Theater:Wartesaal der Angst

Theater: Die Theaterregisseurin Karen Breece.

Die Theaterregisseurin Karen Breece.

(Foto: Toni Heigl)

"Welcome to Paradise": Karen Breece widmet sich dem Los der Flüchtlinge

Von Egbert Tholl

Antworten wird man danach auch keine haben. Oder besser gesagt: keine verbindlichen Lösungskonzepte. Die Antworten, sagt Karen Breece, müsse jeder für sich selber finden. Angebote dafür gibt sie zuhauf.

Breece erschafft mit dem Münchner Volkstheater und einigen von dessen Schauspielern einen Abend, der nicht im Theater selbst stattfindet. Das liegt daran, dass sie grundsätzlich Theater so denkt: Sie will raus, hin zu den Leuten. In diesem Fall wäre sie am liebsten dort hingegangen, wo das Thema behandelt wird, aber die Ministerien und die Verwaltung der Regierungsgebäude in München waren erwartungsgemäß nicht sonderlich begeistert, ihre Häuser für eine Theateraufführung zu öffnen. Nun findet "Welcome to Paradise" also von Samstag an im Gemeindesaal der St. Matthäus-Kirche am Sendlinger Tor statt, was für Breece allerdings kein Kompromiss, sondern auch ein passgenauer Ort ist, weil dort in der jüngeren Vergangenheit Demonstrationen und Gegendemonstrationen stattfanden, Hungerstreiks, das Ganze vom Verkehr umtost, urban, mitten in der Stadt. Die Stadt wird dann auch ganz konkret in die Aufführung hineindrängen: Breece interviewte Passanten zum Thema ihrer Aufführung.

Das Thema: Flüchtlinge. Klar, darauf kommt man momentan recht schnell, wenn man Theater machen will, das sich an gesellschaftlichen Diskursen beteiligt. Bei Karen Breece jedoch gibt es dazu eine lange Vorgeschichte. Breece wohnt in Dachau. Sie ist ein Mensch, der wissen will, was das für ein Ort ist, an dem sie sich befindet. Bei Dachau, klar, kommt man dann schnell auf das ehemalige Konzentrationslager dort. In gewisser Hinsicht verknüpfte sich dessen Geschichte vage mit der ihrer Familie - Breece wurde in den USA geboren, hat ein deutsche Mutter und kam mit acht Jahren nach Deutschland. Ihr Opa war ein US-General und im Zuge des Zweiten Weltkriegs auch einmal kurz in Deutschland, ihr Vater war in Vietnam.

Irgendwann fing Karen Breece an, mit den Leuten in Dachau über Dachau zu sprechen. Sie traf auf "starke Ängste", erlebte gerade bei älteren Menschen, dass diese nie gelernt hatten, über das, was in der Nazi-Zeit im Ort passiert war, zu sprechen. Aber da sie von ihrem "Naturell her es nicht erträgt, wenn die Räume eng werden", wenn sie in ihrer künstlerischen und historischen Suche eingeschränkt wird, forschte sie stur weiter.

In zwei Arbeiten beschäftigte sie sich dann mit der Dachauer Geschichte, auf eine Art und Weise, von der sie sagt, zehn Jahre früher wäre dies noch nicht möglich gewesen. Doch 2012 dann doch: Da inszenierte sie auf dem Gelände der historischen Papierfabrik "Die Blutnacht auf dem Schreckenstein", ein Stück, das die Häftlinge in Dachau geschrieben und 1943 im Lager uraufgeführt hatten - eine Ritterposse, eine Hitlerpersiflage. Die Mitwirkenden: Dachauer.

Davor hatte Breece mit Johan Simons zusammengearbeitet und dessen "Perser"-Inszenierung mit einem Chor versorgt. Und danach stellte sie die Dachauer KZ-Prozesse auf dem Gelände der dortigen Bereitschaftspolizei nach.

Bei der Arbeit mit Simons, bei den Arbeiten in Dachau waren bereits Flüchtlinge mit dabei. Weil die halt auch dort leben. Dann sah sie einen Dokumentarfilm im Fernsehen über einen Jungen, der mit zwei Jahren nach Deutschland kommt, dort aufwächst, mit 18 von den Behörden in seine ihm völlig fremde "Heimat" geschickt wird, zurück will, seine Familie wiedersehen will. Es gelingt ihm nicht, er bringt sich um.

Klar, leicht wäre es zu sagen, dort sind die Bösen, da die Guten. Das wollte Breece aber genauer wissen. Und befragte Flüchtlinge und Beamte, Bewohner von Menschenzwischenlagern und Mitarbeiter der Asylbehörden. Daraus formte sie zehn "Stimmen", kondensierte Exzerpte der Gespräche - "ich hätte Stoff für vier Folgeprojekte". Breece formte mit dem Inhalt Figuren mit authentischen Aussagen, durchs Kondensat eben anonymisiert, verkörpert nun durch die Schauspieler des Volkstheaters. Die treffen sich in einem Wartesaal, eingerichtet eben in St. Matthäus. Sie sollen weniger spielen als den Inhalt vermitteln, wie in einem Radio-Feature. "Letztendlich geht es um eine Begegnung auf Augenhöhe." Und dann sagt Breece noch einen Satz: "Vor Beginn der Recherchen war mit nicht bewusst, wie ablehnend die Gesellschaft ist."

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