Piraten im Saarland:Vom Ende eines Phänomens

Plenarsitzung des Saarländischen Landtages am Mittwoch 22 04 2015 in Saarbrücken Die Abgeordneten

Ein Wahlergebnis von 7,4 Prozent hat Piraten wie Michael Hilberer (re.) in den Saarbrücker Landtag gespült. Dort sitzt er nun neben Oskar Lafontaine.

(Foto: imago)

Die Piraten waren im Saarland auf dem besten Weg, zu einer starken politischen Kraft zu werden. Zuletzt konnten sie sich auf dem Parteitag nur noch darauf einigen, zum Mittagessen Pizza zu bestellen.

Von Martin Schneider, Saarbrücken

Michael Hilberer und Oskar Lafontaine stecken ihre Köpfe zusammen, Lafontaine lacht, Hilberer lacht und nickt, beide scheinen sich ziemlich einig zu sein, obwohl dank der Sitzordnung des saarländischen Landtages hier zwei sehr unterschiedliche Politikwelten nebeneinander hocken. Hilberer ist 36, eigentlich Softwareentwickler und seit drei Jahren Fraktionsvorsitzender der Piraten im Landtag. Oskar Lafontaine ist Oskar Lafontaine, und daneben der Chef der Landtags-Linken in Saarbrücken.

Es ging, erzählt Hilberer später, um die Qualität der Debatte im saarländischen Landtag. Die sei provinziell, da sei er sich eins mit dem Sitznachbarn. Am Ende der achtstündigen Sitzung ist Hilberer trotzdem zufrieden. Seine Fraktion hat einen Antrag durchgebracht, der Landtag war einstimmig dafür. Das Saarland muss nun sein Abstimmungsverhalten im Bundesrat öffentlich machen, dafür hatten die Piraten und die anderen Oppositionsparteien lange mit der Koalition verhandelt. Das ist einer ihrer größten Erfolge in drei Jahren.

Ist der Zustand der Partei so desaströs, wie sich das alles liest?

Saarlands Piraten wurden im bundesweiten Hype um ihre Partei mit 7,4 Prozent in den Landtag gewählt. Das ist jetzt fast drei Jahre her, im März gab ihnen eine Meinungsfrage nur noch ein Prozent. Zu den Mitgliederversammlungen kommen noch zwei Dutzend Leute. Im Januar verließ Michael Neyses die Fraktion und wechselte zu den Grünen. Begründung: Er sieht bei den Piraten keine Zukunft. Seitdem sind sie noch zu dritt. Ist der Zustand der Partei so desaströs, wie sich das alles liest?

Ein Tag nach der Plenarsitzung in den Büroräumen der Piraten. Die FDP ist hier 2012 ausgezogen, als sie aus dem Landtag flog. Jetzt sind die Wände orange gestrichen. Ein Hund läuft über den Flur. Hilberer zeigt sein Büro. Er findet es viel zu groß. Ein kleiner Papp-Landtag steht dort mit Piraten-Figuren mit Holzbein und Augenklappe, ein Geschenk von den Grünen zum einjährigen Bestehen. Nach dem Wahlerfolg filmte sogar das koreanische Fernsehen in diesen Räumen.

Hilberer ist ein Typ, wie sie früher in der Studentenvertretung saßen. Mit am Tisch sitzen die beiden anderen Piraten. Andreas Augustin, 35 und Systemadministrator, und Jasmin Maurer, 26, ihre Ausbildung zur IT-Systemkauffrau ist unterbrochen. Von den vier jüngsten Mitgliedern des Landtags sind drei in dieser Fraktion. Für ein paar Tage war Maurer mal bundesweit bekannt, weil die Bild-Zeitung Fotos von ihr im Sadomaso-Lederoutfit druckte und sie "Deutschlands schrillste Abgeordnete" nannte. Die Partei machte ein Werbeplakat daraus. "Politik entfesselt" stand darauf. Gebracht hat es aber wenig, die Umfragewerte sackten immer mehr ab.

Aber woran liegt das? Ihre Hausaufgaben im Parlament machen sie eigentlich ordentlich. Reden, Anträge, Anfragen - alle Mittel, die man als kleine Oppositionspartei gegen eine große Koalition hat, schöpfen sie aus. Es komme gerade vieles zusammen, sagen die drei. Natürlich war da der Zeitgeist, der die Piraten ins Parlament spülte, obwohl sie zwei Wochen vorher noch nicht mal ein Programm hatten. "In uns wurde unglaublich viel hineininterpretiert", sagt Hilberer. Jetzt kämpfen die drei mit Erwartungen, die sie womöglich gar nicht erfüllen konnten. Das erzeugt Frust, beim Wähler und bei den Gewählten.

Dann sei da noch die Sache mit der Kommunikation, erklärt Hilberer. CDU-Wähler würden hauptsächlich die Lokalzeitung lesen und seien daher unkompliziert. "Junge Menschen konsumieren aber keine regionalen Medien. Wir werden nicht wahrgenommen", sagt Hilberer. Die Ironie, dass ausgerechnet die Internet-Partei Schwierigkeiten hat, die Smartphone-Generation zu erreichen, ist der Fraktion bewusst. Versucht haben sie es ja.

Am Anfang ihrer Landtagszeit hat die Fraktion jede Fraktionssitzung und jede Rede im Landtag bei Youtube hochgeladen. Wer wollte, konnte sich also umfassend informieren. Es wollte aber keiner. Die meisten dieser Videos hatten gerade einmal zwei bis 16 Aufrufe. Nur ein Filmchen, in dem sich Maurer für eine Spendenaktion einen Eimer kaltes Wasser über den Kopf gießt, kam auf 622 Klicks, mehr als alle ihre Landtagsreden zusammen. Mittlerweile laden sie die Videos nicht mehr hoch.

Das Problem an der Basis

Das zweite große Problem aus Sicht der Abgeordneten: ausgerechnet die eigene Parteibasis. Zuletzt konnten sich die Saar-Piraten auf ihrem Parteitag nur darauf einigen, zum Mittagessen Pizza und keine China-Kost zu bestellen. Über mehr nicht. Hilberer trat als Parteichef nicht mehr an. Er war müde.

"Eskaliert ist es im Endeffekt, als der Wunsch aufkam, wochenlang darüber zu diskutieren, ob ein Plakat blau oder orange sein sollte." Beim Wähler komme da die Botschaft an: Die sind mit sich selbst beschäftigt, die sind unwählbar. Jetzt aber, sagen die drei, sei es besser, man habe sich "gesundgestoßen". Die, die während des Hypes Mitglied geworden sind und mit denen man nicht arbeiten könne, würden die Partei verlassen.

2017 könnten die Piraten wieder aus dem Parlament fliegen

Der gesundgestoßene Rest der Piratenbasis hat einen Infoabend in einem Lokal in Merzig. Um 20 Uhr soll es losgehen, um 19.55 Uhr ist noch kein Mensch da. "Die Piraten?", sagt ein Gast und deutet auf einen leeren Tisch. "Die sitzen immer da. Aber jetzt sind sie verschwunden. Wie die FDP." Zehn Minuten später kommt Michael Grauer mit einer Piraten-Tischfahne und baut sie auf. Bei den Ortsratswahlen in Merchingen (939 Einwohner) hat Grauer 19,5 Prozent der Stimmen bekommen. Er hatte die Idee, den Abend "Infoabend" zu nennen, weil das einladender klingt als "Stammtisch". Bisher kam aber noch nie jemand, um sich zu informieren.

Vier weitere Piraten trudeln ein. Wenn man ehrlich sei, sagen sie, war die Partei ja nie wirklich bei 7,4 Prozent. Da seien viel Illusionen und überzogene Erwartungen dabei gewesen. Die eigene Landtagsfraktion loben sie aber, vor allem ihren Abgeordneten Hilberer.

Der versucht derweil, seiner Partei ein Profil zu geben. Linksliberal soll es sein. Protestwähler, sagt er, wolle er nicht haben - obwohl die zu einem großen Teil dafür verantwortlich sind, dass er heute im Landtag sitzt. Ebenso wolle er keine Fundamental-Opposition gegen die schwarz-rote Mehrheit bilden. Die Piraten müssten vielmehr als regierungsfähige Partei wahrgenommen werden, diesen Anspruch erhebt Hilberer schon.

Die Realität allerdings ist eine andere: Wenn nicht noch ein Wunder geschieht, dann werden die Piraten bei der nächsten Wahl 2017 wieder aus dem Parlament fliegen. Die Situation ist frustrierend, das leugnet keiner der drei Parlamentarier, doch groß darüber reden wollen sie nicht. Denn das würde bedeuten, das Spiel schon vor dem Abpfiff verloren zu geben.

"Wir wollen zur Wahl ein gutes Angebot machen, und wenn es nicht reicht, dann ist das halt so", sagt Hilberer. Die Partei wechseln wie ihr Ex-Fraktionskollege? Nein, das schließen sie aus. Nach einer Wahlniederlage würden sie alle drei wieder in ihre Berufe zurückgehen. "Aber zwei Jahre haben wir ja noch", sagt Augustin, "wenn mir zwei Jahre vor der letzten Wahl jemand gesagt hätte, dass ich Abgeordneter werde, hätte ich ihn für komplett bescheuert erklärt."

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