Wolfsburgs Dieter Hecking:Ein Titeltrainer? Der?

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Dieter Hecking: Kann sich auch über sich selbst amüsieren (Foto: AFP)
  • Der "King" bringt den Pokal: Vielen galt Wolfsburgs Dieter Hecking einst als biederer Coach, mit 50 Jahren feiert er nun seinen ersten Titel.
  • Was ihn ausmacht: Die Kunst, einfach Dieter Hecking zu sein.
  • Auch wenn er beim 3:1 gegen Borussia Dortmund nicht auf dem Platz stand, hat Hecking jedes Tor vorbereitet.

Von Christof Kneer, Berlin

Der Mann, der als Dieter Hecking angekündigt wurde, betrat also den Saal, er nahm dort vorne auf dem Podium Platz, wo nach den Spielen immer die Trainer sitzen. Die Ähnlichkeit mit Dieter Hecking war auffällig, Gesicht und Größe passten. Dieser Dieter Hecking war gut gemacht, selbst seine Stimme klang der des originalen Hecking zum Verwechseln ähnlich, aber zwei Details passten nicht. Die Mütze. Und das Shirt. Würde Dieter Hecking, dieser trockene Typ, so ein albernes Ding aufsetzen, mit der Aufschrift "King"? Und würde er in so ein Pokalsiegertrikot schlüpfen, zur Show und oder weil es gute Bilder gibt?

Wie man inzwischen weiß, lautet die Antwort: Warum eigentlich nicht?

Dieter Hecking sah verkleidet aus, als er sich nach dem Pokalsieg seines VfL Wolfsburg vor die Presse setzte, das fühle sich "wahnsinnig bekloppt an", sagte er, fest entschlossen, sich über sich selbst zu amüsieren. "Ich habe immer gesagt: Mit 50 will ich meinen ersten Titel gewonnen haben, und noch bin ich ja 50." Bis zum 12. September ist er es noch. Dann wird er 51.

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Heckings größte Trainerleistung: Hecking zu sein

Hecking liegt im Plan, aber es ist ein Plan, den er mehr so privat gefasst hat. Er hat das zwar auch immer wieder öffentlich gesagt, gerne in der dritten Person, ein Dieter Hecking wolle auch mal was gewinnen, sagte er dann. Die Öffentlichkeit hat das aber nur am Rande wahrgenommen, Hecking, das ist doch der Trainer, der mal in Nürnberg, Hannover und Aachen war, sicher kein Schlechter, aber Titel? Der?

Ja, der. Dieter Hecking hat nachweislich kein Tor geschossen beim 3:1 des VfL Wolfsburg gegen Borussia Dortmund, aber auf seine Art hat er jedes dieser Tore vorbereitet. Vereinfacht gesagt, besteht Heckings Trainerleistung darin, Hecking zu sein. Man würde diesen Trainer sehr gerne authentisch nennen, wenn "authentisch" nicht so ein scheußliches Modewort wäre, das man als Adjektiv ebenso strikt ablehnen muss wie "nachhaltig". Wobei: Nachhaltig ist Hecking wahrscheinlich auch.

Dieter Hecking sei "in sich stimmig", sagt ein junger deutscher Trainer, der unter Hecking hospitiert hat. Spieler merken schnell, ob's ihr Trainer nötig hat, ob er etwas darstellen will, was er nicht ist, ob er Siege auf sich bezieht oder ob er teilen kann. Sie registrieren auch genau, wenn ein Trainer sich traut, einen spektakulären PR-Transfer wie den des Weltmeisters André Schürrle auf die eigene, unspektakuläre Art zu behandeln. Hecking findet halt, dass Daniel Caligiuri dem Team zurzeit mehr hilft, und weil er das findet, lässt er den Weltmeister draußen.

Wer immer bisher mit Hecking gearbeitet hat, lobt seine Menschen- und Mannschaftsführung, und auch wenn das theoretische Begriffe sind, so hat ein Blick auf den Rasen doch genügt, um sich ein Bild davon zu machen.

Dort unten spielte eine Elf, die überhaupt nicht dadurch zu kränken war, dass der BVB schon nach fünf Minuten durch Aubameyang in Führung ging. Es war auch nicht zu erkennen, dass es die Elf groß gestört hätte, als Dortmunds Reus später fast das 2:0 erzielt hätte. Die Wolfsburger spielten einfach auf völlig selbstverständliche Weise weiter, sie spielten direkt, klar und mit erheblicher Energie, sie sahen überhaupt nicht ein, warum sie das Zutrauen in ihre Qualitäten verlieren sollten.

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Naldos selbstbewusstem Freistoß folgte Luiz Gustavos selbstbewusster Nachschuss zum 1:1 (22.). Es folgte Kevin De Bruynes selbstbewusster Schuss zum 2:1 (33.). Kurz darauf köpfelte Bas Dost selbstbewusst zum 3:1 (38.) ein, nach einer Flanke von Ivan Perisic, die auch recht selbstbewusst aussah.

Dieter Hecking hat da eine Mentalitätsmannschaft aufs Feld gestellt, die sehr zum Missvergnügen der Rivalen bisher keines jener Merkmale erkennen lässt, das man Werksteams gerne nachsagt. Kein Spieler erweckt im Moment den Eindruck, als treibe er Sport in einer Komfortzone (ein Bayer-Leverkusen-Wort), in der es ganz okay ist zu gewinnen, aber auch nicht gar so schlimm, wenn man mal verliert.

Hecking ist ein anderer Trainer als Guardiola oder Favre, die das Spiel bis ins Aller-Innerste verfolgen und 77 Pläne ausbaldowern, bevor sie den 78. Plan in Auftrag geben. Er ist aber auch nicht der biedere Coach, für den ihn viele eine Weile hielten. Er schnürt seinen Spielern ein taktisches Korsett, er lässt sie aber auch atmen. So hat er ein Milieu geschaffen, in dem ein Spieler wie Kevin De Bruyne seine Räume auf dem Feld auch mal eine Weile suchen darf, bevor er mal eben das Spiel entscheidet.

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Kevin De Bruyne ist der Spieler, den Hecking gebraucht hat, um zum ersten Mal in seinem Trainerleben eine alberne Mütze aufsetzen zu dürfen. Heckings Art ist ja auch deshalb plötzlich titeltauglich, weil seine Art plötzlich mit titeltauglichen Spielern in Berührung kommt. De Bruyne ist ein Gesamtkunstwerk aus Tatkraft, Wucht und spielerischer Klasse, er kann auch einem großen Spiel seinen Willen aufzuzwingen, anders womöglich als Marco Reus, der sich dem Willen von großen Spielen gern mal beugt.

Beim BVB haben sie nach dem Spiel eine heimliche Runde vor sich hingeflucht, sie haben sich noch mal daran erinnert, dass sie mit diesem De Bruyne schon einig waren, bis es Chelseas Trainer José Mourinho einfiel, ihm die Freigabe für den BVB zu verweigern - angeblich, weil er sauer war, dass er den Dortmunder Lewandowski nicht gekriegt hat (der aber bereits den Bayern versprochen war).

So dürfen sich jetzt die Wolfsburger an einem Spieler erfreuen, der an Hennes Weisweilers kategorischen Imperativ erinnert. "Ne Ruuude will ich hann!" - so soll der legendäre Trainer einst den rotblonden Winnie Schäfer gefordert haben, was auf jene leider nie wissenschaftlich erforschte These anspielt, wonach die Rotfärbung des Schopfes mit einer feurigen Färbung des Temperaments einhergeht (siehe auch: Boris Becker, Matthias Sammer). Rotköpfchen und der Wolf, so lautet der Untertitel dieser Final-Geschichte.

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In Berlin zeigte sich eine Elf, die dank Heckings Art und De Bruynes Klasse so intakt wirkt, dass sie offenbar auch mit Schicksalsschlägen wie dem Unfalltod des beliebten Mittelfeldspielers Junior Malanda umgehen kann. Im Gedenken an den im Januar verunglückten Belgier trugen die Wolfsburger ein Finaltrikot, das auf der linken Brust Malandas Rückennummer "19" in einem kleinen grünen Herzen zeigte. "Ich habe in der Halbzeit gesagt: Wenn uns die Kraft ausgeht, dann haben wir noch einen zwölften Mann, der hilft uns heute", erzählte Hecking später. Es klang weder kitschig noch peinlich und auch nicht so, als habe hier einer das Spiel überfrachtet. Es klang einfach nach Dieter Hecking.

© SZ vom 01.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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