Ausstellung:Der Alleskönner

Peter Gehring war Architekt und Musiker. Die Eröffnung des ihm gewidmeten Museums in seinem einstigen Wohnhaus zeigt: Er war überhaupt einer der vielseitigsten Künstler seiner Zeit. Sein Œvre kann man nun besichtigen

Von Gottfried Knapp

Als nach dem Zweiten Weltkrieg in München am Hartmannshofer Park in der Nähe der Fasanerie gebaut werden durfte, sahen Architekten eine Möglichkeit, auf städtischem Grund Bauten in ländlich einfachem Stil zu errichten. So hat Hans Döllgast, der geniale Improvisator des Münchner Wiederaufbaus, dort die betont schlichte Kirche Sankt Raphael gebaut. Josef Wiedemann, der später der Glyptothek ihre schlüssig vereinfachte Gestalt geben konnte, hat damals für sich und seine Familie ein Haus mit traditionellem Satteldach errichtet. Und nicht weit davon konnte Gustav Gsaenger, der Architekt der Münchner Matthäuskirche, für den Landschaftsarchitekten Alfred Reich ein Haus von ähnlicher äußerlicher Schlichtheit und innerer Schlüssigkeit erfinden.

Gsaenger gruppierte das schmale Wohnhaus mit seinem tief heruntergezogenen Satteldach und das steinerne Gewächshaus mit seinem Plexiglasdach so auf eine der nördlichen Ecken des Grundstücks, dass der als Gartengestalter und Buchautor damals schon bekannte Hausherr das geräumige Gelände ganz nach seinen eignen Vorstellungen gestalten konnte. Er hat dort einen Mustergarten angelegt, der bald schon Gartenpilger anzog. Dass dieses bauhistorisch interessante Ensemble, diese Gemeinschaftsschöpfung zweier wichtiger Baukünstler der Zeit, nie umgebaut, nie vergrößert oder temporären Bedürfnissen angepasst worden ist, ist dem Künstlerpaar Peter und Birgit Andrea Gehring zu verdanken, das nach dem Tod von Reichs Witwe das Haus wie ein Vermächtnis übernommen und seither stilgerecht gepflegt hat. Als mustergültig erhaltenes Haus- und Garten-Ensemble der Nachkriegsjahre ist das Reich-Haus jüngst unter Denkmalschutz gestellt worden.

Der Name Peter Gehring dürfte vielen künstlerisch interessierten Münchnern irgendwann begegnet sein. Einige werden sich möglicherweise an Konzerte oder Opernaufführungen erinnern, in denen ein Mann dieses Namens als Sänger mitgewirkt hat. Andere werden den Namen eher mit Architektur in Verbindung bringen. Und tatsächlich könnte man allein mit Bauten, die Peter Gehring als Architekt, als Partner im Büro von Fred Angerer, entworfen und mit seinem spezifischen Gespür für plastische Werte geformt hat, eine ganze Ausstellung füllen.

Nur Freunden der Gehrings dürfte allerdings bekannt sein, dass Peter Gehring, der Architekt und Musiker, als er im Alter von 47 Jahren starb, auch ein bildnerisches Werk von erstaunlicher Qualität und Vielfalt hinterlassen hat. Wer dieses Werk jetzt in dem wunderbar konservierten, sachlich modernen Baukunstwerk von Gustav Gsaenger und im gepflegten Gartenkunstwerk eines Pioniers der neueren Landschaftsarchitektur erlebt, dem dürfte es schwer fallen, das Wort Gesamtkunstwerk zu vermeiden. Zu lebendig treten drinnen im Wohnzimmer die auf Sockeln platzierten Kleinplastiken und die verspielten Zeichnungen und Materialcollagen mit den sparsam verteilten Möbeln ins Gespräch. Und zu kreatürlich schmiegen sich draußen im Garten die in Bronze gegossenen Großskulpturen in die Nischen der fachgerecht zugeschnittenen grünen Wälle, die das Ensemble nach außen abschirmen.

Wie Gehring in den Stunden, die ihm neben dem Büroalltag blieben, ein künstlerisches Werk dieser Vielfalt schaffen konnte, wird wohl ewig ein Geheimnis bleiben. Er hat beispielsweise sauber zugeschnittene farbige Papierschnitzel auf Blättern geometrisch so geordnet, dass immer wieder die Illusion eines Abhebens in die dritte Dimension entstand. Man kann also glauben, einer abstrakten Baukonstruktion beim Entstehen zuzusehen.

Auch die subtil aus Resten zusammengesetzten Materialbilder und Collagen regen auf heiter entspannte Weise zu gegenständlichen Assoziationen an; sie lassen sich aber auch abstrakt genießen. Und auch bei den Zeichnungen und Aquarellen überzeugen sowohl die minimalistischen Andeutungen von freier abstrakter Farbmalerei als auch die Blätter, auf denen Gehring dem Bau des menschlichen Körpers auf der Spur war. Er hat also auch als Zeichner in jene Richtung gedacht, die er als Bildhauer leidenschaftlich verfolgt hat.

In seinen Architekturzeichnungen konnte Gehring Räume illusionistisch perfekt vors Auge zaubern; als Bildhauer aber hat er den Tiefenraum, den der gestikulierende Mensch beim Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen mit seinen Extremitäten beansprucht, ins Zentrum seiner plastischen Überlegungen gestellt. Beim Nachformen der Bewegungen von Armen und Beinen im Raum dürfte er vom bildhauerischen Werk des Landshuter Großmeisters Fritz König angeregt worden sein. Wie König, für den er das Skulpturenmuseum im Landshuter Hofberg einrichtete, hat er seine plastischen Figuren ausschließlich aus langen konischen Zylindern zusammengesetzt. Doch was er mit diesen abstrahierten Grundformen körpersprachlich auszudrücken vermochte, geht über das Vorbild deutlich hinaus.

Früh schon hat Gehring entdeckt, dass eine plastisch nachgeformte Anatomie sehr viel lebendiger wirkt, wenn der lastende Leib ausgespart bleibt, wenn also Arme, Beine und Kopf allein aufeinander reagieren. Der nur von den Extremitäten und ihren Gesten umschriebene Körper kann eine große Sinnlichkeit entwickeln. In seiner Zeichenhaftigkeit fordert er aber auch zu psychologischen Deutungen heraus, ja manchmal steigert sich der leere Umriss zu schicksalhaftem Ausdruck. Der zu Tode zitierte Satz "Weniger ist mehr" bekommt also in Gehrings Werk seine ursprüngliche Bedeutung zurück.

Das Museum Peter Gehring, Im Eichgehölz 15, ist an diesem Sonntag zu besichtigen; Es bleibt in den beiden folgenden Wochen von 11 bis 17 Uhr geöffnet, dann nur noch sonntags; Telefon 300 23 59

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