Weltbild:Böses Erwachen

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Gut 350 Weltbild-Mitarbeiter sind im Frühjahr dieses Jahres zu Lesensart gewechselt. Nun müssen sie wieder zittern.

(Foto: oh)

Rüdiger Wenk war im Frühjahr angetreten, um marode Weltbild-Filialen zu retten. Doch nun hat die Kette Lesensart einen Insolvenzantrag gestellt.

Von Dieter Sürig

Da schien einer den Stein der Weisen gefunden zu haben. Der Buchhandel ächzt im Wandel der Zeit, und dann taucht plötzlich ein bis dahin unbekannter Kaufmann auf und weiß alles besser. Rüdiger Wenk, 48, aus Ahaus im Münsterland machte sich anheischig, 67 marode Filialen der Augsburger Weltbild-Gruppe zu retten. Er wollte die verlustträchtigen Läden quer durch die Republik entrümpeln, von ihrem Gemischtwarenimage befreien.

Raus mit den Vogelhäuschen, rein mit der Literatur - die Standorte wollte Wenk in "hochwertige Buchhandlungen" umwandeln. Er begeisterte die Filialleiter, die das Konzept als Befreiungsschlag feierten und dem Retter bei einem Treffen in Kassel sogar applaudiert haben sollen. Man konnte meinen, Buchläden seien landauf landab wie Goldgruben. Und Wenk selbst wollte den Filialleitern im Idealfall zur Selbständigkeit verhelfen - mit kleinem Kapitaleinsatz und großer Zukunft.

Nun hat die gut 350 Lesensart-Mitarbeiter die Vergangenheit wieder eingeholt. Während die Filialen bei der Weltbild-Insolvenz Anfang vergangenen Jahres noch nicht direkt betroffen waren, sondern mithilfe eines Schutzschirmverfahrens gerettet wurden, hat Lesensart am Mittwoch beim Amtsgericht Münster einen Insolvenzantrag gestellt. Zum vorläufigen Insolvenzverwalter ist der Betriebswirt Ulrich Zerrath aus Recklinghausen bestellt worden, der seit mehr als 25 Jahren Insolvenz- und Sanierungsfälle betreut. Eine Stellungnahme war von ihm am Donnerstag nicht zu bekommen.

Der Betriebsrat von Lesensart ist von der Entwicklung völlig überrumpelt worden

Der Betriebsratssprecher von Lesensart, Olaf Keith, wurde von dem Insolvenzantrag überrumpelt: "Das haben wir erst am späten Vormittag erfahren", sagte er der SZ. Lesensart-Chef Wenk hat es also nicht für nötig befunden, seine Belegschaft über die Insolvenz zu informieren. Nun müsse der Gesamtbetriebsrat überlegen, wie es weitergeht, so Keith. Für diesen Freitag ist ein Treffen mit Zerrath geplant.

Vom Zeitpunkt überrascht war Weltbild-Betriebsratschef Peter Fitz. "Das war aber insgesamt zu erwarten, die Übernahme durch Wenk war von Anfang an unseriös." Letztlich sei es auch "unsäglich, wie da mit Mitbestimmungsrechten umgegangen wird". Der Betriebsrat müsse normalerweise in solche Verfahren eingebunden sein. "Das war von Anfang an eine Totgeburt", sagte Verdi-Betriebsgruppensprecher Timm Bossmann. "Wir haben immer bezweifelt, dass das Konzept aufgehen kann." Er wirft Weltbild und dem Investor Walter Droege eine Mitverantwortung vor. "Die wollten die Filialen ohne Sozialplan entsorgen, das ist ein abgekartetes Spiel".

Bis heute ist der genaue Hergang der Filialübertragung von Weltbild an Rüdiger Wenk unklar. Offiziell hatte das Augsburger Unternehmen etwa die Hälfte seiner Filialen an Wenk "aufgrund zu hoher Struktur- und Mietkosten verkauft". Die Mitarbeiter sollten im Zuge eines Betriebsübergangs mit übernommen werden. Fraglich bleibt, auf welche Weise Wenk die Filialen finanziert hat. Nach SZ-Informationen sollen Weltbild oder der Düsseldorfer Investor Droege sogar noch Geld draufgelegt haben, um die verlustträchtigen Filialen endlich loszuwerden. Wenk soll zudem die Restbestände und die Ladeneinrichtung besonders günstig bekommen haben.

Das gefeierte Konzept, das Wenk in 14 Punkten auf nur zwei DIN-A4-Seiten zusammengeschrieben hatte, ist dann relativ schnell in sich zusammengefallen. Schon bei der Umflaggung der Filialen war es zu Irritationen gekommen. Selbst knapp sechs Monate nach der Übernahme sind die Läden zum Teil noch mit Weltbild-Schildern ausgestattet. Der Grund ist einfach: Weltbild hat zum Teil immer noch die Hoheit über die Mietverträge. Betriebsrat Keith hatte zudem kritisiert, dass Weltbild Lesensart-Läden ohne Rücksprache mit Wenk und den Mitarbeitern an Dritte vermietet hat. In einem offenen Brief warf die Lesensart-Belegschaft Weltbild und Droege Ende Juni vor, dass das "Geschäftsmodell von Beginn an nicht auf den Betrieb einer Buchhandlung, sondern lediglich auf deren Weiterverkauf ausgerichtet" gewesen sei. Filialleiter seien von Wenk unter Druck gesetzt worden, Kredite aufzunehmen, um ihre jeweilige Filiale zu kaufen, bevor die Sanierung überhaupt begonnen habe. Eine Antwort gibt es bis heute nicht.

Fakt ist, dass in den vergangenen Wochen sukzessive etwa 15 Filialen geschlossen wurden, zum Teil sind dort mittlerweile Läden der Billigkette Schum Euroshop eingezogen. Keith monierte, dass die Lesensart-Mitarbeiter erst am selben Tag erfahren hätten, dass ihr Laden geräumt werden solle. Der Betriebsrat hat deshalb auch mehrfach einstweilige Verfügungen beantragt - ohne Erfolg. Wenk äußert sich nicht, ließ aber am Donnerstag mitteilen, dass er selbst erst kurz vor der Schließung informiert worden sei.

Weltbild zeigte sich nun selbst überrascht von der Insolvenz, weist aber gleichzeitig darauf hin, "dass diese Insolvenz ausschließlich Lesensart betrifft". Kein Wort von den Mietverträgen. Vor vier Wochen hatte es aus Augsburg geheißen, dass die Übertragung der Mietverträge "teilweise" noch andauere. Ansonsten gebe es "zur Geschäftstätigkeit von Herrn Wenk . . . keine Berührungspunkte", wie es lapidar hieß.

Was bleibt für die etwa 350 Lesensart-Mitarbeiter? Ob diese nun eine zumindest juristische Chance haben, wieder zu Weltbild zurückkehren zu können, müsse rechtlich geklärt werden, sagt Weltbild-Betriebsrat Fitz. "Die Frage ist, ob sie ihrem Betriebsübergang nachträglich widersprechen können, weil sie getäuscht worden sind." Weltbild-Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz, der für die Gläubiger 40 Prozent hält, muss sich erst einmal über Details informieren. "Das ist alles sehr unerfreulich, die genauen Umstände sind mir aber noch nicht bekannt."

"Weltbild war gestern - Lesensart ist die Zukunft", formulierte Rüdiger Wenk Ende Februar im Begrüßungsschreiben an seine neuen Mitarbeiter. Die Zukunft ist mittlerweile auch gestern.

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