Griechenland:Pro Grexit: Kein Grund zur Panik

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Eine billige Währung könnte Griechenland Starthilfe für mehr Wachstum bieten - auch wenn der Übergang hart wird. (Foto: Bloomberg)

Politisch wäre die Rückkehr Griechenlands zur Drachme eine Niederlage. Ökonomisch läge darin aber eine Chance.

Kommentar von Markus Zydra

Die Europäische Währungsunion war eigentlich für die Ewigkeit konzipiert. Folgerichtig fehlt ein Drehbuch für den Fall, dass ein Land den Euroraum wieder verlässt. Der Ausstieg Griechenlands aus der Währungsunion wäre deshalb angesichts der stark vernetzten europäischen Wirtschaft ein historisch einmaliges Vorhaben. Daraus ergeben sich selbstverständlich Risiken. Niemand kann mit letzter Sicherheit prognostizieren, wie Regierungen, Unternehmen und Bürger mit dem Grexit dann tatsächlich umgingen.

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Aber wenn die griechische Regierung keine andere Möglichkeit mehr sieht, dann muss man das akzeptieren, auch wenn der Austritt Griechenlands aus dem Euroraum politisch eine schwere Niederlage bedeuten würde: Die Idee einer politischen Union Europas hätte Schaden genommen, denn die Eurozone bekäme den Charakter eines Clubs, den man nach Belieben wieder verlassen kann.

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Die Wirtschaft dürfte kaum Schaden nehmen

Doch es erscheint unwahrscheinlich, dass andere Euro-Staaten dem Beispiel Athens folgen würden. Auch aus diesem Grund dürfte Europas Wirtschaft einen Grexit relativ unbeschadet überstehen.

Man könnte die Befürchtungen sogar ins Gegenteil verkehren: Eine Eurozone mit 18 Mitgliedern wäre schon am Tag eins nach dem Ausstieg Athens stabiler und damit überlebensfähiger. Griechenland ist seit Anbeginn der Währungsunion ein Sonderfall in der Eurozone gewesen. Schon der Beitritt Athens 2001 war politisch mehr gewollt als ökonomisch gerechtfertigt. Im Mai 2010 lagen die desolaten Zahlen auf dem Tisch: Griechenland stand vor der Pleite. Mit zwei Rettungspaketen wollten die EU-Regierungen, der Internationale Währungsfonds und die Europäische Zentralbank (EZB) ein Übergreifen der griechischen Malaise auf die gesamte Eurozone verhindern.

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Der Grexit käme alles andere als unerwartet

Doch diese Gefahr besteht nun nicht mehr. Es ist kaum vorstellbar, dass etwa spanische Sparer wegen des griechischen Euro-Ausstiegs sofort panisch zur Bank rennen, um ihr Geld abzuheben und damit einen Kollaps des spanischen Finanzsystems auslösen. Auch in Italien, Irland oder Portugal wird Griechenland als Sonderfall wahrgenommen, nicht zuletzt aufgrund der jüngsten griechischen Verhandlungsstrategie: Athen lehnt genau die harten Wirtschaftsreformen ab, die Spanien und Co. auf Druck der Geldgeber gehorsamst umgesetzt haben. Auch Europas Bankensektor ist sicherer als vor fünf Jahren. Die Zentralisierung der Bankenaufsicht bei der EZB und die Rekapitalisierung der Institute wirken wie eine Brandschutzmauer. Zudem haben Europas Banken im Geschäft mit griechischen Instituten in den letzten Jahren den Grexit stets mitgedacht. Man traut dem Land schon lange nicht mehr. Panik bricht aus, wenn etwas Unerwartetes geschieht. Doch ein Grexit käme alles andere als unerwartet.

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Wenn er eintritt, könnten die Aktienkurse anfangs sinken. Es ist auch gut möglich, dass die Kreditzinsen für Portugal, Italien oder Spanien wieder steigen. Doch zum einen liegen diese Zinsen so niedrig wie nie zuvor - es gibt also Spielraum. Zum anderen stehen die EZB oder der Euro-Rettungsfonds ESM bereit, um Finanzierungskrisen im Keim zu ersticken. Börsianer sind zudem Opportunisten. Sie würden bald merken, dass eine griechische Rückkehr zur Drachme für beide Seiten eine gute Lösung ist.

Athen könnte von der Drachme profitieren

Für Griechenland wäre die Wiedereinführung der Drachme auch eine Chance. Eine billige Währung bietet Starthilfe für Wachstum, auch wenn der Übergang hart wird. Importe verteuern sich, Medikamente und andere lebenswichtige Güter könnten knapp werden. Doch Europa müsste und würde helfen. Griechenland bliebe ja Teil der EU. Dazu kommt der technische Übergang. Der Euro müsste aus dem griechischen Wirtschaftssystem herausgeschält werden. Das beginnt bei Münzautomaten, die umzurüsten wären, bis hin zur Umstellung der Softwaresysteme. Diese Aufgaben sind nicht trivial. Sie stellen aber keine Gefahr für Europa dar.

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Viel schlimmer wäre es, wenn man so weitermachen würde wie bisher: Immer wieder neue, zähe Verhandlungen zwischen Geldgebern und Athen über wirtschaftspolitische Reformen. Mit immer neuem Aufschub. Dann einer Einigung mit neuen Kontrollen, was wieder Streitigkeiten programmiert. Noch katastrophaler wäre ein ungeordneter Grexit.

Die Kosten für den Steuerzahler sind hoch. Deutschland steht für Hellas-Kredite von gut 50 Milliarden Euro gerade. Doch es muss nicht alles Geld verloren sein, auch wenn man Griechenland in den Ausstiegsverhandlungen einen großzügigen Schuldenerlass einräumen würde: als Vademecum für den Neuanfang. Das wäre dann als Preis abzuhaken für die politische Naivität, Griechenland damals mit an Bord zu nehmen. Wer weiß, in einem Jahrzehnt stellt Athen vielleicht gestärkt einen neuen Aufnahmeantrag. Und wenn nicht? Großbritannien und Dänemark fahren mit eigener Währung auch ganz gut.

© SZ vom 09.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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