Studie:Einfach überfordert

Inklusion

"Inklusion vor die Wand gefahren": Viele Lehrer halten die Einführung von inklusiven Lerngruppen für überhastet.

(Foto: Uli Deck/dpa)

Inklusion an Schulen: Lehrer kritisieren die mangelhafte Ausstattung für den Unterricht von behinderten mit gesunden Schülern.

Die Lehrer in Deutschland fühlen sich laut einer repräsentativen Studie unzureichend gerüstet, um Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam zu unterrichten. Sie beklagen schlechte Vorbereitung, mangelhafte personelle und räumliche Ausstattung und zu große Klassen. Dies zeigt eine bundesweite Befragung des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag des Lehrerverbands Bildung und Erziehung (VBE). Er hatte in dieses Frühjahr bundesweit insgesamt 1003 Lehrer telefonisch über ihre Einstellungen zur Inklusion an Schulen befragt. 77 Prozent der Lehrer beurteilten das Fortbildungsangebot als "weniger gut" oder "gar nicht gut". 98 Prozent der Befragten sprachen sich für eine Doppelbesetzung aus Lehrer und Sonderpädagoge in gemeinsamen Lerngruppen aus. Laut VBE ist das die bundesweit erste repräsentative Lehrerbefragung zur Inklusion.

Knapp 60 Prozent der Befragten haben keine Fachkenntnisse im Bereich Sonderpädagogik

Deutschland hatte sich vor sechs Jahren verpflichtet, die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen und damit auch den inklusiven Unterricht umzusetzen. Die Lehrer würden "vom Dienstherrn einfach ins kalte Wasser geworfen", kritisiert VBE-Vorsitzender Udo Beckmann. "Es wird von der Politik billigend in Kauf genommen, dass Inklusion vor die Wand gefahren wird." Für 82 Prozent der Befragten war Inklusion kein Bestandteil der Lehrerausbildung. 57 Prozent verfügen nicht über sonderpädagogische Kenntnisse. 55 Prozent gaben an, sie hätten nur wenige Wochen Zeit gehabt, sich auf inklusives Unterrichten vorzubereiten.

Ein Drittel der Befragten unterrichtet selbst in gemeinsamen Lerngruppen - von den 225 in Nordrhein-Westfalen Befragten sogar 40 Prozent. Zwei Drittel von ihnen sagten, dass die Klassengröße trotz der schwierigen Aufgabe nicht verringert wurde. Vier Prozent gaben sogar an, dass ihre Klassen größer wurden.

Auch die räumliche Situation sei völlig unzureichend, moniert Beckmann. 55 Prozent aller Befragten gaben an, dass ihre Schule nicht barrierefrei sei. 75 Prozent der interviewten Lehrer arbeiten an einer Schule, die auch Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf unterrichtet. An beinahe jeder zweiten dieser Schulen gibt es den Angaben zufolge aber nicht einmal Räume für Kleingruppen.

Der VBE forderte eine ständige Doppelbesetzung für inklusiven Unterricht. Derzeit gebe es für die einzelnen Klassen allenfalls ein paar Wochenstunden gemeinsam mit einer sonderpädagogischen Fachkraft.

Forsa hat zu seiner Studie auch Sonderauswertungen für Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Bayern erstellt. Nordrhein-Westfalen hatte mit dem laufenden Schuljahr begonnen, schrittweise einen Rechtsanspruch Behinderter auf inklusiven Unterricht einzuführen. Die Umfrage-Ergebnisse decken sich in diesem Bundesland im Wesentlichen mit dem Bundestrend.

Bettina Grönewald/DPA

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