Terrorgesetze: Auszeit für NSA:Der große Bruder macht Pause

Founder of Code Pink protests against U.S. President Barack Obama and the NSA before arrival at Department of Justice in Washington

Nach den Enthüllungen von Edward Snowden protestierten auch in den USA mehr und mehr Bürger gegen die Kontrolle der Kommunikation.

(Foto: Larry Downing/Reuters)

Ein US-Senator stoppt die Überwachungspraxis der Geheimdienste. Dies gilt zwar nur vorübergehend, aber es ist bezeichnend für den Stimmungswandel im Land.

Von Nicolas Richter

So mächtig der Überwachungsstaat auch wirkt - manchmal gerät er in Not, wenn nur ein einziger Mann aufsteht. Am Sonntagabend steht wieder einmal Rand Paul auf. Der kraushaarige Senator aus Kentucky steht auf dem blauen Teppich des US-Senats und redet gegen Terrorparanoia und Regierungskontrolle an. "Wer behauptet, dass die Welt untergeht und die Dschihadisten uns überrennen, der möchte uns nur erschrecken", sagt Paul, ein libertärer Republikaner. "Nach und nach haben wir es zugelassen, dass uns unsere Freiheit abhanden kommt."

Es ist ein dramatischer Abend im Parlament. Um Mitternacht laufen einige Sicherheitsvorschriften aus der Anti-Terror-Ära aus, den Jahren nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Sollte sich der Senat an diesem Abend nicht darauf einigen, diese Gesetze zu verlängern, dann wäre Amerikas Überwachungsapparat nach der Geisterstunde um einige Befugnisse ärmer. Und das amerikanische Volk, so warnt jedenfalls Präsident Barack Obama, nicht mehr in Sicherheit. Aber Senator Rand Paul ist unbeeindruckt: Mit einem parlamentarischen Verfahrenstrick verhindert er am Sonntag eine kurzfristige Verlängerung der Sicherheitsbefugnisse. Damit ist der hoch umstrittene Abschnitt 215 des "Patriot Act"-Gesetzes seit dem frühen Montagmorgen erst einmal Geschichte.

Zum ersten Mal seit dem Herbst 2001 sind nun die ansonsten schier grenzenlosen Möglichkeiten des US-Überwachungsapparats eingeschränkt. Zum ersten Mal seit beinahe 14 Jahren können die Amerikaner am Montag mit ihren Freunden, Großeltern oder Liebhabern telefonieren, ohne dass der Staat die Verbindungsdaten automatisch abspeichert. Wenn die Bundespolizei FBI jetzt einen Terrorverdächtigen verfolgt, kann sie sich nicht einfach in der staatlichen Sammlung bedienen, sondern muss sich - wie in alten Zeiten - einen Richterbeschluss besorgen und die Daten bei den Telefonfirmen anfordern. Zum ersten Mal seit 2001 ist der Staat nicht allwissend. Das Weiße Haus nennt dies noch am Sonntagabend "unverantwortlich".

Der Überwachungsstaat ist damit nicht am Ende; schon an diesem Dienstag dürfte der Senat über ein Nachfolgegesetz verhandeln. Aber der Streit über diese Reform, bis hin zum vorübergehenden Auslaufen der Vorschriften, offenbart doch ein verändertes politisches Klima in Amerika. Anders als während des ersten Jahrzehnts nach dem Terror von 9/11 besteht kein Konsens mehr darüber, dass der Staat so gut wie alles darf, wenn er Verdächtige verfolgt.

Jedes alltägliche Telefonat gilt seit 2001 als bedeutsam für die Terroristenjagd

Die Geschichte dieses Sinneswandels beginnt mit Edward Snowden. Im Sommer vor zwei Jahren enthüllt der Whistleblower, wie maßlos die National Security Agency (NSA) Telefon und Internet überwacht. Die Amerikaner sind verblüfft. Der Gesetzestext des "Patriot Act" von 2001 ist natürlich öffentliches Gut, aber kaum jemand wusste, wie weit die Regierung ihre Überwachungsbefugnisse auslegt: Demnach gilt jedes alltägliche Telefonat als "relevant" für die Terroristenjagd, die Daten werden fünf Jahre lang gespeichert. Offenbar hat die Regierung diese Daten zwar nicht missbraucht, aber die Sammlung hat auch nicht einen Anschlag verhindert.

Ein halbes Jahr nach den Snowden-Enthüllungen legt Präsident Obama Anfang 2014 Reformideen vor. Während er an der Spionagepraxis im Ausland kaum etwas ändert, kommt er immerhin seinen eigenen Bürgern entgegen: Sie sollen, symbolisch zumindest, ihre Verbindungsdaten zurückerhalten. Künftig soll nicht mehr die NSA sämtliche Verbindungsdaten speichern, sondern die Telefongesellschaften. Möchte der Staat wissen, mit wem ein Verdächtiger telefoniert hat, muss er sich einen Gerichtsbeschluss besorgen und die Daten bei diesen Firmen anfordern.

Einigen Republikanern gehen die Pläne zu weit. Sie fordern mehr Rechte für Ermittler

Das US-Repräsentantenhaus hat sich diesem Kompromiss zwischen Freiheit und Sicherheit angeschlossen und ein Gesetz namens "USA Freedom Act" (Freiheitsgesetz) verabschiedet. Demnach sollen die alten Generalvollmachten aus Abschnitt 215 des Patriot Act nur noch für eine Übergangszeit gelten. Anschließend sollen die Telefonfirmen die Daten sammeln. Der Senat als zweite Parlamentskammer aber hat sich nicht darauf einigen können, dieses Gesetz zu billigen. Besonders die Falken unter den Republikanern befürchten, dass die neue Rechtslage den Sicherheitsapparat schwächen würde. Sie warnen davor, dass viel Zeit vergehen könnte, bis die Daten verfügbar sind. Der Senat dürfte den "Freedom Act" deswegen nur mit Ergänzungen billigen, um die Strafverfolger zu stärken. Diesen Änderungen müsste wieder das Abgeordnetenhaus zustimmen.

Die Auseinandersetzung spiegelt den Zwiespalt des ganzen Landes. Die freiheitsliebenden Amerikaner haben die Enthüllungen Snowdens mit Unbehagen zur Kenntnis genommen, fürchten aber auch, ein weiteres Mal Anschläge wie die vom 11. September erleben zu müssen. Besonders offensichtlich ist dieses Dilemma in der Republikanischen Partei. Einerseits hat sie das Reformgesetz "USA Freedom Act" im Repräsentantenhaus durchgesetzt. Es ist also ausgerechnet die Partei des Hochsicherheitsstaats, die dem Staat nun die Telefondatenbank entreißt. Aber nun geht die Reform den Falken viel zu weit, während sie einem Libertären wie Rand Paul nicht weit genug geht. Mit seinem kleinen Aufstand am Sonntag, sagt er, habe er ein Zeichen setzen wollen gegen die Reform, die letztlich nichts ändere. Sie ersetze ja nur einen staatlichen Datenwust durch einen privat verwalteten Datenwust.

Rand Paul setzt darauf, dass er als Kämpfer für die Bürgerrechte im Zeitalter der Massenüberwachung und als Anführer einer jungen, parteiübergreifenden Koalition freiheitsliebender Amerikaner Präsident werden kann. Immer wieder profiliert er sich mit zwölfstündigen Dauerreden gegen Drohnenkrieg oder NSA-Spionage. Aber unter seinen Parteifreunden wirkt er oft sehr einsam, was ihm in den Vorwahlen für die Präsidentschaft schaden könnte. "Er ist ungeeignet, US-Präsident zu werden", sagt der Alt-Falke John McCain über ihn. Paul wiederum wählte am Sonntag drastische Worte für seine Gegner: "Manche in dieser Stadt wünschen sich insgeheim einen Terrorangriff auf die USA, damit sie mich dafür verantwortlich machen können."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: