"In der Haut der Anderen" auf Arte:Des Teufels Pianist

In der Haut des Anderen

Szene aus "In der Haut der Anderen": Am Abend des großen Konzertes fällt Philippe (Jonathan Zacca•, re.) in Ohnmacht.

(Foto: Beno"t Linder / Arte France)

Wenn Verstand zum Verhängnis wird: In der TV-Miniserie "In der Haut der Anderen" gerät ein Pianist in eine Identitätskrise. In der Partitur seines Lebens stehen am Schluss statt Noten nur lauter Fragezeichen.

Von Benedikt Frank

Es wirkt wie ein böses Omen, wenn Philippe zu Beginn seinen Ehering von der Hand streifen muss. Ein Versicherungsangestellter hat ihn dazu aufgefordert. Die Hände des erfolgreichen Pianisten sind jetzt Millionen wert, der Ring ist ein Unfallrisiko und damit ein Vertragsbruch. Doch nicht sein Handwerk wird Philippe zum Verhängnis, sondern sein Verstand. Die französische Mini-Serie "In der Haut des Anderen" führt langsam in den Albtraum der Identitätskrise.

Bei der Probe ist Phillippe nervös. Ein Ton klingt falsch, da ist er sich ganz sicher, auch wenn der Klavierstimmer ihm Gegenteiliges bescheinigt. Seine Frau Astrid reicht ihm zu Hause auf der Überraschungsparty zu seinem 40. Geburtstag das Baby eines Bekannten; das Paar wünscht sich seit Jahren ein eigenes.

Doch Philippe erstarrt vor Schreck: Für einen Moment war ihm, als färbte sich das Weiß der Augen des Kinds in teuflisches Schwarz. Immer öfter halluziniert er nun einen kleinen Jungen. Ist das der Stress vor seiner großen Premiere, oder scheut er sich im Innern doch vor eigenem Nachwuchs?

Alles läuft auf eine furiose Montagesequenz während Phillippes Konzert zu. Die Kamera dreht sich schwindelerregend auf der Bühne; sie taucht in den Flügel ein, während dessen Hämmer auf die Saiten schlagen, Druckerpressen klacken im rasenden Rhythmus dazu - und dann ist plötzlich alles anders: Philippe bricht im Konzertsaal zusammen und erwacht in der Druckerei als ein Anderer, als ein einfacher Arbeiter namens Marc, an dessen Leben er jedoch keine Erinnerung hat, Marcs Frau und Sohn sind ihm fremd.

Die Kamera ist dabei stets nah am Hauptprotagonisten und täuscht die Zuschauer, wie dessen Wahrnehmung ihn selbst trügt. Zwischendurch vermittelt die Geschichte scheinbare Sicherheit, wird zur einfühlsamen dramatischen Erzählung über einen Kranken, der sich auch mit martialisch anmutenden Therapiemethoden gegen seine Wahnvorstellungen wehrt. Der darum ringt, die Welt um ihn verstehen zu können, und nur wieder ein normales Leben führen will, ohne die Familie, die er glaubt zu lieben, zu verletzen.

Die Mutter ist keine Hilfe

Doch durch die Perspektive kommt ein grundsätzlicher Zweifel, was denn nun die wirklich wahre Wahrheit ist, immer wieder ins Bewusstsein zurück: Ist Marc tatsächlich er selbst, der proletarische Bruder des wohlhabenden Philippe? Ist er vielleicht darüber, sein weniger glückliches Dasein kompensieren zu wollen, verrückt geworden?

Oder ist Philippe Opfer einer Intrige seines Zwillings Marc? Dieser starb als Kind bei einem Autounfall, ist sich Phillippe sicher. Doch was, wenn er irgendwie überlebte und sich nun als Doppelgänger rächt?

Die senile Mutter, die dauernd die Namen ihrer beiden Söhne verwechselt, ist dabei keine Hilfe. Von ihr führt eine weitere Fährte zu einem verborgenen Kindheitstrauma. Oder ist das wieder nur eine Finte und tatsächlich Übernatürliches im Spiel?

Der Regisseur Xavier Palud verwebt viele Ebenen zu einem Labyrinth, baut mögliche Auswege auf, um sie in sich zusammenfallen zu lassen. Szenen, die schon fast ein Happy End ankündigen, entgleiten subtil: Erst ändert sich die Mimik des Gegenübers, ein leichtes Crescendo liegt auf der Atmosphäre, bis die sich mit Knall entlädt. Eine Partitur, in der statt Noten Fragezeichen stehen.

"In der Haut der anderen", Arte, 20.15 Uhr. Alle drei Folgen am Stück.

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