Deutscher Kolonialismus:Das falscheste Gesindel

"Unschuldiges Blut hängt ihr auf": Der Fall des charismatischen Kameruners Rudolf Manga Bell ist ein brutales Beispiel für den deutschen Kolonialismus.

Rezension von Tim Neshitov

Deutscher Kolonialismus: Christian Bommarius: Der gute Deutsche. Die Ermordung Manga Bells in Kamerun 1914. Berenberg Verlag, Berlin 2015. 152 Seiten, 20 Euro.

Christian Bommarius: Der gute Deutsche. Die Ermordung Manga Bells in Kamerun 1914. Berenberg Verlag, Berlin 2015. 152 Seiten, 20 Euro.

"Neger", so stand es 1885 in Brockhaus' Conversations-Lexikon, "in der volkstümlichen Sprache Mohr (entstanden aus dem lat. Maurus, wie im Altertum die dunkelfarbigen Bewohner Nordwestafrikas hießen), nennt man die schwarzen, wollhaarigen Bewohner Afrikas.

Dieselben werden in allen ethnogr. Systemen als eine Hauptrasse von anderen abgesondert und stehen als schiefzähnige Langköpfe (prognathe Dolichocephalen nach Retzius) neben den Papuas auf der niedersten Stufe der Rassenentwicklung."

Gnadenloser Wettlauf

Das war die Stufe der deutschen Entwicklung, als das Kaiserreich sich dem Wettlauf um Afrika anschloss, trotz Bismarcks anfänglicher Bedenken, aber dann doch um so eifriger und gnadenloser. Man wollte in Sachen Kolonien nicht hinter Großbritannien, Frankreich oder Belgien bleiben.

Die Deutschen griffen im Südwesten Afrikas zu (heute Namibia), im Westen (Togo), in der Mitte (Kamerun), im Osten (Tansania mit Burundi und Ruanda). Elfenbein, Kautschuk, Palmöl, abgebrannte Dörfer, vergewaltigte Frauen - die deutsche Kolonialgeschichte ist blutig und dreckig, aber wenig bekannt.

Der Berliner Journalist und Jurist Christian Bommarius hat ein Buch geschrieben, das auf seine Art der Opfer des deutschen Kolonialismus gedenkt, der Opfer des Zweiten Reichs. "Der gute Deutsche. Die Ermordung Manga Bells in Kamerun 1914" schildert populärhistorisch, mit wenig Moralin und reichlich Fakten, die Greuel der Deutschen in Kamerun und den Widerstand der dort beheimateten Ethnien, vor allem der Duala und Akwa.

1884 unterschrieben zwei Hamburger Kaufleute mit den Vertretern der Duala einen "Schutzvertrag": Wir handeln miteinander, aber Gesetzgebung und Verwaltung gehen auf Deutschland über.

So einen Vertrag hätten die Duala auch mit den Engländern abschließen können, aber die Deutschen versprachen, sie würden sich in den profitablen Handel mit dem Hinterland nicht einmischen. "Wir wünschen, dass Weiße nicht hinaufgehen und mit den Buschleuten handeln, sie dürfen nichts mit unseren Märkten zu tun haben", hieß es in der Zusatzvereinbarung der Duala.

Die Deutschen aber gingen hinauf, sie vertrieben die Menschen von ihrem Land, führten Steuern und Prügelstrafen ein. Gouverneur Jesco von Puttkamer hielt die Duala für "das faulste, falscheste und niederträchtigste Gesindel, welches die Sonne bescheinet, und es wäre sicher am besten gewesen, wenn sie bei der Eroberung des Landes wenn nicht ausgerottet, so doch außer Landes gebracht worden wären." Puttkamerun hieß die Kolonie in den Berliner Zeitungen.

Flußpferdpeitschen im Reichstag

Gleichzeitig lernte die einheimische Elite Deutsch, der Nachwuchs wurde nach Deutschland geschickt. So verbringt Rudolf Manga Bell, Enkelsohn des Duala-Königs, der den Schutzvertrag von 1884 unterschrieben hatte, fünf Jahre bei einer Lehrerfamilie in Aalen.

Er wird getauft, besucht die Volks- und die Lateinschule, erlangt die Mittlere Reife am Gymnasium in Ulm. Er liest, während deutsche Soldaten in seiner Heimat einen Aufstand nach dem anderen niedermetzeln, Goethe, Lessing und Schiller.

Weihnachten in Kamerun, 1909

KAMERUN (Westafrika) war deutsche Kolonie seit 1884. Anfang 1916 wurde das Gebiet von britischen, französischen und belgischen Truppen erobert, später von Großbritannien und Frankreich in Interessensphären aufgeteilt.

Im Bild: Deutsche Siedler in der Kolonie Kamerun am Weihnachtsbaum, dabei die schwarzen Angestellten.

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Als er 1897 nach Kamerun zurückkehrt, bescheinigen ihm die Kolonialbeamten Charisma, hohe Intelligenz und europäische Umgangsformen. Eine Schwester des deutschen Regierungsarztes schwärmt von seinen "edlen Zügen", hat allerdings zur Inneneinrichtung seines Palastes einzuwenden, die teuren europäischen Möbel seien "ohne Verständnis und Geschmack so willkürlich durcheinandergestellt, wie es eben nur ein Negergeschmack zu Stande bringen kann".

Das Wichtigste, was Rudolf Manga Bell aus Deutschland mitbringt, ist die Erkenntnis, dass in Deutschland Verträge eingehalten werden. Er fordert, dass die Deutschen auch den Vertrag von 1884 respektieren, protestiert gegen Enteignungen und Strafexpeditionen beim Bezirksamt, beim Gouverneur, beim Reichstag in Berlin.

Man habe 1884 geglaubt, heißt es in einer Beschwerde, dass die Reichsregierung "die Anerkennung der persönlichen Freiheit und der Gleichheit aller Menschen herbeiführe und dann völlige bürgerliche Emanzipation durch den Staat erfolge: aus Untertanen werden Staatsbürger."

Ermordung zu Beginn des Ersten Weltkrieges

Der Reichstag befasst sich mit Kamerun, allerdings erst als im Berliner Tageblatt anonym "Die Tagebuchblätter eines in Kamerun lebenden Deutschen" erscheinen. Da wird zum Beispiel der Einsatz der Flusspferdpeitsche beschrieben: "Ein rohes, gehacktes Beefsteak ist nichts dagegen!"

An den Zuständen in Kamerun ändert die Reichstagsdebatte nichts, auch wenn August Bebel zur Veranschaulichung der kolonialen Brutalität einige Flusspferdpeitschen unter den Abgeordneten verteilt.

Im August 1914, am Beginn des Ersten Weltkriegs, wird Manga Bell in Kamerun des Hochverrats angeklagt und gehängt. Seine letzten Worte sollen gewesen sein: "Unschuldiges Blut hängt ihr auf. Umsonst tötet ihr mich ( ...) Aber verdammt seien die Deutschen."

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