Referendum in Griechenland:Zu kurzfristig, zu kompliziert

  • Am Sonntag sollen die Griechen über Forderungen der Kreditgeber entscheiden. Allerdings stellt sich die Frage, ob das Referendum überhaupt legal ist.
  • Kritiker glauben, dass die Abstimmung vom griechischen Recht nicht gesichert ist. Außerdem verstößt sie in mehreren Punkten gegen europäische Vorgaben.

Von Stefan Ulrich

Die Ankündigung der griechischen Regierung, die Bürger über die Reformforderungen der Geldgeber abstimmen zu lassen, hat viele Europapolitiker schockiert. Sie fühlen sich von der Regierung Tsipras düpiert und verraten. Unabhängig von der Bewertung, ob dieses Referendum politisch vernünftig und den EU-Partnern gegenüber fair ist, stellt sich aber noch die Frage, ob es überhaupt legal ist. Griechische Oppositionspolitiker bezweifeln die Rechtmäßigkeit. Auch Juristen des Europarats und Juraprofessoren wie der Augsburger Völkerrechtler Christoph Vedder sind skeptisch. "Nach europäischen Verfassungsregeln ist dieses Referendum äußerst fragwürdig", sagt Vedder.

Nun ist es grundsätzlich Sache der EU-Mitgliedstaaten zu entscheiden, ob und wie sie Referenden abhalten. Artikel 44 der griechischen Verfassung erlaubt Volksabstimmungen "über besonders wichtige nationale Fragen" und über "schon verabschiedete Gesetzesentwürfe zu wichtigen gesellschaftlichen Fragen - außer wenn sie die öffentlichen Finanzen betreffen".

Muss sich Griechenland an europäische Vorgaben halten?

Referendumsgegner argumentieren nun, die für den Sonntag geplante Abstimmung betreffe die öffentlichen Finanzen, da es ja um die Themen Schuldendienst, Steuern und Renten gehe. Die Abstimmung sei daher verfassungswidrig. Die Regierung Tsipras hält dagegen, die Einschränkung gelte gerade nicht bei Themen von großer nationaler Bedeutung. Das Referendum sei also von der Verfassung erlaubt.

Allerdings operieren die EU-Mitgliedsländer bei ihren innerstaatlichen Wahlen und Abstimmungen nicht in einem europafreien Raum. Artikel 2 des EU-Vertrages, den alle Mitglieder ratifiziert haben, also auch Griechenland, hält fest, dass die EU auf bestimmten Werten wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit beruht und dass diese Werte allen Mitgliedstaaten gemeinsam sind. Artikel 49 bestimmt, dass nur solche Staaten, die diese Werte achten und fördern, der EU beitreten können. Der Europarechts-Professor Vedder folgert daraus: "Es gibt ein gemeineuropäisches Verfassungsrecht, das alle 28 Mitgliedstaaten bindet." Dazu gehörten auch gewisse Grundregeln über Referenden, wie sie zum Beispiel der Europarat - eine Staatenorganisation, der auch alle EU-Länder angehören - erarbeitet habe.

Frage müsste zwei Wochen vor der Abstimmung vorliegen

Die sogenannte Venedig-Kommission des Europarats hat einen Referendums-Kodex aufgestellt, an den sich die Mitgliedsländer halten sollen. Darin wird genau aufgeführt, wie demokratisch und rechtsstaatlich einwandfreie Referenden abzulaufen haben. Das geplante griechische Referendum verstößt in mehreren Punkten gegen diese Vorschriften.

So fordert die Venedig-Kommission, dass die Bürger die Referendumsfrage und die Erklärungen dazu mindestens zwei Wochen vor der Abstimmung mitgeteilt bekommen, damit sie sich ausreichend informieren können. Den griechischen Bürgern bleibt jedoch deutlich weniger Zeit. Sie haben am vergangenen Freitagabend überhaupt erst von den Referendumsplänen erfahren. Die Abstimmung erfolge "überfallartig", kritisiert Vedder. Das griechische Volk könne sich so nicht angemessen darauf vorbereiten. Auch bleibe keine Zeit, eine vernünftige Wahlbeobachtung sicherzustellen, wie sie die Venedig-Kommission verlangt. Tatsächlich wird der Europarat für Sonntag keine Wahlbeobachter nach Griechenland entsenden. Der Vorlauf von nur einer Woche sei zu knapp, sagt der Jurist Thomas Markert, der in der Venedig-Kommission arbeitet. "Es ist normalerweise unmöglich, ein Referendum in nur einer Woche zu organisieren."

Die Fragestellung ist für Normalbürger wohl zu kompliziert

Auch die Art, wie die Regierung unter Premierminister Alexis Tspiras nun den Wahlkampf betreibt, bereitet den Juristen Unbehagen. Zwar dürfe eine Regierung bei einem Referendum - anders als bei einer Parlamentswahl - den Bürgern ihre eigene Meinung mitteilen und für ein "Ja" oder "Nein" plädieren. Sie dürfe dabei aber keine einseitige, massive Propaganda betreiben, sondern müsse sicherstellen, dass die Wähler objektive Informationen bekommen, fordert Markert.

Die Venedig-Kommission verlangt in ihrem Kodex zudem, dass Referendumsfragen klar verständlich formuliert sind und die Bürger über die Folgen ihrer Entscheidung aufgeklärt werden. An beidem fehle es im Falle Griechenlands, kritisiert Vedder. Die Frage, die die Griechen am Sonntag beantworten sollen, lautet nämlich: "Muss der gemeinsame Plan von EZB, EU-Kommission und IWF, der am 25. 6. 2015 in der Euro-Gruppe eingebracht wurde und aus zwei Teilen besteht, angenommen werden? Die zwei Teile sind: ,Reformen für die Vollendung des laufenden Programms und darüber hinaus' und ,Vorläufige Schuldentragfähigkeitsanalyse'."

Diese Fragestellung sei für normalgebildete Bürger zu schwierig, zumal darin auf zwei hoch komplizierte Dokumente verwiesen werde, sagt Vedder. "Das ist nicht das, was man unter Klarheit versteht." Zudem würden die Griechen am kommenden Sonntag nicht - wie üblich - zu einem konkreten Gesetzesvorhaben befragt, sondern zu ihrer Einstellung gegenüber den Forderungen der Institutionen. "Volksabstimmungen sollen aber keine politischen Meinungsumfragen durch den Staat sein. So etwas können Meinungsforscher viel besser."

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