IT in der Autotechnik:Wie das Auto zum mobilen Endgerät wird

IT in der Autotechnik: Auf dem Weg zur künstlichen Intelligenz im Auto: Die rein digitalen Armaturen des neuen BMW Siebener mit eingeblendeten Fahr- und Navigationshilfen.

Auf dem Weg zur künstlichen Intelligenz im Auto: Die rein digitalen Armaturen des neuen BMW Siebener mit eingeblendeten Fahr- und Navigationshilfen.

(Foto: Barry Hayden)
  • Die digitale Revolution erfasst den Automobilbau.Statt lediglich Daten zu empfangen, wird das Auto zum aktiven Teil eines digitalen Öko-Systems und zum ultimativen mobilen Endgerät im Internet der Dinge.
  • "Ich will nicht in einer Industrie arbeiten, die zum Hardware-Lieferanten für IT-Firmen wird", sagt BMW-Vorstandsmitglied Schwarzenbauer. BMW hat deshalb einen eigenen Geschäftsbereich für digitale Innovationen gegründet.
  • Allerdings werden Autos durch die neue Technik angreifbar durch Hacker. Darum gehen Hersteller und Zulieferer bedächtig vor.

Von Joachim Becker

Jedes Kind weiß, was ein Auto ist. Doch der Schein trügt. Schon bald wird die Seifenkiste auf Rädern zu hundert Prozent vernetzt sein: Von 2018 an bekommen alle Neuwagen in Europa eine fest eingebaute Sim-Karte für den elektronischen Notruf eCall. Mit dieser Funkschnittstelle kann das Auto nicht nur Hilfe rufen, sondern zum Beispiel auch als Wetterfrosch im Chor quaken. Denn moderne Fahrzeuge sind rollende Messstationen mit angeschlossenem Computer-Netzwerk. Sie können die Helligkeit und Temperatur, die Regentropfen auf der Scheibe und den Reibwert der Straße wahrnehmen. Was liegt näher, als die Eindrücke Tausender solcher Wetterfrösche in einer Datenwolke zu sammeln?

Gegen diese geballte lokale Schwarmintelligenz wirken bisherige Wettermeldungen und Straßenzustandsberichte ziemlich holzschnittartig. Noch interessanter wird dieses "Crowd-Sourcing", also das kollektive Datensammeln im Internet der Dinge, wenn moderne Fahrerassistenzsysteme mitspielen. Den Takt für das schnelle Schwarmwachstum gibt die Prüforganisation EuroNCAP vor:Von 2016 an sollen kamerabasierte Notbremsassistenten für den Fußgängerschutz in die Bewertung einfließen. Wer fünf Sterne erlangen will, muss von 2018 an auch für schnell querende Radfahrer automatisch bremsen können. Dann dürften kombinierte Radar- und Kamerasysteme für das prestigeträchtige Top-Ranking fällig sein.

Wie Puzzleteile fügen sich diese technischen Komponenten zu einer künstlichen Intelligenz im Auto zusammen. Denn mit der Funkschnittstelle und den Sensoren entwickeln sich auch die Elektronik-Architektur und die Rechnerkapazitäten rasant weiter. Bildlich gesprochen, fährt das Auto auf eine gläserne Wand zu, hinter der es seine Eigenschaften ständig ändern kann. Auf der Datenautobahn sind neue Funktionen und Fahreigenschaften in einem Entwicklungstempo möglich, das die metallverarbeitende Industrie bisher nicht kannte. Der Durchbruch durch diese digitale Schallmauer wird fließend erfolgen, bevor das Auto der Zukunft vom Jahr 2020 an richtig Fahrt aufnimmt.

Das digitale Auto der Zukunft wird vom Jahr 2020 an dramatisch Fahrt aufnehmen

Um die Kosten für die neuen Sicherheitsausstattungen wieder hereinzubekommen, werden die Hersteller ihre Sensoren zunächst für Komfortsysteme nutzen. "Wäre es nicht interessant, auch die Ampelphasen in Echtzeit darzustellen? Dann könnten wir spritsparend darauf zurollen. Dafür brauchen wir kein Smartphone an der Windschutzscheibe, denn wir haben dort schon eine Kamera", so Elmar Frickenstein, "wir schicken die Daten in die Cloud, reichern sie an und laden sie als Update over the air zurück ins Fahrzeug." Der Mann ist kein Träumer. Als BMW Bereichsleiter Elektrik/Elektronik und Fahrerlebnisplatz hat er die interne und externe Vernetzung des Automobils schon vorangetrieben, als andere das Internet im Auto noch für Blödsinn hielten.

Zehn Jahre später sind Smartphone-Apps im Infotainment-System zum Standard geworden. Nicht selten kleben die Mobiltelefone auch an der Windschutzscheibe, weil sie obendrein als Routenführer dienen und mit ihrer Kamera außer Verkehrsschildern vieles mehr erkennen können. Ob als Wetterfrosch oder Ampelassistent: Statt lediglich Daten zu empfangen, wird das Auto zum aktiven Teil eines digitalen Öko-Systems. Wer all die Sensordaten zentral sammelt und nahezu in Echtzeit auswertet, kann daraus ein lukratives Geschäft machen. Das versteht kaum jemand besser als die Start-ups und Superstars des mobilen Internets. "Noch vor ein paar Jahren liefen Auto- und IT-Branche nebeneinander her", warnt BMW-Vorstandsmitglied Peter Schwarzenbauer, "nun ist es so, dass sich im Silicon Valley jedes zweite Start-up-Unternehmen mit Fragen der Mobilität beschäftigt."

Das Auto wird zum ultimativen mobilen Endgerät im Internet der Dinge. Dort haben Apple, Google & Co. ihre Claims bereits abgesteckt. Zum Beispiel mit De-Facto-Standards für die Betriebssysteme, Anwendungen und die Bedienlogik. Jetzt erobern die typischen Tipp- und Wischgesten, die wir täglich an den Elektronikzwergen trainieren, auch die eifersüchtig gehüteten Infotainmentsysteme der Fahrzeughersteller. Schließlich und endlich dreht sich alles um die Konsumenten-Daten: Wer die Lufthoheit über das digitale Privatuniversum der Konsumenten besitzt, profitiert maßgeblich von deren Kaufverhalten. Entsprechende Geschäftsmodelle der Internetbranche rechnen nicht mit Tausenden, sondern mit Abermillionen von Nutzern. Und sie lassen sich per Smartphone einfach im Auto nachrüsten.

"Ich will nicht in einer Industrie arbeiten, die zum Hardware-Lieferanten für IT-Firmen wird"

"Ich will nicht in einer Industrie arbeiten, die zum Hardware-Lieferanten für IT-Firmen wird", rüttelt BMW-Vorstandsmitglied Schwarzenbauer die Autobranche auf. Um der Bedrohung Paroli zu bieten, hat BMW einen eigenen Geschäftsbereich für digitale Innovationen gegründet. Seit einigen Monaten arbeiten 150 Mitarbeiter an der Freude am Fahren auf der Datenautobahn. "95 Prozent des digitalen Nutzererlebnisses findet außerhalb des Fahrzeugs statt, deshalb akzeptieren Kunden nicht mehr, wenn sich diese Erfahrung nicht im Auto fortsetzt oder sogar verstärkt", sagt Dieter May, Bereichsleiter Digitale Dienste und Geschäftsmodelle bei BMW. Viele Entwickler für dieses Start-up innerhalb des Unternehmens hat BMW in Shanghai und Chicago von Internetfirmen abgeworben. "Wir versuchen, die Head-Unit von fest programmierten Inhalten zu leeren, damit wir den Prozessor und Speicher mit Software-Updates neu bespielen können", so Dieter May.

Bisher gibt es für solche Software-Updates bei den meisten Herstellern noch gar kein Geschäftsmodell. Auch in der kommenden Mercedes E-Klasse (März 2016) und dem nächsten Audi A8 (Ende 2016) soll die schöne neue Datenwelt Einzug halten. Daimler hat vor vier Monaten Sajjad Khan von BMW abgeworben, der über langjährige Erfahrungen in der Entwicklung von Telematik-Systemen verfügt. Der neue Mercedes-Bereichsleiter "Digital Mobility and Vehicle" wird seine Ziele nächste Woche vor ausgewählten Medienvertretern vorstellen.

BMW hat mit dem ConnectedDrive Store schon vorgelegt: "Dort können Sie neue Dienste auch nach dem Autokauf dazubuchen. Dieser Store lebt mit dem Auto. Sie kaufen einmal die Hardware, aber die Funktionalität ändert sich über die Lebenszeit. Damit haben wir die Lücke zwischen der Automobilindustrie und der Consumer Electronic geschlossen", verkündet Elmar Frickenstein. Noch ist das Angebot in dem digitalen Auto-Supermarkt allerdings bescheiden. Erst auf der weltweit größten Messe für Consumer Electronic (CES) Anfang Januar 2016 will BMW die Grundzüge seines neuen Nutzererlebnisses vorstellen.

Ein Auto lässt sich künftig per Software laufend auf dem jeweils neuesten Stand halten

"Die Automobilindustrie steht auf dem Weg ins 21. Jahrhundert vor den größten Herausforderungen ihrer neueren Geschichte", weiß Frickenstein. Wohin die Reise geht, zeigt der neue BMW Siebener: "Gerade mal vier Jahre ist es her, dass wir gesagt haben: Wir brauchen Ethernet im Fahrzeug. Der Siebener hat 20 Steuergeräte, die über das standardisierte Datennetzwerk verbunden sind. Zudem verfügt er über acht Gigabyte Software-Flashspeicher, die für die Intelligenz des Fahrzeugs zur Verfügung stehen", so der Elektronikexperte auf dem Kongress für Automobilelektronik des Süddeutschen Verlages.

Die offene Elektronikarchitektur bildet das Rückgrat für ein neues digitales Kundenerlebnis, denn damit sind Software-Aktualisierungen weit über das Infotainment-System hinaus möglich. Tesla hat es mit dem Model S vorgemacht: Aktualisierungen des Betriebssystems per Luftschnittstelle erlauben eine schnelle Verbreitung von neuen Entwicklungsständen über die gesamte Fahrzeugflotte hinweg. Das Auto ist in seinen Möglichkeiten also nicht ein für allemal reglementiert, wenn es den Hof des Händlers verlässt. Allerdings haben die forschen Kalifornier viel Lehrgeld zahlen müssen, weil das Tesla Model S angreifbar durch Hacker wurde.

Deshalb gehen die deutschen Hersteller und Zulieferer bedächtiger vor: Einen sicherheitskritischen Systemabsturz oder Fahrfunktionen, die durch Dritte ferngesteuert werden, können sie sich nicht leisten. Schließlich geht es nicht nur um zusätzliche Infotainment-Dienste. Das große Ziel sind weitere Funktionen auf dem Weg zum automatisierten Fahren. Schrittweise soll der Fahrer lernen, seine Verantwortung am Steuer mit gutem Gefühl abzugeben. "Die Funktionalität ändert sich während der Lebenszeit, da wir große Datenmengen austauschen können. Damit kommt die Updatefähigkeit der IT-Industrie ins Fahrzeug", so Elmar Frickenstein, "das ist der Schlüssel zur Zukunft der Automobilindustrie."

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