"Pink-Viagra":So wirkt die neue "Sexpille" für Frauen

Was hat Gicht mit Sex zu tun?

Lustpille schlucken und los geht's im Bett? "Viagra für Frauen" ist umstritten.

(Foto: obs)

Medizinsensation oder Marketingspektakel? Eine neue "Lustpille" soll Frauen zu mehr Spaß im Bett verhelfen. Doch ganz so einfach ist die Sache nicht.

Von Felix Hütten

Pille schlucken und los: Ein neues Medikament soll die Lust der Frau steigern und die Sexmüdigkeit aus den Schlafzimmern vertreiben. Nur klingt der Wirkstoff Flibanserin wenig sexy, deshalb kursiert im Internet schon ein neuer Name: "Pink Viagra".

Nach jahrelangen Tests und klinischen Studien steht das "Viagra für die Frau" in den USA nun kurz vor der Zulassung. Doch der Name ist eigentlich falsch, denn die neue "Lustpille" für die Frau beeinflusst den Serotoninspiegel im Gehirn und hat mit Viagra nichts zu tun. Kurzum, es wirkt im Kopf, nicht in der Unterhose.

Zudem offenbart sich ein zweites Missverständnis: Von einer "Lustpille" kann eigentlich keine Rede sein. Wie die US-Arzneibehörde FDA in einem Gutachten schreibt, ist Flibanserin nicht dafür vorgesehen, normale Schwankungen des persönlichen Lustempfindens zu regulieren. Einfacher formuliert: Wenn eine Frau mal keine Lust auf Sex hat, kann die neue Pille auch nichts tun. Einschmeißen und los - so einfach geht's dann doch nicht. Die Frage ist nur: Wofür soll Flibanserin dann eigentlich auf den Markt kommen?

Medikament mit angstlösender Wirkung

Ähnlich wie bei Viagra für den Mann ist die angebliche Libido-Tablette für die Frau eine Zufallsentdeckung. Denn der Wirkstoff Flibanserin wirkt auf zwei Klassen von Serotonin-Rezeptoren im Gehirn: 5-HT1A und 5-HT2A. Serotonin ist ein wichtiger Botenstoff des Körpers, der Angst, Ruhe und Zufriedenheit reguliert.

Der "Pink Viagra"-Wirkstoff unterstützt insbesondere den 5-HT1A-Rezeptor im Gehirn, dem eine angstlösende Wirkung zugesprochen wird. Dieser Rezeptor ist ein wichtiger Angriffspunkt verschiedener Medikamente, die Angststörungen beheben sollen.

Nur zur Sicherheit: Placebo-Medikamente

Ursprünglich war der Wirkstoff deshalb als Antidepressivum geplant, doch gegen Depressionen wirkt Flibanserin nicht zuverlässig. Angeblich fiel den Forschern in Laborversuchen zufällig ein anderer Effekt auf: Ihre Testtiere zeigten einen gesteigerten Sexualtrieb. So wurde in diese Richtung weiter geforscht.

In drei klinischen Studien bekamen mehr als tausend Frauen das Medikament verabreicht. Um sicher zu gehen, dass das Medikament wirkt, schluckte eine Kontrollgruppe von ebenfalls mehr als tausend Frauen ein Placebo-Medikament. Über 24 Wochen hinweg sollten Frauen ihr Lustempfinden in einem elektronischen Tagebuch festhalten. Teilnahmebedingungen: Die Frauen durften die Menopause noch nicht erreicht haben und mussten mindestens ein Jahr in einer festen, monogamen Partnerschaft leben.

Besonders in Verbindung mit Alkohol kann Flibanserin zu gefährlichen Blutdruckabfällen führen

Das Ergebnis der Studien: Die sexuell befriedigenden Ereignisse - wie guter Sex im Wissenschaftsjargon heißt - nahmen zu. Allerdings nicht so stark, wie sich die Wissenschaftler erhofft hatten. Denn auch Frauen, die in der Vergleichsgruppe wirkungslose Placebopillen schlucken mussten, berichteten von mehr intensiven Momenten im Bett.

Das Ergebnis der Studie weckt Zweifel, ob das neue Medikament zur Behandlung einer sexuellen Luststörung - im Fachjargon "hypoaktive Sexualfunktionsstörung" genannt - geeignet ist. Vermutet wird, dass die Pille zwar das Erlebnis beim Sex steigert, aber keinen Einfluss auf die grundsätzliche Lust hat. Als "Sexpille" für eine heiße Nacht jedenfalls dient das Medikament nicht.

Brauchen Frauen eine solche Pille überhaupt?

Außerdem sorgen sich Mediziner über die Nebenwirkungen des Medikaments: Versuchsteilnehmerinnen der Studien berichteten von Schwindel und Kreislaufproblemen. Besonders in Verbindung mit Alkohol kann die Einnahme von Flibanserin zu gefährlichen Blutdruckabfällen führen, warnt die FDA.

Doch nicht nur die Nebenwirkungen sorgen in Fachkreisen für Diskussionen. Denn viele Mediziner zweifeln grundsätzlich an dem Erkrankungsbild der weiblichen Luststörung. Womöglich brauchen Frauen, die unter Lustlosigkeit im Bett leiden, gar keine Pille, sondern klärende Gespräche.

Im British Medical Journal kritisiert der australische Wissenschaftler Ray Moynihan, dass das Wohl der Frau vorgeschoben werde, um ein Medikament auf den Markt zu bringen, das keine Krankheit heile, sondern Sex-Stereotypen festige und Profit erzeuge. Wenn solche Marketingstrategien überhandnehmen, schreibt Moynihan, würden nicht nur Millionen von Frauen fälschlicherweise als krank erklärt, es gerate auch die Zukunft der seriösen Medikamentenforschung in Gefahr.

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