Ermittlungen gegen Polizisten:Mangel an Beweisen

Sicherheitsvorkehrungen

Ermittlungen gegen Polizisten

(Foto: Lukas Barth)
  • Marta Weber wird von ihrem Partner, einem Kriminalbeamten, angegriffen und schwer verletzt.
  • Dass der mutmaßliche Täter von Beruf Polizist ist, macht die Sache pikant, denn die Staatsanwaltschaft muss sich fragen lassen, warum sie nicht engagierter ermittelt hat.

Von Bernd Kastner

Ein Mann und eine Frau streiten sich, am Ende liegt die Frau am Boden des Wohnzimmers, ihr Unterkiefer ist zweimal gebrochen. Noch heute leidet Marta Weber (Name geändert) unter den Folgen. Der Beschuldigte, der damalige Partner Marta Webers, ist von Beruf Polizist, Kriminalbeamter. Und das macht den Fall pikant. Denn die Staatsanwaltschaft muss sich fragen lassen, warum sie nicht engagierter ermittelt hat und kein Gericht über Schuld oder Unschuld entscheiden lassen will. Zumal eine Zivilrichterin am Landgericht von "vorsätzlicher Körperverletzung" ausgeht. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft beteuert: "Wir ermitteln ohne Ansehen der Person." Ob ein Beschuldigter Polizist sei, habe "keine Relevanz".

Marta Weber, heute 53 Jahre alt, hat selbst keine Erinnerung an den entscheidenden Moment, damals, in ihrem Haus südlich von München. Sicher ist nur, dass sie und ihr damaliger Partner den Abend über Alkohol getrunken haben und immer heftiger in Streit geraten sind. Unmittelbare Zeugen gibt es nicht, nur das, was Frank Maier (Name geändert) hinterher anderen über sein Handeln gesagt hat. Wörtlich dokumentiert ist, wie Maier mit der Notrufzentrale telefoniert und von einem "Haken" spricht, den er ihr "reflexartig" gegeben habe, nachdem sie ihn angegriffen habe. Ähnlich soll sich Maier gegenüber der Tochter seiner Partnerin geäußert haben, die im Haus war: "Es tut mir leid, es ging jetzt nicht mehr anders, ich musste ihr jetzt einen Haken geben." So gab es das damals 15-jährige Mädchen zu Protokoll.

Kripobeamte ermitteln gegen einen Kollegen

Bei den anschließenden Ermittlungen, fällt vor allem auf, was alles nicht versucht wurde, um das Geschehen zu klären. Es sind Beamte der Münchner Kripo, die ermitteln - gegen einen Beamten der Münchner Kripo. Das war bis Februar 2013 so üblich, das Innenministerium hatte sich über Jahre geweigert, mit internen Ermittlungen andere Polizeistellen zu betrauen. Die Kripokollegen des Beschuldigten verzichten darauf, den Sohn Frau Webers zu befragen, obwohl der sich im Haus aufgehalten hat. Und sie wollen auch nichts von Webers Ex-Mann wissen. Beiden hat der beschuldigte Polizist kurz nach dem Vorfall seine Version berichtet, dem einen direkt, dem anderen am Telefon. Die ermittelnden Kollegen holen auch kein medizinisches Gutachten ein, um die Ursache des Kieferbruchs zu klären.

Der Polizist selbst äußert sich erst gut ein Jahr nach der verhängnisvollen Nacht, er lässt seinen Verteidiger sieben Seiten schreiben: Aus dem ursprünglichen "Haken" wird jetzt eine "Abwehrbewegung". Zuvor habe ihm die Frau barfuß gegen das Schienbein getreten und ins Gesicht geschlagen und überhaupt sehr provoziert.

Die Staatsanwaltschaft München II stellt das Verfahren ein, Grund: Die Version des Polizisten lasse sich nicht widerlegen, es sei nicht mit der nötigen Sicherheit ein rechtswidriges Handeln des Beschuldigten feststellbar. Wie sicher ein Ermittlungsergebnis sein muss, um eine Anklage zu rechtfertigen, liegt im Ermessen der Staatsanwaltschaft. Sie kann im Zweifelsfall den Daumen heben oder senken. Sie hebt ihn zugunsten des Polizisten und schenkt der via Verteidiger vorgetragenen Version ("Abwehrbewegung") mehr Glauben als seinen eigenen, spontanen Äußerungen nach dem Vorfall ("Haken").

Zwei Jahre sind inzwischen vergangen

Webers Anwalt Stephan Tschaidse legt Beschwerde ein, die Ermittlungen werden wieder aufgenommen. In Runde zwei werden Webers Sohn und ihr Ex-Mann befragt - inzwischen sind mehr als zwei Jahre vergangen. Beide erklären, dass Maier ihnen gegenüber von einem "Haken" gesprochen habe. Ein medizinisches Gutachten aber geben die Ermittler noch immer nicht in Auftrag. Es ist Frau Weber, die eines anfertigen lässt. Der Gutachter nimmt an, dass eine kräftige stumpfe Gewalteinwirkung, wie sie ein Haken erzeuge, wahrscheinlich sei. Dennoch, die Staatsanwaltschaft stellt zum zweiten Mal ein: keine neuen Erkenntnisse, Version des Polizisten nicht zu widerlegen.

Wieder legt Webers Anwalt Beschwerde ein, wieder werden die Akten geöffnet, Runde drei der Ermittlungen beginnt. Jetzt erst gibt die Staatsanwaltschaft von sich aus ein medizinisches Gutachten in Auftrag. Auch der Rechtsmediziner der Uni hält einen zielgerichteten Faustschlag für wesentlich wahrscheinlicher als eine Abwehrbewegung. Dennoch stellt die Staatsanwaltschaft zum dritten Mal ein: Zwar sei das Gutachten schlüssig, aber die Version des Polizisten sei auch nicht ausgeschlossen. Es bestünden Restzweifel, die auch in einer Gerichtsverhandlung nicht auszuräumen wären. Soweit das Urteil der Staatsanwaltschaft, weshalb erst gar kein Richter ein Urteil zu fällen brauche.

Ihr Anwalt arbeitet minutiös an dem Fall

Wieder beschwert sich der Anwalt Webers, doch ehe die übergeordnete Generalstaatsanwaltschaft antwortet, tut sich etwas im parallel laufenden Zivilverfahren vor dem Landgericht München II. Dort geht es um Schmerzensgeld, das Frau Weber einfordert. Ihr anderer Anwalt, Stefan Beulke, arbeitet minutiös die Aussagen in den beiden Verfahren auf, weist auf Widersprüche in den Behauptungen des Polizisten hin. Das Zivilverfahren wird zu einem Ersatz-Strafprozess. Erstmals dürfen Zeugen vor einem Gericht aussagen, inzwischen sind gut drei Jahre vergangen. Die Richterin lädt auch jene Zeugen, die Polizei und Staatsanwaltschaft nur widerwillig befragt haben, so bekommt sie einen unmittelbareren Eindruck als der Staatsanwalt. Noch im Saal lässt die Vorsitzende durchblicken, dass sie die Einschätzung der Staatsanwaltschaft nicht teile, und dann, es ist Ende April, gibt sie dies zu Protokoll: "Nach vorläufiger Würdigung des bisherigen Beweisergebnisses geht das Gericht von einer vorsätzlichen Körperverletzung ("Haken") aus."

Konsequenzen? Nicht, wenn es nach der Justiz geht. Denn wenige Tage später erklärt der Generalstaatsanwalt, dass die dreimalige Einstellung in Ordnung sei, es gebe nichts zu beanstanden an der Staatsanwaltschaft. Das Landgericht, das ein strafbares Delikt annimmt, wiederum schlägt diese Lösung vor: 5000 Euro Schmerzensgeld für Frau Weber, dafür akzeptiert sie die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen den Polizisten, der mal ihr Partner war. Damit hätte die Justiz ihr Problem mit dem Kripobeamten gelöst, ohne dass ein Strafgericht darüber befindet. Nein, sagt Frau Weber. Auf diesen Deal werde sie sich nicht einlassen. Sie wolle, dass ein Gericht in öffentlicher Verhandlung zu klären versuche, wie damals ihr Kiefer gebrochen wurde.

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