Trochowski beim FC Augsburg:Qualifiziert fürs soziale Jahr

Trainingslager FC Augsburg

Darf sich in Augsburg dehnen: Piotr Trochowski.

(Foto: Daniel Naupold/dpa)
  • Wer 35 Länderspiele absolviert hat, braucht eigentlich kein Probetraining.
  • Doch bei Piotr Trochowski ist die Sache anders. Sein Wechsel zum FC Augsburg hilft beiden Seiten.
  • Er will seine finstere Zeit beim FC Sevilla vergessen lassen.

Von Christof Kneer

Es wird bei Fußballspielern als besondere Fähigkeit geschätzt, wenn sie in der Lage sind, das 1:0 zu schießen. Zwar ist ein 3:0 auch etwas Schönes, und selbst für ein 11:1 muss sich der Torschütze nicht schämen - aber kein Tor auf der Welt hat eine Chance gegen das Eins-Null, die Königsdisziplin aller Torschützen. Wer das Eins-Null schießt, so geht die Branchenlogik, der gibt sich nicht mit Nebensächlichem ab, der hat das Talent, ein Spiel in die richtige Richtung zu zwingen. Noch mehr geachtet als die Eins-Null-Schützen werden allenfalls jene Spieler, die das Eins-Null mit einem Freistoß erzielen. Denn diese Spieler brauchen nicht mal Mitspieler, um ein Spiel in die richtige Richtung zu zwingen. Sie schaffen das ganz alleine.

Für Eckbälle und Freistöße hatte Augsburg bisher niemanden - Trochowski kann das

Piotr Trochowski hat vor ein paar Tagen per Freistoß das 1:0 erzielt, und es wäre übertrieben zu behaupten, dass ihm ausschließlich dieses Tor einen Vertrag beim FC Augsburg eingebracht hat. Es war das 1:0 in einem Spiel, das 11:1 endete, und zu vermuten steht, dass der Europacup-Teilnehmer aus Augsburg die Schwaben-Auswahl auf der anderen Seite auch bezwungen hätte, wenn Trochowski mit seinem Freistoß die Eckfahne getroffen hätte. Dennoch war selbst dieses kleine Benefizspiel groß genug, um zwei Parteien zusammenzuführen, die sich eher gefunden als gesucht haben.

Die Augsburger Verantwortlichen haben in diesem Spiel genau mitgezählt und festgestellt, dass Trochowski an sieben der elf Treffer beteiligt war; und sie haben registriert, dass dieser Spieler offenkundig jene Disziplin beherrscht, für die Augsburgs Verantwortliche schon seit langem einen Spezialisten suchen: Standardsituationen. Für Elfmeter haben die Augsburger ihren unfehlbaren Holländer Paul Verhaegh, aber für Eckbälle und Freistöße hatten sie - bisher - niemanden. Jedenfalls niemanden, der es konnte.

Am späten Montagabend ist Trochowski den Augsburgern ins Trainingslager nach Österreich nachgereist, als offizieller Lizenzspieler, nicht mehr als Gastspieler, wie noch bei diesem schönen 11:1. Trochowski hat 35 Länderspiele für Deutschland in seiner Personalakte stehen, er hat bei der WM 2010 im Halbfinale gegen Spanien ein seriöses Spiel abgeliefert, so ein Mensch braucht normalerweise kein Probetraining und schon gar keinen Testkick gegen eine Schwaben-Auswahl. Aber Trochowski, 31, hat ein paar so finstere Jahre hinter sich, dass sie ihn fast vergessen haben in seiner alten Heimat.

Er ist 2011 zum FC Sevilla gewechselt und hat dort eine Weile so seriöse Spiele abgeliefert wie im WM-Halbfinale, inklusive zweier Tore gegen Real Madrid und den FC Barcelona. Aber dann hat es plötzlich ein bisschen gestochen im Knie, aus einem unentdeckten Knochenödem wurde ein Knorpelschaden, und an dieser Stelle endet die schöne Geschichte mit Trochowski und Sevilla, bevor sie richtig beginnt.

Die Bank überwies kein Geld mehr

Allerdings hat sich das Ende der Geschichte dann etwas hingezogen, es dauerte zwei Jahre. Trochowski kämpfte sich zurück, spielte wieder, verletzte sich wieder, und Ende August 2014, kurz vor Ende der Transferfrist, kam Sportdirektor Monchi und eröffnete ihm trocken, er sei - trotz eines bis Juni 2015 laufenden Vertrages - ab sofort kein Spieler des FC Sevilla mehr.

"Er hat mir gesagt, ich müsse morgen nicht mehr kommen", hat Trochowski kürzlich im SZ-Interview erzählt; die Physiotherapeuten durften ihn nicht mehr behandeln, die Bank überwies kein Geld mehr. Seitdem liegen die Parteien im Rechtsstreit, im September folgt vor spanische Gerichten die nächste Runde.

"Natürlich waren die letzten Jahre nicht rund für ihn", sagt Augsburgs Trainer Markus Weinzierl, "aber seine Qualitäten sind immer noch zu erkennen." Sie haben dem ehemaligen Patienten beim Medizincheck genau aufs Knie geschaut und nichts entdeckt, was sie beunruhigt hätte, und so haben beide Parteien ein gemeinsames soziales Jahr verabredet: Sie helfen sich jetzt gegenseitig. Trochowski, der zuletzt Absagen aus Hamburg oder Bremen kassierte, hat einen Verein gefunden, mit dem er sogar im Europacup spielen darf, sein Management muss Kontakte nach Hannover oder Frankfurt nicht mehr aufwärmen.

Er hat eine Zeit hinter sich, die ihn günstig macht. Und es gibt die Option auf ein zweites Jahr

Und der FC Augsburg kann dank Trochowski endlich jenen Transferstau auflösen, der den Klub zuletzt doch etwas belastet hatte. Die Augsburger leiden ja gerade unter einem Luxusproblem, sie haben sich so schnell entwickelt, dass sie jene Spieler, die sie verstärken könnten, inzwischen kaum noch bezahlen können.

Trochowski dagegen hat eine Zeit hinter sich, die ihn günstig macht. Und sein Probetraining war so einleuchtend, dass ihm die Augsburger in seinen Einjahresvertrag gleich eine Option auf ein weiteres gemeinsames Jahr hineingeschrieben haben.

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