Bin Ladens Geheimpapiere:Wo al-Qaida Deutschlands Schwachstellen vermutete

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Etwa hundert Dokumente aus dem Besitz Osama bin Ladens geben Einblick in die Lebens- und Gedankenwelt des 2011 getöteten Terrorchefs. (Foto: AFP)
  • Die US-Regierung hat Dokumente aus dem Besitz des 2011 getöteten Al-Qaida-Chefs Osama bin Laden veröffentlicht.
  • Ein Papier beschäftigt sich mit Deutschland (PDF). Es enthält Wirtschaftsdaten und Empfehlungen, wie Deutschland zu einem Abzug seiner Truppen aus Afghanistan gebracht werden kann.
  • Eine Handlungsempfehlung lautet, Angst unter Journalisten zu verbreiten. Das würde dazu führen, dass sie die öffentliche Meinung gegen den Afghanistan-Einsatz beeinflussten.

Von Nicolas Richter, Washington

Der frühere Chef der Terror-Organisation al-Qaida, Osama bin Laden, hat sich offenbar intensiv mit Deutschland befasst. In einem Schriftstück, das bei Bin Laden gefunden wurde und das die US-Regierung am Mittwoch veröffentlichte, wird der Abzug deutscher Truppen aus Afghanistan als eines der Ziele ausgegeben.

Um dieses Ziel zu erreichen, wird angeregt, deutsche Journalisten ins Visier zu nehmen. "Wenn die Medien Angst haben, dann fällt die Barriere zwischen der Wahrheit und dem Volk", schreibt der Autor des Schriftstücks. Die Journalisten sollten um ihr Leben fürchten, dann würden sie in ihren Veröffentlichungen jene Politiker unterstützen, die sich für einen Abzug deutscher Truppen aus Afghanistan starkmachten, heißt es.

Es ist unklar, ob Bin Laden den Brief geschrieben hat oder ob er von einem Anhänger stammt. Der Autor beschäftigt sich intensiv mit der deutschen Wirtschaft und Politik, aber auch mit der deutschen Psyche. Die Bundesrepublik sei verwundbar, wenn man ihre Automobilindustrie boykottiere, heißt es. Dies würde zum Verlust von Arbeitsplätzen führen, zum Rückgang der Steuereinnahmen und zu diversen "anderen Schäden". Es werde einen "Domino-Effekt" auslösen. Die Stahlindustrie werde leiden, aber auch die deutsche Chemieindustrie, zum Beispiel der Konzern BASF.

Der Brief nennt Exportzahlen aus dem Jahr 2008 und nennt verschiedene "Wirtschaftskrisen", was darauf hindeutet, dass das Schriftstück nach der Wirtschaftskrise von 2008 und 2009 entstanden sein muss. Wen der Autor zum Boykott deutscher Waren aufruft, ist nicht ganz klar, es dürfte sich aber um die islamische Welt, beziehungsweise arabische Leser handeln. Deutsche Autos seien zu ersetzen durch Autos aus Japan oder Korea, bemerkt er.

Auch mit spezifisch deutschen Sensibilitäten scheint sich Bin Laden auseinandergesetzt zu haben. Der Brief rät, in Deutschland nicht über "Juden und Palästina" zu sprechen, denn dies sei für die Deutschen ein "sehr heikles Thema" und es würde sich "negativ auf unsere Ziele auswirken", darüber zu reden. Stattdessen wirbt der Autor für Überzeugungsarbeit. "Wenn wir in der Lage sind, dem Volk zu erklären, dass wir mit Deutschland sind, und dass wir sie nur aus Afghanistan raushaben wollen, dann wird das Volk unsere Haltung verstehen, so Gott will." Der Brief stammt, in englischer Übersetzung, aus einem Konvolut von etwa hundert Dokumenten, die Amerikas Geheimdienstzentrale am Mittwoch im Internet veröffentlicht hat. Dem Office of the Director of National Intelligence (ODNI) zufolge wurden die Dokumente in Pakistan sichergestellt, als eine US-Spezialeinheit im Jahr 2011 das Haus Bin Ladens stürmte. Der Al-Qaida-Chef wurde bei dem Einsatz erschossen.

Die Briefe Bin Ladens gewähren Einblick in sein Denken und in sein Leben im Versteck. Der Terrorchef war nach dem Angriff der USA auf Afghanistan Ende 2001 abgetaucht. Mit der Veröffentlichung wollen US-Präsident Barack Obama und der amerikanische Kongress für größere Transparenz sorgen.

© SZ vom 21.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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