Griechenland:Warum ein Grexit so schwierig ist

We have no right to bury the European democracy at its birthplace

Was kommt noch alles auf uns zu? Ein Grieche spaziert in Athen an einem Geschäft vorbei, dessen Besitzer aufgegeben hat.

(Foto: dpa)

Griechenland soll schnell aus dem Euro austreten, heißt es immer wieder. Löst sich die Schuldenkrise dann wie von selbst? Und kann ein Land einfach die Währung verlassen?

Fragen und Antworten von Cerstin Gammelin

Grexit! Kaum ein Begriff hat in den vergangenen Monaten europaweit Emotionen ausgelöst wie diese Kombination der englischen Begriffe für Griechenland und Ausstieg. Inzwischen hoffen nicht wenige auf dem Kontinent, dass Athen aus dem Euro aussteigt. Danach, so das kollektive Missverständnis, könne man endlich aufatmen. Dann sei es ein für allemal vorbei mit den seit fünf Jahren anhaltenden Debatten über das kleine Land, das sich vom Urlaubsparadies in ein offenbar nicht zu befriedendes Krisen-Epizentrum gewandelt hat.

Die Realität indes sieht anders aus. Von einem Ende des Dramas oder wohl besser: der Tragödie kann keine Rede sein.

Können die Euro-Länder Griechenland einfach rauswerfen?

Es ist unmöglich, Griechenland per Votum aus dem Euro zu werfen. Einen Automatismus gibt es nicht, etwa im Fall der Pleite eines Landes. Denn die ist in den Verträgen nicht vorgesehen. Jede Änderung am Regelwerk der Europäischen Union bedarf stets der Zustimmung aller - auch des betroffenen Staates. Ohne das Okay aus Athen geht also nichts. Auch nicht am 1. Juli um 00:01 Uhr. Selbst wenn dann das zweite Rettungsprogramm unvollendet auslaufen und die griechische Regierung ein paar Tage später zahlungsunfähig sein sollte, existieren die Beziehungen zwischen Griechenland und den anderen EU-Staaten weiter.

Die Warnung von Finanzminister Wolfgang Schäuble ("isch over") war daher eher rhetorisches Verhandlungsbeiwerk. Die Beziehungen bleiben, müssen aber womöglich neu geregelt werden. Und da jede Änderung des Verhältnisses zwischen souveränen Staaten durch einen Vertrag besiegelt werden muss, kann sich der Status mit Griechenland auch nur per Vertrag ändern lassen - und den muss Athen unterschreiben.

Kann Griechenland einfach aus selbst dem Euro austreten?

Nein. Ein Anrecht, aus der Währungsgemeinschaft auszuscheiden, gibt es nicht. Der Euro ist vorgesehen als gemeinsame Währung, die alle Mitgliedstaaten einführen müssen, wenn die ökonomischen Voraussetzungen vorliegen. Die Einführung ist irreversibel angelegt. Einzig Großbritannien darf das Pfund behalten und Dänemark die Krone, wobei Kopenhagen diese an den Euro gekoppelt hat.

Wie könnte Griechenland dann einen Grexit erreichen?

Die einzige Möglichkeit wäre, dass Griechenland den Euro freiwillig aufgibt, ein Austritt per separatem Vertrag also. Auch der müsste die Unterschriften aller EU-Staaten tragen. Die EU-Kommission als Hüterin der Verträge müsste den entsprechenden Vertrag entwerfen, die Staats- und Regierungschefs beraten und zustimmen. Athen weiß um diese Zwangslage - und nutzt sie aus. Am Montag war nicht zu erfahren, ob an dem Vertragswerk in Brüssel bereits gearbeitet wird.

Griechenland braucht Geld. Könnte die Regierung nicht einfach Euros drucken?

Die Gefahr, dass die griechische Notenbank ohne Erlaubnis der EZB einfach Euro-Noten drucken könnte, besteht praktisch nicht. Euro-Banknoten werden verteilt in Europa gedruckt, allein in Deutschland stehen drei Druckereien dafür. In Griechenland gibt es eine. Jede Druckerei stellt eine Sorte Banknoten her, diese werden nach einem ausgeklügeltem System an die Notenbanken der Euro-Länder verteilt. Wenn die EZB also elektronisch das Limit erhöht, greift die griechische Notenbank auf lagernde Banknoten zurück - sie druckt nicht selbst nach.

Wie kommen griechische Banken noch an Geld?

Durch Nothilfekredite der EZB. Diese Nothilfen werden stets per Knopfdruck elektronisch in Frankfurt verfügt, stark vereinfacht sind sie vergleichbar mit der Erhöhung eines Dispokredits. Dennoch kann die Europäische Zentralbank nicht länger verantworten, dass griechische Bürger und Unternehmer täglich Millionen Euro abheben und zu Hause bunkern - was nur geht, weil die EZB der griechischen Notenbank wöchentlich das Limit für Nothilfen erhöht und Geld zur Verfügung stellt.

Was passiert, wenn die Gläubiger und die griechische Regierung keinen Kompromiss finden?

Die Euro-Partner befürchten einen großen Bank-Run in Griechenland. Um dem Ansturm vorzubeugen, sollen die Banken einige Tage geschlossen werden. Nach deren Wiedereröffnung werden Bargeldverkehr und elektronische Zahlungen limitiert. Doch auch für Kapitalverkehrskontrollen gilt: Athen muss sie gesetzlich beschließen; weder die Euro-Partner noch die EZB sind dazu berechtigt. Spätestens Anfang kommender Woche könnte die Kontrolle des griechisch-europäischen Zahlungsverkehrs beginnen.

Was passiert, wenn die EZB die Hürden für Nothilfekredite erhöht?

Die griechischen Banken könnten nur noch beschränkt Geld ausgeben, weil sie selbst eine vorgeschriebene Eigenkapitalquote einzuhalten haben. Bröckelt das Eigenkapital, müsste die EZB als Aufseherin anordnen, dass sich die Banken rekapitalisieren - oder abgewickelt werden. Athen könnte theoretisch einen Antrag stellen, direkt auf den Euro-Rettungsfonds ESM zuzugreifen, um die Banken zu rekapitalisieren. Praktisch entfällt die Option, weil Finanzminister Schäuble Regeln in das Gesetz hat schreiben lassen, die den direkten Zugriff verhindern. Um an Geld aus dem ESM zu kommen, müsste Athen wieder ein Reformpaket unterschreiben - was als aussichtslos gilt. Pleite wären die Banken sofort, wenn die Garantien des griechischen Staates gegenüber der EZB wertlos würden - was passierte, wenn der Staat selbst nicht mehr zahlungsfähig wäre. Das Worst-Case-Szenario wäre eingetreten.

Doch damit ist nicht zu rechnen. Wenn die Chefetage der EZB am Mittwoch tagt, könnte die beschließen, den griechischen Banken keine Not-Liquidität zu genehmigen. Das wird die EZB nicht tun, ließ ihr Chef Mario Draghi durchblicken. Doch das könnte sich auch ändern

Was machen die anderen Euro-Länder, wenn Griechenland pleitegeht?

Für dieses Worst-Case-Szenario haben die Euro-Partner ein Drehbuch geschrieben. Es liegt griffbereit in den Schubladen. Punkt eins: verhindern, dass der griechische Staat nach einer Pleite zusammenbricht und Aufgaben wie Gesundheitsversorgung, Schulbildung oder Innere Sicherheit nicht mehr erfüllen kann. Punkt zwei: Isolierung des griechischen Bankensystems, beginnend mit Kapitalkontrollen. Punkt drei: sammeln für humanitäre Hilfen an die griechischen Bürger.

Damit ist auch klar: wenn sich die Gläubiger und Athen nicht auf ein Reformpaket einigen können, sind die Europäer weiter in der Verantwortung. Die Währungsfrage spielt in diesem Drehbuch keine entscheidende Rolle.

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