Tragödie von Mayerling 1889:Doppelsuizid bei Habsburgern : "Ich gehe fidel hinüber"

Tragödie von Mayerling 1889: Der österreichische Kronprinz Rudolf und seine Geliebte Mary Vetsera.

Der österreichische Kronprinz Rudolf und seine Geliebte Mary Vetsera.

(Foto: Österreichische Nationalbibliothek)

Lange verschollene Abschiedsbriefe geben Einblick in den Doppelsuizid von Österreichs Kronprinz Rudolf und seiner Geliebten - und widerlegen den Eindruck, den das Kaiserhaus einst verbreitet hatte.

Von Oliver Das Gupta

"Den Wilhelm (werde ich) höchstens einladen, um ihn durch ein elegantes Jagdabenteuer aus der Welt zu schaffen", schrieb Erzherzog Rudolf an seine Frau Stephanie im Herbst 1888. Der Kronprinz der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie konnte den großmauligen jungen deutschen Kaiser Wilhelm II. nicht leiden.

Wenige Monate später hat sich Rudolf selbst aus der Welt geschafft. Auf seinem Jagdschloss Mayerling bei Wien schoss sich der Thronfolger in der Nacht auf den 30. Januar 1889 in den Kopf. Zuvor hatte er Baronesse Mary Vetsera getötet, seine 17 Jahre alte Geliebte.

Sein Vater, Kaiser Franz Joseph I., ließ damals den Tatort - ein Schlafzimmer - eilig in eine Kapelle umbauen. Briefe, mit deren Hilfe der Hergang des Dramas hätte besser rekonstruiert werden können, wurden vernichtet - glaubte man zumindest bislang.

Doch nun gibt es bei einer Archivrevision der in Wien ansässigen Schoellerbank einen Fund, der eine kleine Sensation ist: In einem Safe lag ein "Verwahrstück aus dem Jahr 1926": ein Ledereinband, darin Fotografien und Dokumente der Familie Vetsera.

Legendenbildung des Hofes

Darunter befinden sich auch Abschiedsbriefe Marys, die sie offenbar wenige Stunden vor ihrem Tod an Mutter, Schwester und Bruder geschrieben hat. Die Dokumente befinden sich in der Österreichischen Nationalbibliothek und werden inzwischen konservatorisch behandelt. Ihr Inhalt war zum Teil schon von der Mutter Vetseras kolportiert worden.

Selbstmorde Kronprinz Rudolph in Mayerling

Abschiedsbrief von Mary Vetsera

(Foto: Österreichische Nationalbibliothek)

Die Tragödie von Mayerling wurde Stoff für unzählige Bücher und Filme, vor ein paar Jahren kam der Doppelsuizid in Wien sogar auf die Theaterbühne. Vor allem aber ist die Causa Legenden umrankt, was maßgeblich an der Geheimnistuerei des Herrscherhauses seinerzeit liegt.

Die Entourage um Kaiser Franz Joseph I. und seiner als "Sisi" besser bekannten Gemahlin Elisabeth beeilte sich seinerzeit, die Frage nach dem Warum weg von den Habsburgern zu drehen. Zuerst hieß es, Rudolf habe einen Herzschlag erlitten.

Als publik wurde, dass Vetsera tot neben dem Erzherzog lag, mühte sich der Hof, Rudolf als geistig wirr hinzustellen (was die kirchliche Bestattung ermöglichte).

Der Eindruck wurde erweckt, dass Vetsera die Schuldige sei (oder vermeintlich bösen Mächte wie die spätere Kaiserin Zita). Die Legendenbildung des Hofes wirkte entsprechend nach. "Es ist zweifellos", schreibt auch Franz-Joseph-Biograph Joseph Redlich 40 Jahre nach der Tragödie, dass Mary Vetsera "den Gedanken an den verzweifelten Liebestod zuerst gefasst und den verzweifelten Prinzen damit vertraut gemacht hat".

Die Botschaft ist klar: Die Frau trieb den Mann angeblich in den gemeinsamen Liebestod.

"Ich konnte der Liebe nicht wiederstehen"

Die nun aufgetauchte Briefen konterkarieren diese These und bestätigen eine andere: Der bei seinem Tod 30 Jahre alte Rudolf war es offensichtlich, der sterben wollte und das verknallte Mädchen machte mit. "Ich konnte der Liebe nicht wiederstehen (sic)", schrieb sie etwa der Mutter auf Papier, auf dem der Briefkopf "Schloss Mayerling" prangt. Und ihre Schwester Hanna beschwört Mary "nur aus Liebe" zu heiraten. "Ich konnte es nicht thun und da ich der Liebe nicht wiederstehen konnte so gehe ich mit Ihm".

Freiin von Vetsera klingt wie ein Todesgroupie eines Hochadeligen, der sich vorgenommen hat, unbedingt gemeinsam mit einer Frau zu sterben.

Bald 100 Jahre nach Ende der Habsburger-Monarchie ist inzwischen hinreichend dokumentiert, wie es um Rudolf wirklich bestellt war. Der liberale wie hochsensible Prinz ging letztendlich am erzkatholischen und reaktionären Wesen der Monarchie zugrunde. Er wurde als Kind auf Geheiß des Vaters brutal gedrillt. Später musste er aus Staatsräson eine belgische Prinzessin heiraten, die er nicht liebte.

Und in staats- und gesellschaftspolitischen Ansichten war er mit dem Kaiser beachtlich uneins. Kurz vor seinem Tod soll ihn der Kaiser öffentlich gedemütigt haben: Franz Joseph drehte ihm coram publico den Rücken zu, statt ihm die Hand zu geben, schreibt Biograph Redlich.

"Ideal vorgejodelt"

Rudolf litt wohl unter Depressionen und vermutlich auch unter Geschlechtskrankheiten. Schon im Sommer 1888 soll er seiner Geliebten Mizzi Caspar vorgeschlagen haben, sich gemeinsam zu erschießen. Caspar meldete Rudolfs Suizidgedanken der Obrigkeit, doch die blieb untätig. Wenige Tage vor der Tragödie von Mayerling verbrachte der Thronfolger erneut die Nacht bei ihr - doch die 23-jährige Prostituierte wollte nicht sterben.

Mary Vetsera wollte schon. Doch angesichts der Umstände scheint sie eher Rudolfs Mittel zum Zweck gewesen sein. Im Abschiedsbrief an Ihre Schwester schrieb sie ein ausführliches "PS", ein Mischmasch aus spätpubertären Belanglosigkeiten und schlechtem Gewissen. Rudolfs Fiaker Bratfisch hätte "uns gestern ideal vorgejodelt", heißt es, aber auch: "Sag dem Eder dass ich nicht singen kann nächsten Samstag."

Die Schwester möge den Schmuck nach Gutdünken verteilen. "Weine nicht um mich", bittet Mary die Schwester, "ich gehe fidel hinüber." Wenige Stunden später war sie tot.

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