Streit um Dritte Startbahn:Mal schön auf dem Boden bleiben

Streit um Dritte Startbahn: Streit um die Dritte Startbahn, hier die Gegner. Doch möglicherweise argumentieren beide Seiten mit falschen Grundlagen.

Streit um die Dritte Startbahn, hier die Gegner. Doch möglicherweise argumentieren beide Seiten mit falschen Grundlagen.

(Foto: Marco Einfeldt)
  • Seit Jahren liefern sich Befürworter und Gegner einer dritten Startbahn am Flughafen München heftige Diskussionen.
  • Die Befürworter argumentieren mit der wirtschaftlichen Zukunft - die Gegner wollen Lebensraum erhalten.
  • Die Grundannahme beider Seiten: Die künftige Zahl von Passagieren und Flugbewegungen ist der ausschlaggebende Punkt. Doch das könnte falsch sein, sagen Experten.
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Von Inga Rahmsdorf

Die einen sagen, die Zahl der Fluggäste sei gestiegen. Die anderen sagen, die Zahl der Starts und Landungen sei in den vergangenen Jahren zurückgegangen. Beide haben recht. Dabei soll das eine Argument den Ausbau des Münchner Flughafens vorantreiben, während das andere ihn verhindern soll.

Befürworter und Gegner der dritten Startbahn liefern sich seit Jahren heftige Diskussionen. Um ihre Positionen zu untermauern, legen sie Studien vor, die sich meist diametral gegenüberstehen. So führen beispielsweise die Befürworter die Zahl der Jobs an, die durch einen größeren Flughafen entstehen würden. Die Gegner hingegen sprechen über die Arbeitsplätze, die verdrängt werden könnten.

Zwei grundlegende Fragen kommen oft zu kurz

Dabei gehen sie oft von der gleichen Grundannahme aus: Dass die künftige Zahl von Passagieren und Flugbewegungen der ausschlaggebende Punkt für beziehungsweise gegen den Ausbau des Flughafens ist. Das lässt sich dann nur mit Prognosen beantworten. Und in welche Richtung die weisen, hängt maßgeblich davon ab, welche Faktoren in die Untersuchungen einfließen. "Niemand aber kann realistische Prognosen treffen, wie der Flugverkehr in zehn bis 20 Jahren aussehen wird", sagt die Stadtforscherin Johanna Schlaack, Gastprofessorin an der TU Berlin, die gerade ein Buch über die Zusammenhänge von Großflughäfen und Stadtentwicklungen herausgebracht hat.

Was bei der Münchner Debatte über die dritte Startbahn oft zu kurz kommt, sind zwei grundlegende Fragen: Welche Bedeutung hat der Flughafen für München? Und gilt auch in Zukunft noch die Maxime: Je größer der Flughafen, desto besser ist es für die Stadtentwicklung?

Die Befürworter argumentieren mit dem wirtschaftlichen Nutzen

Das Hauptargument der Befürworter ist der wirtschaftliche Nutzen. Wachstum und Wohlstand seien vom Flughafenausbau abhängig - und zwar nicht nur für München, sondern auch für Bayern. Die Industrie- und Handelskammer (IHK) für München und Oberbayern befürchtet ohne dritte Startbahn eine sinkende Wettbewerbsfähigkeit. "Wir sind darauf angewiesen, dass wir einen international leistungsfähigen und anerkannten Flughafen haben", sagt Peter Kammerer, stellvertretender Geschäftsführer der IHK.

Auch die Handwerkskammer plädiert für den Ausbau, so Sprecher Rudolf Baier. Denn gehe es der Industrie gut, dann gehe es auch dem Handwerk gut - nicht nur den Zulieferern, sondern auch den Friseuren, Bäckern und Metzgern. Kann das Drehkreuz München international nicht mehr mithalten, sei der Wohlstand gefährdet.

Wäre der Flughafen 1992 nicht von Riem ins Erdinger Moos gezogen, dann hätte Siemens sich nicht so entwickeln können, davon ist auch Siemens-Sprecher Karlheinz Groebmair überzeugt. Die gut funktionierende Infrastruktur des Flughafens sei sehr wichtig für das Unternehmen, dabei gehe es nicht nur um Personenverkehr, sondern auch um Fracht. Ob dafür allerdings eine dritte Startbahn notwendig ist, dazu will sich Groebmair nicht äußern.

Während die Münchner Wirtschaftsverbände vehement den Ausbau fordern, wollen große Unternehmen wie Siemens, Allianz, BMW und Microsoft sich nicht öffentlich äußern. Zu umstritten ist das Projekt, zudem will man es sich wohl weder mit der Landesregierung verderben, die ausbauen will, noch mit dem Oberbürgermeister, der sich an den Bürgerentscheid gebunden sieht, bei dem die Mehrheit der Wählenden 2012 gegen die dritte Startbahn stimmten.

Was die Gegner sagen - und was die Experten

Dass der Flughafen ein wichtiges Standortkriterium für Unternehmen ist, begründet allerdings noch nicht, dass München eine dritte Startbahn braucht. Gegner wie der grüne Landtagsabgeordnete Christian Magerl verweisen darauf, dass die Kapazitätsgrenzen am Flughafen bei Weitem noch nicht erreicht sind. Doch die Befürworter halten dagegen: Wer jetzt nicht ausbaut, der wird in Zukunft auf dem Weltmarkt abgehängt. Auch Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW), sieht die dritte Startbahn als eine strategische Investition für die Zukunft. Dabei gehe es nicht nur um Expansion, sondern auch um die Sicherung des Bestands.

Die Wissenschaftlerin Schlaack bezweifelt allerdings, dass der Flugverkehr weiterhin exponentiell wächst. Gerade weil die Ressourcen immer knapper werden, sei mit steigenden Flugpreisen zu rechnen. Das wiederum hätte nicht nur Auswirkungen auf die Passagierzahlen, sondern auch auf die Fracht. Wenn es teurer wird, Produkte und Mitarbeiter durch die Welt fliegen zu lassen, könnten auch die Unternehmen ihre Strategien ändern. Die Stadtforscherin spricht sich keineswegs gegen Großprojekte aus. Aber sie fordert, dass solche Entscheidungen wie in München in viele andere Überlegungen eingebunden werden. Dazu zählen auch volkswirtschaftliche Berechnungen, die nicht nur berücksichtigen, was der Ausbau selbst kostet, sondern auch, welche Kosten noch daran hängen, etwa für Maßnahmen zum Schallschutz und Umweltschäden.

Gegner: Lebensraum wird zerstört

Die Gegner der dritten Startbahn argumentieren damit, dass ihr Lebensraum zerstört oder beeinträchtigt wird. Das sind verständliche und berechtigte Sorgen, sie tauchen aber bei fast jedem Großprojekt auf. Schließlich will niemand, dass die Autobahn durch seinen Garten führt, sein Haus einem Kohleabbaugebiet weichen muss oder ein Windrad Schatten wirft. Es gibt aber noch einen viel weiter reichenden Ansatz gegen die dritte Startbahn, der nicht nur die Anwohner betrifft, sondern die ganze Region und letztlich auch die Gesellschaft.

Die Wirtschaftsverbände betonen, dass Mobilität der Schlüssel für die Zukunft sei - und daher die dritte Startbahn zwingend notwendig. Für den Verkehrsökologen Udo Becker ist das allerdings noch kein Argument für den Ausbau. Mehr Mobilität bedeute nicht automatisch mehr Verkehr und größere Entfernungen, sagt der Professor, der sich an der TU Dresden mit Verkehrsplanungen befasst.

Folgt man Beckers Mobilitätskonzept, dann kommt man zu einem eigentlich naheliegenden Schluss: Verkehrsplanung muss heute zum Ziel haben, dass wenig Energie verbraucht wird, wenig Kosten entstehen, wenig Fläche versiegelt wird sowie wenig Lärm, wenig Abgas und wenig Umweltschäden entstehen. Das mag zunächst banal klingen, aber angesichts des Klimawandels und ständiger Absichtsbekundungen, die Treibhausgase zu reduzieren, klingt Beckers Ansatz bestechend fortschrittlich.

An die Kinder denken - oder an die Enkel?

Flughafenchef Michael Kerkloh sagte diese Woche, dass die dritte Startbahn "ein Projekt für unsere Kinder" sei. Das sieht Becker anders: "Wenn wir bei der Entscheidung über die dritte Startbahn langfristig denken, auch an unsere Enkel und nachfolgende Generationen, dann müsste man sich gegen einen Ausbau entscheiden." Es gehe bei der Startbahn auch um die Frage, welche Rahmenbedingungen München sich für die Zukunft setzen will.

Wer in der bisherigen Logik bleibe und davon ausgehe, dass auch weiterhin der die Nase vorn hat, der den größten Flughafen hat, der müsse sich für eine dritte Startbahn entscheiden, so der Verkehrsökologe. Wer aber in Betracht zieht, dass der Planet langfristig nur Überlebenschancen hat, wenn bei der Verkehrsplanung stärker auf lokale und kleinräumige Strukturen gesetzt wird, die weniger Ressourcen verbrauchen, dann ist diejenige Kommune der Vorreiter, die frühzeitig umgedacht hat.

"Niemand erwartet ernsthaft, dass die Benzin- und Kerosinpreise langfristig auf dem heutigen Niveau bleiben", sagt Becker. Daher werde die Kommune in Zukunft prosperieren, die ihren Einwohnern dann trotzdem Mobilität ermöglicht, mit wenig Energie - dazu gehöre auch, weniger auf Luftverkehr angewiesen zu sein.

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