Niederbayern:Schuldirektor warnte vor sexy Kleidung - wegen Asylbewerbern

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Auch Schulturnhallen werden zu Notunterkünften für Flüchtlinge umfunktioniert. (Foto: Claus Schunk)
  • Schülerinnen sollten sich angemessen kleiden, um "Diskrepanzen" mit Asylbewerbern zu vermeiden, warnte der Schulleiter des Wilhelm-Diess-Gymnasiums in Pocking (Landkreis Passau).
  • Der Elternbrief löste teils heftige Reaktionen aus: Auf rechten Internetseiten kursierten daraufhin Schlagworte wie "Scharia-Schulregeln" und "Minirockverbot wegen islamischer Asylanten".

Von Dietrich Mittler, Hans Kratzer, Heiner Effern und Martina Scherf, München

Im Kultusministerium herrscht nur noch Kopfschütteln über die Kommentare, die seit Tagen eingehen. In einem Brief wird zum Beispiel unterstellt, Martin Thalhammer, der Schulleiter des Wilhelm-Diess-Gymnasiums in Pocking (Landkreis Passau), habe frauenfeindliches Gedankengut verbreitet - "wie es einem Salafisten würdig ist". Auch Thalhammer selbst ist fassungslos über die Reaktionen, die sein gut gemeinter Elternbrief ausgelöst hat. Da die Dreifachturnhalle seit kurzem als Notunterkunft für Flüchtlinge genutzt wird, hatte er ein Rundschreiben verschickt, in dem er über die neuen Gäste und die Auswirkungen auf den Schulalltag informierte.

Für Wirbel sorgt ein einziger Hinweis Thalhammers: Schülerinnen sollten sich angemessen kleiden, um "Diskrepanzen" mit den Asylbewerbern zu vermeiden. "Durchsichtige Tops oder Blusen, kurze Shorts oder Miniröcke könnten zu Missverständnissen führen." Auf rechten Internetseiten kursierten daraufhin Schlagworte wie "Scharia-Schulregeln" und "Minirockverbot wegen islamischer Asylanten". Die Nachricht schaffte es bis in US-Medien.

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Am Pockinger Gymnasium gebe es nach wie vor keine Kleiderordnung, und es werde auch künftig keine geben, bekräftigt Thalhammer. Es sei aber seine Aufgabe, die Schüler dafür zu sensibilisieren, dass zwei Kulturen aufeinander treffen. Das Kultusministerium sieht das genauso: Erstens habe der Pockinger Schulleiter gar keine Kleiderordnung aufgestellt.

Und zweitens sei "durchaus vorbildlich, dass er die Schulfamilie umfassend informiert hat, inwieweit nun der Schulalltag durch die Belegung der Schulturnhalle mit Asylbewerbern beeinträchtigt wird", sagt ein Sprecher. Der im Elternbrief ebenfalls enthaltene Hinweis, den Asylbewerbern in ihrer Notsituation mit Achtung zu begegnen, gereiche dem Gescholtenen zur Ehre.

Besorgte Eltern in anderen bayrischen Schulen

Auch Kathrin Hörmann-Lösch, die Leiterin des Gymnasiums Raubling (Landkreis Rosenheim), hat die Brisanz des Themas schon zu spüren bekommen, seitdem Asylbewerber in der Schulturnhalle leben. Auf ihrem Schreibtisch liegt gerade der Brief eines besorgten Vaters, der es gar nicht gut findet, wenn so viele junge Männer, die mit dem Gymnasium nichts zu tun haben, beim Mädchensport zuschauen.

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Ein anderer Vater ärgert sich, dass man angeblich die Buben der Asylbewerber vom Fußball ausgeschlossen habe, das tue ihm in der Seele weh. "Die Balance zu wahren zwischen Offenheit und Integration auf der einen und den Wünschen und Bedenken der Eltern auf der anderen Seite ist extrem schwierig", sagt die Schulleiterin. Jede Äußerung von ihr werde sensibel aufgenommen, und könne bei entsprechender Absicht "grotesk missverstanden" werden. Die einen sehen sie gleich als Sozialromantikerin, die anderen als Ausgrenzerin, die etwas gegen Asylbewerber hat. Beides weist sie entschieden zurück.

Warum es zu Problemen kommt

Viele der Alltagsprobleme, die sich aus dem engen Zusammenleben von Asylbewerbern und Schülern ergeben, hätten mit der Herkunft der Gäste nichts zu tun, sagt Hörmann-Lösch. Sie rührten daher, dass direkt neben einem Gymnasium 150 junge Männer auf engstem Raum zusammenleben, die sich oft nicht kennen und nicht mögen und den ganzen Tag nichts zu tun haben. "Wenn 150 Männer aus Norddeutschland oder England hierherkämen, würde vieles genauso sein."

Auch dann würden sich pubertierende Mädchen unwohl fühlen, wenn ihnen eine große Gruppe junger Männer beim Sport zusähe. Auch dann würde so mancher dieser Männer womöglich eine Schülerin ansprechen, die ihm gefällt. Und auch dann würden die Lehrer wohl mit ihren Schülern reden, wie man mit den neuen Nachbarn umgeht. Eine Kleiderordnung oder das Verbot von kurzen Röcken oder Shirts findet Schulleiterin Hörmann-Lösch "Quatsch".

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Kerstin Kazzazi, Sprachwissenschaftlerin an der Katholischen Universität Eichstätt und mit einem Iraner verheiratet, hält es für ein Vorurteil, knappe Kleider könnten bei Asylbewerbern falsche Hoffnungen wecken: "Es ist ja nicht so, dass alle muslimischen Männer ein Problem mit kurzen Röcken hätten." In Syrien zum Beispiel habe es keine strenge Kleiderordnung gegeben. "Und über Satelliten empfangen alle Regionen der Welt inzwischen westliche Programme."

Wie Asylbetreuer über den Fall denken

Allerdings transportierten Kleiderordnungen oder -gewohnheiten Botschaften, die man entschlüsseln können muss, sagt Kazzazi. "Bei uns zieht man sich halt nach dem Wetter an, woanders richtet man sich nach dem Anlass. Natürlich kann es dabei zu Missverständnissen kommen. Es geht darum, die Signale richtig zu deuten, von beiden Seiten. Da ist es wichtig, dass man miteinander redet."

Adi Hösle, Asylbetreuer im schwäbischen Babenhausen, kennt die Missverständnisse und Probleme, die entstehen, wenn Kulturen zusammentreffen. Das beginne bei Kleinigkeiten - etwa damit, dass man den Kaugummi nicht achtlos ausspucken oder das kaputte Fahrrad nicht auf der Straße stehen lassen soll. "Da führen wir aber Gespräche auf Augenhöhe", sagt Hösle, "wir fragen sie also, wie sie das bei sich zu Hause lösen. Und dann sagen wir ihnen, wie wir das in Deutschland machen."

Das alles findet während des Sprachunterrichts statt. "Wir pflegen hier in der Tat eine Art Landeseinführung", sagt Hösle. Kein einziges Mal aber habe er erlebt, dass es seitens der jungen männlichen Asylbewerber zu "irgendwelchen Übergriffen oder zu banalen Anmachen" gekommen sei. Wenn nun aber Flüchtlinge so dargestellt würden, als legten sie "eine höhere sexuelle Potenz an den Tag" oder als würden die ihre Grenzen nicht kennen, dann regt das Hösle auf: "Das ist eine Unverschämtheit", sagt er.

© SZ vom 02.07.2015 / dm, hak, heff, mse - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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