Reality-TV:Ende Gelände

Reality-TV: Im vergangenen Jahr erst haben die Bagger Newtopia gebaut. Nun kann sich dort wieder die Natur ausbreiten.

Im vergangenen Jahr erst haben die Bagger Newtopia gebaut. Nun kann sich dort wieder die Natur ausbreiten.

(Foto: Sat1)

Sat 1 setzt das Experiment "Newtopia" ab, bei dem Kandidaten rund um eine Scheune in Brandenburg ein neues Leben aufbauen sollten.

Von David Denk

Die Natur kann sich wieder ausbreiten, die Gefahr ist gebannt: Nach etwas mehr als 100 Folgen beendet Sat 1 das Reality-Format Newtopia und überlässt nicht nur einen zwei Hektar großen Acker bei Königs Wusterhausen wieder sich selbst, sondern auch die fünfzehn "Pioniere" genannten Kandidaten, die dort seit Mitte Februar eine - im Sendersprech - "neue, vielleicht bessere Gesellschaft" aufbauen sollten. Sie sind für das Schauhausen im Brandenburgischen aus ihren Jobs und ihrem Alltag ausgestiegen. Wann genau sie das Gelände verlassen werden, steht noch nicht fest.

Ursprünglich war das Format auf ein ganzes Jahr angelegt, doch wie der Sender am Montagmittag mitteilte, wird die letzte Folge bereits an diesem Freitag ausgestrahlt. Der Live-Stream auf der Newtopia-Website wurde parallel zur Veröffentlichung der Pressemitteilung schon mal abgeschaltet. Fürchtet der Sender eine Meuterei der Pioniere, wenn sie von der Absetzung erfahren? Ein Sat 1-Sprecher hält dagegen: "Wir wollen nicht, dass unseren TV-Zuschauern vorab die Spannung genommen wird." Eine Angst, die neu ist, war der Live-Stream doch von Anfang an integraler Bestandteil des Newtopia-Konzepts. Allen Besitzern eines kostenpflichtigen "Premium-Passes", der Zugang zum Livechat und zur 360-Grad-Kamera in der Newtopia-Scheune geboten hat, werde ihr zuletzt überwiesener Beitrag in voller Höhe erstattet, hieß es. Viele Kunden dürften davon nicht betroffen sein: Das Interesse an Newtopia ließ rapide nach. Sahen die erste Folge noch 2,8 Millionen Zuschauer, waren es zuletzt nur noch rund eine Million.

Das Scheitern von Newtopia ist bitter für Sat 1, hat der Sender doch reichlich Geld und Werbung in das aus den Niederlanden importierte "größte TV-Experiment aller Zeiten" gesteckt. Von Montag bis Freitag bespielte man mit dem von John de Mol (Big Brother, The Voice) erdachten Format am Vorabend eine volle Programmstunde - eigentlich zu viel für die zu erwartende finanzielle Ausbeute, sagen Insider. Zusammen mit der Produktionsfirma Talpa Germany habe sein Sender "viel Sendezeit, Herzblut und Ideen" in Newtopia gesteckt, kommentierte Sat 1-Geschäftsführer Nicolas Paalzow das Aus. "Leider ohne den erhofften Erfolg."

Zur Begründung des Flops verweist der Sendersprecher auf Paalzows Statement in der Pressemeldung - der allerdings zu den Gründen kein Wort verliert. Stattdessen: "Wir versprechen: Sat 1 wird sich auch weiterhin trauen, mutige TV-Ideen auf den Bildschirm zu bringen." Das "Daily Drama" In Gefahr - ein verhängnisvoller Moment, das den Newtopia-Sendeplatz ab Montag vorerst übernimmt, gehört wohl eher nicht dazu. Im Herbst füllen dann das neue Magazin Unser Tag und die Daily Soap Mila mit der früheren GZSZ-Schauspielerin Susan Sideropoulos die entstandene Lücke.

Von Newtopia in Erinnerung bleiben wird vor allem ein Vorfall im April, als ein live ins Internet übertragenes nächtliches Produktionsmeeting erhebliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Reality-Doku weckte: Eine Produktionsmitarbeiterin sprach gegenüber den Pionieren davon, dass es "immer wieder Wünsche" an sie gebe, täglich telefoniere sie mit Produzent de Mol. Dieser Hinweis auf Regieanweisungen bei Newtopia steht in krassem Widerspruch zu einer Aussage von Sat-1-Unterhaltungschef Taco Ketelaar: "Das Programm ist echt, es ist authentisch." Der Sender distanzierte sich von dem Vorfall und versprach Aufklärung. Die Öffentlichkeit erfuhr danach jedoch kaum etwas, außer, dass die Mitarbeiterin entlassen wurde. Newtopia und damit das gesamte Reality-Genre wurde durch die Ungewissheit, ob bei dem "TV-Experiment" geschummelt wurde, nachhaltig beschädigt.

Trotz des im Namen behaupteten utopischen Charakters dominierte auch bei Newtopia das hinlänglich bekannte Geläster und Gezicke einer Gruppe gemeinsam kasernierter Menschen, von dem auch Formate wie Big Brother oder Ich bin ein Star - Holt mich hier raus! leben: Lagerkoller als Fernsehunterhaltung. Dass die Zuschauer davon etwas ermüdet sind, ist - siehe Newtopia-Quoten - nicht zu leugnen. Dennoch kann es Pro Sieben Sat nicht lassen und bringt 15 Jahre nach der ersten Staffel Big Brother im Herbst beim Spartensender Sixx zurück ins deutsche Fernsehen. Hoffnung macht die Absetzung von Newtopia da nicht gerade.

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