Sozialunternehmer:Vom Aufsteiger zum Aussteiger

Kapitalismus Aussteiger

Wenn die Krawatte zu eng wird: vom Banker zum Sozialunternehmer

Gute Noten, tolle Projekte, High Potential: Ein junger Banker hat eine steile Karriere vor sich. Bis er mit dem System kollidiert, von dem er profitiert hat.

Von Sabrina Ebitsch, Hannover

Als alles anders wird, bleiben die Anzüge im Schrank. Christopher Batke hat viele davon, graue, dunkelblaue, Krawatten dutzendweise. So sieht es im Inneren von Schränken aus, wenn man tut, was Batke tut. Aufgereiht hängen da die Uniformen des Kapitalismus und weisen den Träger als Eingeweihten der Welt aus, die nicht mehr Batkes ist. Er braucht sie nicht mehr. Es ist eine Häutung, aber das weiß er noch nicht.

"Schneller, höher, weiter: Macht uns der Kapitalismus kaputt?" - Diese Frage hat unsere Leser in der neunten Runde des Projekts Die Recherche am meisten interessiert. Dieser Beitrag ist Teil eines umfangreichen Dossiers, mit dem die Süddeutsche Zeitung diese Frage der Leser beantworten will - mit einer digitalen Reportage zum Thema Ungleichheit in Deutschland, mit Essays zu Verwerfungen und Vorteilen eines umstrittenen Systems und vielem mehr. Alles zur aktuellen Recherche lesen Sie hier, alles zum Projekt hier.

Er kommt jetzt in Jeans und Pulli in die Bank, also quasi nackt. Die Kollegen schauen, spötteln: Der Batke, schon casual friday, wie? Von casual ist Christopher Batke weit entfernt. Die Krawatten sind um den Hals in den vergangen Monaten immer enger geworden. Batke steigt aus. Es ist ein Abschied auf Raten.

Aus Gestatten, Christopher Batke, jung, dynamisch, High Potential, künftige Führungskraft mit Aussicht auf große Karriere bei einer gar nicht so kleinen Bank,

wird Gestatten, Christopher Batke, Teilzeitkraft, freiwilliger Helfer, Ausbildungspate, sozial engagiert, Social Entrepreneur.

Wie Wirtschaft sein kann und sollte

Es ist Donnerstag, 19.30 Uhr, Batke hat sich umgezogen, für die Studenten darf es noch ein bisschen mehr casual sein, blaugestreiftes Hemd, braune Jeans, eine 1,5-Liter-Flasche Cola im Rucksack, aus der er kurz vor seinem Auftritt in großen Schlucken trinkt. Es ist erst ein paar Jahre her, da war Batke einer von ihnen. Jetzt ist er 28, so jung und schon ein Aussteiger.

Christopher Batke

Christopher Batke vor seinen Zuhörern an der Uni Hannover

(Foto: Sabrina Ebitsch)

Um 20.15 Uhr jedenfalls steht Batke im Hörsaal vor den Zuhörern des Arbeitskreises Plurale Ökonomik der Uni Hannover, der die Wirtschaftswissenschaften eben pluraler, weniger neoklassisch, anders machen will. Es ist eine Ringvorlesung, wie Wirtschaft sein kann und sollte und Batke sagt, was er dazu zu sagen hat. Er hat kurze braune Haare, die fast senkrecht aufstehen, und einen 1,5-Tage-Bart. Er lacht, gestikuliert, macht Satzzeichen mit den Händen, er kann mit den Leuten. Die 40 Zuhörer, die den ersten warmen Sommerabend anstatt mit Grillen in einem blassen Backsteinbau verbringen, im Raum VII 003 der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät, bleiben bis zum Schluss.

Batke berichtet von seinem Unbehagen mit den gängigen kapitalistischen Strukturen und der mit ihnen verbundenen Krisen, von seinem Neuanfang und dem Wunsch, mehr zu tun. Von Social Entrepreneurship, also von Unternehmen, die sich von reiner Gewinnmaximierung abwenden und auf sozialen Ertrag, auf Investitionen ins Gemeinwohl setzen.

Helfen und nebenher Geld verdienen

Batke will das auch: Geld und Gutes machen. Gemeinsam mit seiner Geschäftspartnerin Elisa Bader hat er die "Talententwickler" gegründet, eine Firma, die zum einen den Bereich Social Entrepreneurship in Hannover stärken und Gründer beraten will. Die aber zum anderen auch junge Menschen beim Entwickeln ihrer Talente unterstützt. Batke will Schüler und Studenten beraten, ihnen helfen, damit sie ihren Weg finden. Bei der Berufswahl Tipps geben, Vorstellungsgespräche simulieren, Bewerbungsanschreiben in Form bringen. Unentgeltlich. Er hat das gelernt.

Als alles anders wird, sitzt Batke vornübergebeugt im Maschpark in Hannover. Kurz davor, in Tränen auszubrechen. Wenig später ist er Ausbildungspate, nimmt Teil an einem Mentorenprogramm für Real- und Hauptschüler. Er hilft Acht -und Neuntklässlern, Entscheidungen zu treffen, berät sie zu Praktika und Berufschancen. Er steht vor Schulklassen und erklärt, was es für Lehrstellen gibt, was man dafür braucht. Weil er Gutes tun will, weil er Sinn sucht, weil er es kann. Ein altruistischer Egotrip. Weil es hier persönlich wird.

Aufsteigen und Fallen

Ein Jahrzehnt vorher, 2005, steht Christopher, 18 Jahre alt, mit seiner Mutter in der Küche, zu Hause in Aerzen, Weserbergland. Es ist nicht mehr lange bis zum Abitur und Christopher hat sich Gedanken gemacht. Dass er vor dem Studium ein Jahr ins Ausland gehen möchte, dass er in einem Land, in dem es den Menschen nicht so gut geht wie hier, ein SOS-Kinderdorf mit aufbauen möchte. Die Mutter bricht in Tränen aus.

Christopher war ein guter Junge. Ein Bücherwurm, aber kein Stubenhocker. Kapitän in der Fußballmannschaft, Klassensprecher in der Schule. Keiner, der im Polohemd den Lebenslauf im Blick hat, sondern einer, der es macht, weil es sonst keiner macht. Der Vater Speditionskaufmann, die Mutter Haushaltshilfe, Arbeiterfamilie, aber der Christopher, der kann es schaffen, als erster an die Uni. Aus dem Jungen wird was, der soll es mal besser haben.

Also weint die Mutter. Junge, schmeiß dein gutes Abi nicht weg, da wird doch nichts draus, du sollst doch studieren. Nur eine Pause, danach das Studium. Christopher dringt nicht durch. Sie streiten. Zwei Tage später entschuldigt sich die Mutter und lässt ihm freie Hand. Aber Christopher ist ein guter Junge. Kurze Zeit später beginnt er ein duales Studium, BWL, Schwerpunkt Finanzdienstleistungen, nebenher die Ausbildung bei einer kleinen Bank. Etwas Handfestes.

Mit Jogginganzug im Haifischbecken

Was ihm an der Hochschule auffällt: die spitzen Ellbogen, die ehrgeizgestärkte Atmosphäre, die Gespräche, die um Noten und die Karriere kreisen. Was er hier vermisst: das Studentenleben, wie er es von Freunden und aus Klischees kennt. Man trägt Anzug in der Vorlesung. Wenn Christopher genug davon hat, kommt er aus Trotz im Jogginganzug und die Kommilitonen schauen. Er ist der Fremdkörper, als der er sich fühlt. Seinen Abschluss macht er trotzdem mit 2,2.

Der Chef klopft auf die Schulter und übernimmt ihn. Batke ist stolz, von anderen wird er beneidet. 2009 landet er in der Personalabteilung und wird nach einem halben Jahr Leiter der Ausbildungsabteilung. Projekte, ein Masterstudium, Human-Resources-Management, berufsbegleitend, und dann eine neue, bessere Stelle. Mensch, der Batke, aus dem wird noch mal was, mit 24, 25 macht der schon Sachen.

"Es fühlte sich toll an", sagt Christopher Batke heute. Er sitzt im Innenhof seiner Bank und erzählt von damals, als er so jung war. "Ich war abhängig von der Anerkennung von außen, der Erfolg war wie Öl ins Feuer." Seine Stimme wird nicht leiser dabei. Wenn es wichtig wird, runzelt er die Stirn. Er hat einen Automatenkaffee aus der Kantine vor sich und strahlt eine Zen-Mentalität aus. Es ist Donnerstag, kurz nach 14 Uhr, Feierabend. Er fühlt sich wohl in seiner neuen Haut, auch dann, als es ans Eingemachte seines Lebens geht.

"Maßlose Selbstüberschätzung"

Damals, 2013, hat er den neuen Kollegen eingearbeitet, der seinen alten Job übernimmt. "Wenn man zu den Potentialträgern gehört, bekommt man eine Aufgabe, noch 'ne Aufgabe, noch 'ne Aufgabe." Als er "schon am Anschlag" ist, kündigt eine Kollegin und jemand muss ihre Arbeit machen, vorläufig zumindest. Dazu das Masterstudium. "Ich weiß nicht, wie ich auf die Idee gekommen bin, dass das funktioniert. Rückblickend war es maßlose Selbstüberschätzung."

Batke sagt nicht: Nein, das geht nicht mehr, das schaffe ich nicht. Guter Junge eben. Also bleibt er länger, arbeitet mehr und sieht, wie der Berg auf seinem Schreibtisch wächst. Bleibt noch länger, arbeitet noch mehr, aber der Berg wird nicht kleiner, er wächst über Batke hinaus. Es ist wie in dem Märchen vom Brei, der nicht aufhört zu kochen, und Batke hat das Zauberwort vergessen. Beißen, beißen hat der Trainer früher auf dem Fußballplatz gesagt. Bis zu dem Tag, an dem alles anders wird.

Aufstehen und Aussteigen

Christopher Batke kommt aus einem Meeting mit dem Vorstand. Es ist eine Situation, in der Türeschlagen angebracht wäre, aber er täuscht eine Mittagspause vor und geht in den Park. Gerade hat er erfahren, dass die Mitarbeiterumfrage, mit der seine Masterarbeit und damit monatelange Arbeit stehen und fallen, gecancelt ist. Schwierige Phase, gestrichene Stellen, Unruhe in der Belegschaft - wer will da eine Umfrage zum Thema Commitment im Unternehmen? Logisch, aus ökonomischer Perspektive; desaströs aus persönlicher. "Vielleicht ein Knall, damit ich aufwache."

Am nächsten Tag geht er ins Büro und macht noch drei Monate weiter. Dann geht es nicht mehr weiter, sechs Wochen Krankschreibung wegen psychischer Überlastung. Er habe gehadert mit sich, mit der Bank, mit dem System, "ich habe mit Giftpfeilen um mich geschossen", sagt Batke und klingt, als blicke ein alter Mann vom Ohrensessel aus auf seine Jugend zurück. Andere gehen auf den Jakobsweg in Lebenskrisen, er geht zurück. "Vielleicht wollte ich zu schnell zu viel. Aber ich hatte auch dieses Gefühl wie schon im Studium: Ist das das Richtige für mich?"

Christopher Batke

Batke im Freiwilligenzentrum von Hannover, wo er als Ausbildungspate arbeitet.

(Foto: Sabrina Ebitsch)

Symbol der Rebellion

Nach den sechs Wochen kommt er wieder ins Büro, aber er wirft Ballast ab: die Aufgaben, die Vollzeitstelle, die Anzüge. Er legt sie ab wie eine alte Haut, die nie recht sitzen wollte. "Es sah toll aus, aber es passte nicht", sagt Batke über seine Karriere, als würde er über seine Garderobe sprechen. Bis jetzt, wo er nicht mehr der High Potential ist, sondern der gescheiterte Student, der Pulliträger, der Teilzeitarbeiter. Ein kleines Symbol der Rebellion sei das gewesen: "Warum soll ich Anzug tragen, wenn ich mich nicht wohl damit fühle?"

Es habe ihm gut getan, auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt worden, "gecrasht" zu sein, um in der Sprache der Branche zu bleiben. Er fängt an, sich im Freiwilligenzentrum von Hannover zu engagieren, wo er Ausbildungspate wird. Es fühlt sich richtig an. "Aber dem Christopher von 2005, der mit seiner Mama in der Küche steht, würde ich sagen: Mach's trotzdem." Batke ist kein Sozialarbeiter, kein Geläuterter, seine Geschichte nicht schwarz-weiß.

Keine Heuschrecke, aber auch kein Öko-Rebell

Jetzt nimmt Batke das Beste aus zwei Welten. Er will helfen, aber auch Geld verdienen. Jugendliche unterstützen, aber auch Firmen Programme anbieten, wenn etwa ein Mitarbeiter im Sabbatical eine sinnvolle Aufgabe sucht. Was er in seiner dunklen Phase verachtet habe, dafür sei er mittlerweile dankbar. Er habe in der Bank viel gelernt - auch für das, was jetzt kommt: junge Leute beraten, aber auch strategisches Denken, Verhandlungsführung, Projektmanagement. Nur das Ziel ist ein anderes: keine Gewinnmaximierung, Gemeinwohlorientierung. "Ich bin kein Investmentbanker und keine Heuschrecke, aber eben auch kein veganer Öko-Rebell. Ich halte nichts davon, den Kapitalismus zu dämonisieren." Der brauche einen Wandel von innen heraus. Wie Batke, der jetzt Vorbild sein will für andere Ausgebrannte, Frustrierte, Sinnsuchende.

Christopher Batke

Mehr Zeit, mehr Ruhe, neue Ziele: Batke nach der Krise

(Foto: Sabrina Ebitsch)

Batke macht sich selbstständig, er ist raus. Die Chefin sagt, sie habe sich das schon immer gedacht. Der Batke, so jung und schon ein Aussteiger. Die Geschäftspartnerin, die selbst aus dem sozialen Bereich kommt, ist nicht skeptisch wegen seiner Sozialisation, hat Respekt vor seiner Entscheidung, sie will ihren Bürojob erstmal behalten. Seine Mutter hat auch diesmal Angst um ihren Jungen, der 14 Gehälter und einen unbefristeten Job aufgibt. Aber die Sorgen sind kleiner, das Vertrauen größer.

Die Kündigung wird zum 31.12.2015 wirksam. Dann fängt ein neues Jahr an, in dem alles anders wird.

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