Antisemitismus im Nachkriegs-Polen:Aus Angst wird Wut

Jan Tomasz Gross erzürnt konservative Polen: In seinem Buch "Angst" schildert der aus Warschau stammende Soziologe den polnischen Antisemitismus der Nachkriegszeit. Der Skandal scheint programmiert.

Thomas Urban

Die Krakauer Staatsanwaltschaft überprüft, ob nicht der strafbare Tatbestand der "Verleumdung der polnischen Nation" vorliegt. Und Janusz Kurtyka, der nationalkonservative Direktor des Instituts für das Nationale Gedenken (IPN), das die Akten der polnischen Stasi verwaltet, nennt den Autor einen "Vampir der Geschichtsschreibung" Eine bessere Reklame könnte sich der angesehene Krakauer Verlag Znak (Zeichen) für sein neuestes Buch kaum wünschen. Es heißt schlicht "Angst''.

Antisemitismus im Nachkriegs-Polen: Schon Gross' erstes Buch "Nachbarn" sorgte in Polen für Empörung.

Schon Gross' erstes Buch "Nachbarn" sorgte in Polen für Empörung.

(Foto: Foto: AP)

Den Zündstoff, den es birgt, erklärt der Untertitel: "Antisemitismus in Polen unmittelbar nach dem Krieg - die Geschichte eines moralischen Zerfalls". Überdies wirkt der Name des Autors auf das gesamte rechte Lager in Polen wie ein rotes Tuch: Jan Tomasz Gross, ein aus Warschau stammender, seit vier Jahrzehnten in den USA lebender Soziologe jüdischer Abstammung.

Nationale Gewissenserforschung

Bereits vor sieben Jahren hatte er mit seinem Buch "Nachbarn" die ganze Nation gespalten. Darin hat er die Ermordung der Juden der Kleinstadt Jedwabne durch katholische Nachbarn im Juli 1941 beschrieben. Die meisten von ihnen waren in einer brennenden Scheune umgekommen. Das Buch löste eine vehemente Debatte über den traditionellen polnischen Antisemitismus aus.

Liberale und linksorientierte, aber auch nicht wenige konservative Publizisten forderten eine nationale Gewissenserforschung. Für die Nationalisten und Fundamentalkatholiken aber wurde Gross zur Hassfigur. Sie witterten hinter der Debatte eine großangelegte antipolnische Intrige, die angeblich Eigentumsforderungen der Erben von Holocaust-Opfern psychologischen Flankenschutz geben sollten.

An diesem Punkt setzt Gross' neues Buch an, das sofort nach seinem Erscheinen eine wahre Presseschlacht ausgelöst hat. Der Titel ist mehrdeutig. Er spielt einerseits auf die Angst vieler Polen an, den jüdischen Besitz, den sie sich im Krieg angeeignet haben, wieder an die Holocaust-Überlebenden abgeben zu müssen.

Der Autor sieht darin eines der Hauptmotive für die Pogrom- und Mordwelle der ersten beiden Nachkriegsjahre, denen Hunderte polnischer Juden zum Opfer fielen. Grausamer Höhepunkt war der Pogrom von Kielce im Juni 1946 mit 42 Todesopfern. "Angst" bezieht sich aber auch auf die Angst der Juden. Nur jeder zehnte der ursprünglich drei Millionen polnischen Juden hatte die Verfolgung durch die deutschen Besatzer überlebt. Zehntausende von ihnen verließen nach den Morden von Kielce das Land.

Nicht doch Christenblut?

Gross zeichnet in seinem Buch das Aufkommen des polnischen Antisemitismus nach, bis hin zu den gezielten antijüdischen Maßnahmen der letzten Vorkriegsregierung - die bis heute gern verdrängt werden. Nach den Worten Gross' hat diese Stimmung in weiten Teilen der polnischen Gesellschaft die systematische Judenvernichtung unter deutscher Besatzung überdauert. Besondere Verantwortung schreibt er der katholischen Kirche zu und empört damit seine rechten Kritiker in höchstem Maße.

So schreibt Gross, Stefan Wyszynski, seinerzeit Bischof von Lubin und später Primas der polnischen Kirche, habe einer Delegation des nach dem Kriege gegründeten Jüdischen Zentralkomitees erklärt, es sei keineswegs widerlegt, dass Juden nicht doch Christenblut für rituelle Speisen verwendeten. Gerade dieser eine Satz Wyszynskis fand nun ein weites Echo, ist doch dieser wegen seines Widerstandes gegen das kommunistische Regime in den Zeiten der Volksrepublik als "wahrer Vater der Nation" verehrt worden.

Kardinal August Hlond, der von 1926 bis 1948 Primas war, hatte es abgelehnt, einen Hirtenbrief gegen Antisemitismus zu verfassen. Er beschränkte sich nach dem Pogrom von Kielce auf eine dürre Erklärung, in der er Mordtaten und Gewalt allgemein verurteilte. In Anspielung auf den Partisanenkrieg, den der antikommunistische Untergrund den neuen Machthabern und den sowjetischen Besatzern lieferte, nannte er die Verbrechen eine Folge politischer Kämpfe, bei denen "im übrigen wesentlich mehr Polen" ums Leben gekommen seien.

Lesen Sie auf Seite 2, was polnische Kritiker dem Buchautor Gross vorwerfen.

Aus Angst wird Wut

Außerdem hätten viele Polen im Krieg Juden vor den Deutschen gerettet. Nach dem Kriege hätten dann "Juden in staatlichen Behörden" versucht, diese guten Beziehungen zu zerstören. Da war er wieder, der jüdische Kommissar, vor dem Hlond schon vor dem Krieg gewarnt hatte. Damals hatte er sich für eine Isolierung der Juden in der Gesellschaft und sogar für einen gegen sie gerichteten Wirtschaftsboykott ausgesprochen, es aber als Sünde bezeichnet, "Juden zu schlagen oder ihr Eigentum zu zerstören".

Anfang der neunziger Jahre leitete die katholische Kirche Polens die Seligsprechung Hlonds ein. Der polnische Papst Johannes Paul II., der an seinem Lebensabend die Aussöhnung mit den Juden zu einem seiner Hauptanliegen gemacht hat, schwieg sich zu diesem Ansinnen einfach aus.

Schlichte Habgier

Gewissermaßen im Geiste Hlonds werfen die heutigen Kritiker Gross ebenfalls vor, dass er den politischen Kontext außer acht lasse. In der Tat hatten gerade im kommunistischen Repressionsapparat Offiziere jüdischer Abstammung führende Positionen inne. Allerdings handelte es sich dabei durchweg um kämpferische Atheisten, die sich völlig vom Judentum abgewandt hatten. Überdies gab es durchaus Juden, die vom kommunistischen Apparat profitiert haben; die überwiegende Mehrheit aber litt unter den Repressionen der neuen Machthaber.

Das Argument, die Mordwelle sei vor allem auf die Nähe der Juden zu dem ungeliebten kommunistischen Regime zurückzuführen, widerlegt auch das drastische Kapitel über "Goldgräber". Das Hauptmotiv für die Morde sei schlicht Habgier vieler Polen gewesen. In der Nähe der deutschen Todeslager, wie Treblinka und Majdanek, hätten noch Jahre nach dem Krieg Hunderte von Menschen nach Goldzähnen und Schmuck der jüdischen Opfer gegraben.

Anstoß nehmen die Kritiker vor allem an den teilweise stark emotional formulierten Schlussfolgerungen und Verallgemeinerungen des Autors. Gegen die geschilderten Fakten wurden bislang kaum Einwände erhoben. Gross hat offenbar aus der Jedwabne-Debatte des Jahres 2001 gelernt: Damals war ihm vorgeworfen worden, er habe in seinem Buch "Nachbarn" die Rolle eines deutschen SS-Kommandos völlig marginalisiert.

Dunkler Fleck der polnischen Geschichte

In der Tat haben von Gross damals nicht berücksichtigte Akten seine Darstellung korrigiert: Jedwabne war demnach kein polnisches, sondern ein deutsch-polnisches Verbrechen. Für "Angst" aber hat Gross offensichtlich gründlichere Studien betrieben. Er hat überdies nach der ersten Welle der Empörung, die nach der Publikation der amerikanischen Originalausgabe "Fear" vor zwei Jahren aus Polen kam, das Manuskript noch einmal überarbeitet.

Gross leuchtet mit seinem Buch grell einen dunklen Fleck in der jüngsten polnischen Geschichte aus - und stellt somit ein weiteres Mal das Selbstbild der polnischen Rechten als "Nation der Helden und Opfer" in Frage. Damit durchkreuzt er auch die "Geschichtspolitik", die Staatspräsident Lech Kaczynski umsetzen möchte.

Dieser steht, ebenso wie sein im Herbst als Regierungschef abgewählter Zwillingsbruder Jaroslaw, für eine neue Strömung in der nationalkonservativen Rechten, die den Antisemitismus entschieden ablehnt, nicht zuletzt wegen des Schadens für das Ansehen Polens. Kaczynski fördert jüdische Institutionen und Organisationen und bemüht sich aktiv um den Ausbau der Beziehungen zu Israel. Den Pogrom von Kielce bezeichnete er zum 60. Jahrestag 2006 als Schande. Im Rahmen seiner Geschichtspolitik versucht er, eine polnisch-jüdische Opfer- und Kampfgemeinschaft herauszustellen. Dazu gehörten bislang Gedenkfeiern und Auszeichnungen für katholische Polen, die im Zweiten Weltkrieg Juden gerettet haben. "Angst" stört dieses Konzept nun erheblich.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: