Urheberrecht:Es ist Zeit für einen Aufschrei der Kreativen

Die Digitalisierung bedroht Urheber und Verlage in ihrer Existenz. Wenn sie versuchen, ihre Rechte durchzusetzen, hagelt es Kritik. Es reicht!

Von Jonathan Beck

Jonathan Beck leitet seit diesem Jahr den Verlagsbereich Literatur, Sachbuch, Wissenschaft des Verlags C.H. Beck.

Change.org und Wikipedia haben schon wieder die Welt gerettet. Diesen Eindruck konnten die Spin-Doctors der Netzgemeinde in den letzten Tagen ein weiteres Mal erfolgreich entstehen lassen. Und das, indem sie sich auf die rechtspolitisch höchstens zweitrangige Problematik der sogenannten Panoramafreiheit stürzten, von der die allermeisten Internetnutzer bis dato noch nie gehört hatten.

In der langen Liste von Änderungswünschen an das europäische Urheberrecht, über die das EU-Parlament am 9. Juli abstimmte, finden sich beileibe dringlichere Fragen. Am medialen Aufruhr um die Panoramafreiheit (zuletzt in der Form des Beitrags von Leonhard Dobusch in der Süddeutschen Zeitung vom 8. Juli) zeigt sich daher vor allem, wie die vermeintlichen Internetbefreier und ihre Klickspender imstande sind, die öffentliche Wahrnehmung des Urheberrechts zu manipulieren, und von welcher digitalen Kurzsichtigkeit und Doppelmoral sie sich dabei leiten lassen.

Vermeintlicher "Urheberrechts-Extremismus"

Die Fälle, in denen Facebooknutzer abgemahnt wurden, weil sie auf ihrem Profil private Fotos mit urheberrechtlich geschützten Inhalten im Hintergrund veröffentlicht haben, lassen sich wahrscheinlich an wenigen Händen abzählen. Aber natürlich reichen diese Fälle schon für Leonhard Dobusch, um in Varoufakis-Manier von "Urheberrechts-Extremismus" zu sprechen, und für die Piratin Julia Reda, um medienwirksam festzustellen, dass jeder Facebooknutzer mit einem Bein im Gefängnis stehe.

Erstaunlich ist dabei, dass sich all dieser Unmut gegen die Urheber richtet. Wahrlich skandalös ist doch eigentlich die Tatsache, dass Netzgiganten wie Facebook oder Youtube einerseits per Werbeerlös reichlich kommerziellen Gewinn erzielen, wenn ihre Nutzer die Werke anderer in "kreativer Appropriation" (Dobusch) mit eigenen Werken vermischen, andererseits das damit verbundene urheberrechtliche Risiko aber schlicht per AGB auf die Nutzer abwälzen. An dieser Stelle wäre das europäische Parlament gefragt, die Internetplattformen in die Verantwortungen zu nehmen.

Man sucht die Schuld im Urheberrecht

Doch das könnte kompliziert werden oder gar lieb gewonnene Nutzungsmöglichkeiten der jeweils favorisierten Plattform infrage stellen. Da sucht man die Schuld lieber im Urheberrecht. Das habe derartige kreative Appropriation einfach zu erlauben, ob es der ungefragt in Besitz genommene Urheber wolle oder nicht. Da es sich bei den Urhebern ohnehin nur um eine "kleine Minderheit" handele - Dobusch hat hier unzweifelhaft nur gut verdienende Popstars und Bestsellerautoren vor Augen - müssten deren Interessen und Persönlichkeitsrechte eben hinter dem Mehrheitswillen zurückstehen. Sieben Millionen Menschen, deren Beschäftigung in der europäischen Kultur- und Kreativwirtschaft von der guten Zusammenarbeit mit Urhebern aller Art abhängt, können dagegen vernachlässigt werden.

Eine andere kleine Minderheit, die Einkommensmillionäre und Aktienmilliardäre von Facebook, Google, Amazon und Co., die von den selbst erstellten Inhalten ihrer Nutzer kommerziell am meisten profitieren, werden dagegen als Idole gefeiert. Sie haben ihren Erfolg offenbar verdient, während der Vergemeinschaftung des kreativen Werks der Urheber nichts entgegensteht.

Es braucht einen kollektiven Aufschrei der Kreativen

Die Doppelmoral zeigt sich auch in Verbindung mit anderen Fragen der Netzpolitik, beispielsweise zum Datenschutz. Während alles, was technisch möglich ist, urheberrechtlich gefälligst auch erlaubt sein soll, hört man zum Datenschutz aus den gleichen Kreisen eine diametral entgegengesetzte Position. Hier erschallt der Ruf nach gesetzlichen Grenzen für Facebook und Co., und jede Änderung der Facebook-Datenschutzregelungen wird begleitet von ähnlichem digitalen Getöse wie zuletzt das Thema Panoramafreiheit.

Bei persönlichen Daten ist dann auch diskutabel, was im Urheberrecht zugunsten von Bequemlichkeit und Kostenlosmentalität verzichtbar sein soll, nämlich dass Facebook und Co. für ihre Nutzung von Daten und Inhalten bezahlen. Wo bleibt die Stimme der Urheber und ihrer Werkvermittler in diesen Diskussionen, das darf man zu Recht fragen. Immerhin hat der PEN kürzlich ein Urheberrecht, das diesen Namen auch verdient, erneut eingefordert.

Für Verlage und andere Werkvermittler gilt, dass sie in ihrer täglichen Arbeit alle Hände voll zu tun haben, Angriffe an mehreren Fronten abzuwehren: Die Buchverkäufe sind insgesamt rückläufig, Verkäufe älterer Werke aus der sogenannten Backlist, früher eine wichtige Umsatzstütze, wurden weitgehend vom Online-Gebrauchtbuchhandel ersetzt, Amazon erzwingt einen im Jahresrhythmus steigenden Anteil vom Umsatz für sich, Übersetzer fordern eine stattliche Erfolgsbeteiligung, und Bibliotheken können seit Kurzem auf das gerichtlich zugesprochene Recht hoffen, ein vorhandenes Printexemplar einscannen und unbeschränkt digital an ihre Nutzer weitergeben zu dürfen. Ein kollektiver Aufschrei von Urhebern, Verlagen und anderen Werkvermittlern wäre mehr als angebracht.

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