Ende vergangener Woche, eine Zufallsbegegnung am Fahrstuhl im Kanzleramt: Angela Merkel grüßt freundlich, gewährt ein kurzes Schwätzchen. Über Griechenland, natürlich. Die Kanzlerin hat es eilig, aber sie steht nicht erkennbar unter Strom. Sie wirkt konzentriert, keineswegs panisch. Einmal hebt sie beide Arme und streckt Daumen und Zeigefinger weg. Vier Finger zeigen einen Moment lang in vier verschiedene Richtungen. Die Übersetzung ist einfach: Alles offen.
Kein Thema hat Merkel so lange und so drängend beschäftigt wie Griechenland. Es wird später einmal neben der Ukraine für ihre Kanzlerschaft stehen wie Afghanistan und der Irak für die von Gerhard Schröder. Knapp zehn Jahre ist sie jetzt Bundeskanzlerin, mehr als die Hälfte davon geht es immer wieder um den Staat, in dem die Euro-Krise ihren Ausgang nahm. Mit Griechenland hatte Merkel länger zu tun als mit der FDP. Die war nach nur vier Jahren politisch pleite.
Griechenland-Krise:Wie ein unfertiges Haus, mitten im Sturm
Ist eine Einigung mit Griechenland möglich? Kurz vor dem Sondergipfel legen die Präsidenten der mächtigsten europäischen Institutionen einen Bericht vor. Wer ihn liest, ist beunruhigt.
In neun Tagen droht Griechenland der Staatsbankrott. An diesem Montag treffen sich die Staats- und Regierungschefs für einen Euro-Gipfel. Helmut Kohl und Gerhard Schröder hatten mit ihren europäischen Kollegen die Integration der EU vertieft, den Euro eingeführt und die Gemeinschaft erweitert. Das war auch nicht immer leicht, aber zum Schluss gab's stets ein Feuerwerk, das sich in leicht glasigen Augen gerührter Staatsmänner widerspiegelte. Der letzte unbeschwerte europäische Feiertag, den Merkel beging, war im März 2007 der 50. Jahrestag der Römischen Verträge. Damals sagte sie: "Wir sind zu unserem Glück vereint." Dann kam die Krise.
Alles schaut jetzt auf Angela Merkel und Alexis Tsipras. Hier die Kanzlerin, 60, die dienstälteste unter Europas Regierungschefs; dort der Neuling aus Athen, fast auf den Tag genau 20 Jahre jünger als Merkel und erst seit fünf Monaten im Amt. Bei seinem Antrittsbesuch am 23. März saßen Merkel und Tsipras stundenlang zusammen. Man war sich sympathisch und redete offen. Merkel und Tsipras kommen seither menschlich gut miteinander aus.
Vier Tage vorher hatte die Kanzlerin zum Manweißnichtwievieltenmale den einen Satz gesagt: "Scheitert der Euro, dann scheitert Europa". Seit Tsipras' Besuch hat sie den Satz nicht mehr wiederholt. Sie hat das Bedrohungsszenario gegen eine optimistische Beschwörungsformel eingetauscht: "Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg." In der Übersetzung des Kanzleramts muss Tsipras den Willen für verbindliche Reformen aufbringen, dann ist Merkel bereit, den Weg zu einem Kompromiss zu ebnen. Und sie weiß, dass ein Kompromiss Entgegenkommen bedeutet, auch für sie.
Tsipras hat verstanden, dass es auf Merkel entscheidend ankommt: Seit seinem Antrittsbesuch wetterte er gegen viele Akteure in der Krise, vor allem den IWF. Doch Angela Merkel, die er einst für einen "sozialen Holocaust" in Griechenland verantwortlich gemacht hatte, griff er nicht mehr öffentlich an.