Schuldenkrise:Wie der Euro überleben kann

Pro Euro protest in Athens

Europa hat sich in der Griechenland-Krise zerstritten. Wie kann die Gemeinschaft künftig besser funktionieren?

(Foto: dpa)

Die einzelnen Staaten Europas müssen einen Teil ihrer Souveränität abgeben - zum Beispiel an einen EU-Finanzminister.

Ein Gastbeitrag von Marcel Fratzscher

Europa ist in einer engstirnigen, unsinnigen Debatte gefangen. Jeder zeigt mit dem Finger auf seinen Nachbarn als Schuldigen für das Griechenland-Debakel. Für die Franzosen sind die Deutschen zu hart, und für die Deutschen die Franzosen zu weich. Griechenland fordert einen Schuldenschnitt von seinen Nachbarn, Europa zuerst grundlegende Reformen. In der Hitze des Gefechts um die Griechenlandhilfe haben wir die Orientierung verloren, bei der es um die Frage gehen muss, welche Vision wir für Europa haben und welche Reformen dafür notwendig sind.

Drei Leitgedanken

Seid gelassen: Die Suche nach den Sündenböcken für die Krise ist schädlich

Seid solidarisch: Die EU ist auch eine Versicherungsgemeinschaft für schwierige Zeiten

Seid entschlossen: Europa braucht eine Identität, ein Gesicht, etwas Greifbares

Die Suche nach den Sündenböcken der europäischen Krise ist schädlich und kontraproduktiv. Sie hat zu einer Renationalisierung der Politik in ganz Europa geführt. Alte nationale Ressentiments und Vorurteile sind wieder aufgebrochen und haben viel Vertrauen zerstört. Der Konflikt spaltet Europa und macht eine Einigung auf zukunftsweisende Entscheidungen immer schwieriger. Es ist höchste Zeit, dass alle sich auf ihre Verantwortung für Europa besinnen - und gerade wir Deutschen haben aufgrund unserer Größe und unserer Geschichte eine besondere Verantwortung.

Wir Deutschen treten gegenüber unseren Partnern mit Überheblichkeit auf. Viel davon wird im Ausland als destruktiv und Versuch einer Bestrafung wahrgenommen. Deutschlands Europapolitik wurde und wird bestimmt von einer Politik des "Nein" - einer abweisenden Haltung gegenüber vielen wichtigen Schritten der Krisenbekämpfung. Deutschland hatte sich lange gegen weitere Hilfen für Griechenland ausgesprochen und erst im letzten Augenblick eingelenkt. Die Bundesregierung stellt sich gegen einen Schuldenerlass, obwohl allen klar sein muss, dass Griechenland ohne diesen keine Chance auf eine nachhaltige Erholung hat. Sie fordert immer wieder eine schnellere fiskalische Konsolidierung gerade auch von den Ländern mit hoher Arbeitslosigkeit und tiefen sozialen Verwerfungen.

Ein temporärer Grexit ist unmöglich

Wir Deutschen wiederum attackieren immer wieder die Europäische Zentralbank (EZB). Wir vergessen dabei aber, dass die EZB ein ums andere Mal eine viel tiefere Krise in Europa verhindert hat, wovon vor allem Deutschland der größte Nutznießer war und ist. Denn ohne das entschiedene Handeln der EZB hätten wir im Jahr 2012 möglicherweise ein Rettungsprogramm für Italien finanzieren müssen, das die Größe des Programms für Griechenland um ein Vielfaches übertroffen hätte.

Wir hätten heute wahrscheinlich Eurobonds, also eine gemeinsame Haftung bei Staatsanleihen, um einen wirtschaftlichen und finanziellen Zusammenbruch Europas im Sommer 2012 zu verhindern. Der Dank von uns Deutschen ist, dass wir die EZB für jede ihrer Maßnahmen attackieren, und damit der Institution massiv schaden, die Europa mit dem Euro zumindest ein wenig der so dringend benötigten gemeinsamen Identität gibt.

Die Forderung des deutschen Finanzministers nach einem "temporären Grexit" hat dem Vertrauen, aber auch der Reputation Deutschlands in der Welt großen Schaden zugefügt. Die Forderung nach einem temporären Grexit beinhaltet einen Widerspruch in sich - man kann genauso wenig "temporär" aus einer Währung austreten, wie man "ein wenig schwanger" sein kann. Ein Grexit würde zudem eine wirtschaftliche und humanitäre Katastrophe in Griechenland auslösen und keines der Probleme des Landes lösen.

Europa braucht eine Wirtschaftsregierung mit EU-Finanzminister

Aus all dem folgt, dass wir dringend einen Kurswechsel im Dialog um Europas Zukunft benötigen. Beim Streit um Griechenland haben wir das große Ziel der europäischen Einigung und Integration aus den Augen verloren. Die Krise Griechenlands ist symptomatisch für die Fehler der Architektur Europas und der Eurozone.

Das grundlegende Problem Europas ist der Widerspruch zwischen nationaler Souveränität und gemeinsamer Verantwortung. Regierungen wollen ihre nationale Souveränität bewahren, fordern aber gleichzeitig die Solidarität der europäischen Nachbarn. So tolerieren Regierungen nicht, dass Europa sich in die eigene Fiskalpolitik einmischt; sie wollen jedoch europäische Hilfsgelder, wenn diese Fiskalpolitik gescheitert ist und das Land in eine Krise gestürzt ist.

Der Grundsatz muss lauten: Souveränität und Verantwortung müssen Hand in Hand gehen. Dabei bedeutet geteilte Souveränität nicht, dass man die nationale Souveränität aufgeben muss; sondern häufig schafft diese sogar mehr nationale Handlungsmöglichkeiten. So hat Italien heute viel mehr fiskalische Handlungsfreiheit als es dies ohne den Euro hätte; denn dann müsste der italienische Staat sicherlich nicht nur 2,5 Prozent Zinsen auf seine zehnjährigen Staatsanleihen zahlen, sondern ein Vielfaches davon.

Geteilte Souveränität bedeutet in erster Linie, dass Europa eine Rechtsgemeinschaft mit gemeinsamen Regeln und Institutionen sein muss. Dabei mangelt es Europa heute nicht an Regeln, sondern lediglich daran, dass diese glaubwürdig umgesetzt werden. Ein nachhaltiger Euro erfordert eine Fiskalunion. Europa hat bereits mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt und dem Fiskalpakt gemeinsame Regeln.

Europa benötigt eine europäische Wirtschaftsregierung mit einem europäischen Finanzminister, der bei Regelverstößen auf nationale Budgets durchgreifen kann. Dies würde die nationale Souveränität nicht beschränken, sondern lediglich sicherstellen, dass europäisches und nationales Recht eingehalten werden. Der europäische Finanzminister sollte auch über ein eigenes Budget verfügen; dann kann er Regelverletzungen sanktionieren, indem er Zahlungen zurückhält.

Eine europäische Wirtschaftsregierung sollte zudem den europäischen Binnenmarkt verstärken und vertiefen. Die europäische Krise hat den Binnenmarkt massiv fragmentiert. Zusätzlich zur Bankenunion benötigt Europa eine Kapitalmarktunion, in der Märkte und Regulierung harmonisiert werden und der Wettbewerb fairer wird. Gemeinsame Souveränität erfordert, die Märkte zu stärken.

Eine gemeinsame Arbeitslosenversicherung

Denn Regeln und Institutionen funktionieren nie perfekt und werden zu häufig erfolgreich umgangen. Märkte und private Investoren können eine wichtige disziplinierende Funktion auf Regierungen ausüben, sie tun dies jedoch nur dann, wenn sie bei Fehlern auch zur Rechenschaft gezogen werden - wenn es also einen glaubwürdigen bail-in privater Investoren gibt. Dazu braucht Europa auch eine Insolvenzordnung für Staaten.

Neben der gemeinsamen Souveränität gehört auch eine starke Solidarität zu einem erfolgreichen Europa. Solidarität sollte keine Transferunion beinhalten - und muss dies auch gar nicht. Solidarität bedeutet vielmehr eine Versicherungsgemeinschaft, in der die europäischen Partner füreinander in schwierigen Zeiten einstehen.

Die gemeinsamen Mechanismen sollten ausgeweitet werden. Dazu gehört eine gemeinsame Arbeitslosenversicherung, die temporär solche Länder unterstützt, die einen starken Anstieg der Arbeitslosigkeit in Krisen oder Rezessionen haben. Und dazu sollten auch finanzielle Hilfen für Regierungen gehören, um wichtige Strukturreformen umzusetzen, die mit einer temporären Abschwächung der Wirtschaftsleistung einhergehen.

Der Euro reicht nicht für ein Gemeinschaftsgefühl

Damit diese Mechanismen tatsächlich etabliert werden können und auch funktionieren, braucht der europäischen Finanzminister eine fiskalische Kapazität. Mit anderen Worten: Er benötigt eine europäische Steuer, die ihn unabhängiger von nationalen Regierungen macht.

Wenn die europäische Integration langfristig vertieft werden soll, erfordert dies aber auch, dies demokratisch besser zu legitimieren. Die Bundesregierung hat in den vergangenen Jahren einen wichtigen Beitrag geleistet, um Europa zu stabilisieren. Es gibt kaum ein Land, in dem sich nicht nur die Politik, sondern auch die Menschen so stark für ein gemeinsames Europa aussprechen, wie dies in Deutschland der Fall ist. Der Kanzlerin und der gesamten Bundesregierung gilt es großen Respekt für ihre europäische Solidarität in den vergangenen Jahren zu zollen.

Die Menschen brauchen etwas, mit dem sie sich identifizieren können

Eine wichtige Kritik an der Bundesregierung ist jedoch, dass sie noch immer einen offenen Dialog zu der Zukunft Europas mit der deutschen Öffentlichkeit meidet. Die Kanzlerin hat recht, wenn sie sagt "Scheitert der Euro, dann scheitert Europa". Wir benötigen jedoch einen Dialog darüber, wieso dies so ist und welche Vision von Europa scheitert, wenn es uns nicht gelingt, den Euro zu einem Erfolgsprojekt für alle zu machen.

Europa braucht eine Identität, ein Gesicht, etwas Greifbares, mit dem sich die Menschen identifizieren können. Der Euro ist ein wichtiger Teil dieser Identität, aber er reicht nicht aus, um den Menschen das Gefühl zu vermitteln, dass sie zusammengehören. Wichtige Schritte, um Europa eine stärkere, sichtbarere Identität zu geben, sind: ein stärkeres Europäisches Parlament mit einer zusätzlichen Kammer für Themen der Euro-Zone; eine europäische Wirtschaftsregierung mit einem Finanzminister; eine gemeinsame Sicherheitspolitik und Armee sowie eine gemeinsame europäische Steuer mit einer gemeinsame Arbeitslosenversicherung und anderen direkten Leistungen.

Die europäische Krise hat nicht nur großen wirtschaftlichen Schaden angerichtet, sondern die Integrität Europas beschädigt und viel des über sieben Jahrzehnte entstandenen Vertrauens zwischen den Europäern zerstört. Wir Europäer haben die Orientierung über Europas Zukunft verloren. Wir Deutschen haben eine besondere Verantwortung für Europa, sowohl durch unsere wirtschaftliche Größe als auch durch unsere Geschichte. Ein erfolgreiches Europa benötigt eine tiefere Integration mit dem Leitmotiv, das stärkere geteilte Souveränität und gemeinsame Solidarität Hand in Hand gehen müssen.

Europa benötigt keine politische Union oder weiter reichende Regeln. Aber Europa braucht stärkere Institutionen - dazu gehören eine europäische Wirtschaftsregierung mit einem Finanzminister und einem stärkeren Europäischen Parlament. Der Weg wird steinig sein. Aber die Zeit drängt, dass wir uns orientieren und uns endlich auf den Weg machen.

Marcel Fratzscher, 44, leitet seit zweieinhalb Jahren das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Davor hat er zwölf Jahre für die Europäische Zentralbank gearbeitet.

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