auch Einbrüche in Schulen - das "Phantom von Heilbronn" war nicht zu fassen. Schon 2006 versuchten Profiler des Landeskriminalamtes Rheinland-Pfalz, sich einen Reim auf die Persönlichkeit einer Täterin zu machen, die so viele unterschiedliche Delikte begangen haben sollte, und tippten auf ein "Pärchen mit hoher krimineller Energie und verblüffender Kaltblütigkeit". Bonnie und Clyde in Deutschlands Südwesten?

Die Ermittler in Baden-Württemberg glaubten dagegen, eine reisende Schwerkriminelle sei verantwortlich, hochmobil, eiskalt, vielleicht sah sie aus wie ein Mann. Allerdings, so ein Fallanalytiker: "Diese Frau widersetzt sich jedem Muster. Das habe ich noch nie erlebt."

Die Polizei nutzte die Täterprofile für eine so große DNA-Rasterung, dass Gerichte schließlich einschritten. Das Phantom wurde nicht gefunden, denn es teilte mit anderen seinesgleichen, etwa der weißen Frau von Burg Werdenfels, eine wesentliche Eigenschaft: Es gibt sie nicht. Die Taten hatten andere begangen, der Polizistinnenmord von Heilbronn wird den Naziterroristen des NSU zugeschrieben. Die DNA an den Tatorten stammt von einer völlig unschuldigen Frau, welche die Wattestäbchen verpackte, mit denen der Abstrich für DNA-Analysen gemacht wird. Die Proben waren also von vornherein kontaminiert gewesen.

"DNA - na klar", scherzen Kriminologen gern

Die Phantomaffäre ist bislang der spektakulärste Fall, bei dem auch in Deutschland Zweifel aufkamen, ob der "genetische Fingerabdruck" wirklich so hundertprozentig zuverlässig ist. Viele Ermittler gingen von der Devise aus: "DNA - na klar", scherzen Kriminologen gern. Mit der DNA-Analyse sind die menschlichen Körperzellen (in Blut, Muskelgewebe, Haut, Knochen, Haaren, Sperma, Speichel, Schweiß) molekulargenetisch auswertbar. Hermann Schmitter, der beim Bundeskriminalamt die "Gendatenbank" - amtlich heißt sie DNA-Analyse-Datei - mitaufgebaut hat, pflegte seine Kollegen zu warnen: "Eine DNA-Spur belegt nur, dass sie von einem bestimmten Träger stammt. Sie verrät nichts darüber, wie sie an den Tatort gekommen ist."

Das BKA richtete die Datenbank 1998 ein. Damals entwickelte sich die DNA-Technologie mit einer Geschwindigkeit, welcher der Gesetzgeber kaum noch zu folgen vermochte; allerdings hatte der Bundesgerichtshof die Methodik schon 1990 für zulässig erklärt. Manche Staaten, wie die USA, kennen das System einer einzigen zentralen Datenbank nicht; andere, wie Großbritannien, speichern wesentlich mehr Gendaten ab.

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Ende März 2015 enthielt die deutsche DNA-Analyse-Datei 1 103 342 Datensätze. Davon gehörten 834 697 zu Personen, der Rest sind Spurendatensätze. Jährlich wächst der Bestand um etwa 100 000 Datensätze. Seit 1998 wurden mehr als 193 000 Treffer erzielt. Daher lässt sich die Zahl der Kriminalfälle, die sich nur oder vor allem durch DNA aufklären ließen, gut beziffern. "153 300-mal wurde eine Tatortspur einer Person, einem Spurenverursacher, zugeordnet", heißt es in der BKA-Statistik. An der Leiche eines Mordopfers fanden sich Haare, Hautschuppen, Sperma, die eindeutig von einer bestimmten Person stammten.

Weil bei Sexualverbrechen fast immer auswertbare Spuren zurückbleiben, ist die DNA-Analyse hier besonders wirksam. So gab es vor wenigen Wochen mehrere Festnahmen nach einer mutmaßlichen Gruppenvergewaltigung in Tübingen, weil DNA zu einem der Täter führte, der schon in der Datenbank gespeichert war. Andererseits ist auch die DNA-Technologie natürlich nicht sicher vor menschlichen Irrtümern. Das hessische Landeskriminalamt etwa registrierte Blutspuren von zwei verschiedenen Straftaten unter derselben Nummer - damit war unklar, von wo die Blutprobe stammte; es gab einen Freispruch vor Gericht.

Mehrere Hundert Urteile und mindestens 14 Hinrichtungen

Experten versichern, dass ein forensisches Debakel wie beim FBI heute nicht mehr möglich wäre. Dort hatten falsche Haaranalysen zu mehreren Hundert Urteilen und mindestens 14 Hinrichtungen geführt. Allerdings stammte die Methodik - unter dem Mikroskop wurden Haarstränge untersucht - aus Zeiten, in denen es eben kein flächendeckendes DNA-Analysesystem gab.

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Die US-Bundespolizei FBI muss drastische Fehler einräumen: In mehr als 95 Prozent von 268 untersuchten Fällen kam es zu falschen Aussagen über die Zuverlässigkeit kriminaltechnischer Analysen, die gegen die Verdächtigen verwendet wurden. 32 der Angeklagten wurden zum Tode verurteilt.

Die Kriminaltechniker werten nur sogenannte nicht-codierende Abschnitte des DNA-Materials aus, die keine Aufschlüsse über Erbanlagen, Aussehen oder gar die Persönlichkeit eines Menschen verraten. Stattdessen werden, wie international üblich, zwölf nicht-codierende Elemente untersucht, dazu als Sicherheit noch ein spezielles 13. So soll garantiert werden, dass unter mehreren Hundert Millionen Europäern alle Elemente für jeweils nur eine Person passen.

Kritiker wie das "Gen-ethische Netzwerk" monierten allerdings "Sammelwut und internationale Vernetzung" polizeilicher DNA-Datenbanken. Und so hoch die Hürden gegen staatlichen Missbrauch der Daten in der Bundesrepublik auch sind, die technischen Perspektiven können durchaus beunruhigen. Immer wieder gibt es, vor allem nach grausamen Morden an Kindern, die Forderung, die Gendatenbank erheblich auszuweiten - und machbar wäre inzwischen durchaus, was vor 20 Jahren noch kriminalistische Science-Fiction gewesen wäre.

© SZ vom 16.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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