Deutsche Inseln: Sylt:Goldener Sand

Sundown at beach, Kampen, Sylt Island, Northern Frisia, Schleswig-Holstein, Germany

Sonnenuntergang am Strand in Kampen.

(Foto: Sabine Lubenow/JAI/Corbis)

"Sylt, das Saint-Tropez des Nordens", hieß es kürzlich. Die Bismarcks, Krupps und Sachs' machten hier früher Party bis zum Umfallen, auch heute kommt die Schickeria. Ein Besuch.

Von Christian Mayer

Die echten Sylt-Liebhaber erkennt man schon von weitem, sie tragen blaue, rote und grüne Hosen, kombiniert mit Kapuzenjacken, die sie aber am Strand sofort ablegen, wenn sie bei ihrer Lieblingsdüne Quartier beziehen. Anders als Insel-Neulinge, die unter einer Decke im Strandkorb liegen, springen die Liebhaber sofort ins Wasser: Für sie sind die 16 Grad Wassertemperatur völlig in Ordnung. Die Familie vom Strandkorb nebenan kriegt gar nicht genug vom aufgepeitschten Meer, eine halbe Stunde schon kämpfen die beiden halbwüchsigen Söhne mit den Monsterwellen - offenbar handelt es sich um Nachkommen eines besonders unempfindlichen Wikinger-Stammes.

Willkommen auf Deutschlands nördlichster Insel, willkommen auf Sylt, wo man in diesem Sommer der Superlative sicher sein kann, nicht schwitzen zu müssen: Während die Menschen in München, Frankfurt und Berlin unter der Hitze leiden, kriegen die Gäste auf Sylt stets die übliche Nordseebrise ab. Was natürlich nichts an der Popularität dieses Ortes ändert, den nun sogar die Franzosen cool finden. "Sylt, le Saint-Tropez du Nord", so schrieben kürzlich die Autoren von Le Figaro, wobei sie gnädigerweise unerwähnt ließen, dass Brigitte Bardot bei ihrem Inselbesuch buchstäblich kalte Füße bekam.

Wer die Sonnenseite von Sylt bewundern will, ist in Kampen richtig. Zwischen dem Roten Kliff und der Buhne 16, dem angesagten Bretterbuden-Restaurant in den Dünen, liegt einer der schönsten Strandabschnitte der Insel. Das Dorf selbst ist mit seinen gentrifizierten Reethäusern, den Designerläden und den auf Understatement getrimmten Edelrestaurants das Lieblingsdomizil von Leuten, die noch nie einen Pauschalurlaub gebucht haben. Man bleibt hier gerne unter sich, obwohl auch die Touristen aus den günstigeren Hotels in Westerland gerne mal mit dem Fahrrad nach Kampen radeln und sich dann die kapitalen Kuchenstücke in der "Kupferkanne" einverleiben, dem sympathischen Familien-Café mit Blick auf das östlich gelegene Wattenmeer.

Für die verwöhnteren Gäste gibt es auf Sylt eine ganze Reihe von Lokalen, in denen man sich an der Nordsee wie zu Hause fühlen soll. Das "Gogärtchen" zählt definitiv dazu. Florian Hühne sitzt etwas abseits in der Nachmittagssonne auf der Terrasse seines Lokals, er hat ausnahmsweise Zeit für einen Cappuccino. Gemeinsam mit seiner Partnerin Christina Hässler hat der 30-jährige Gastronom das beliebte Lokal am Strönwai im Winter 2013 übernommen, seitdem erhält es Bestnoten von Kritikern und Gästen. "Bei uns sitzt man ein wenig enger zusammen. Und man darf gerne seinen Hund mitbringen, das gefällt nicht allen", erzählt Hühne. Auch abends geht es im Gogärtchen relativ zwanglos zu; man verzichtet auf weiße Tischdecken und die üblichen Accessoires, die ein Restaurant ambitionierter wirken lassen, als es ist.

Das alte Geld ist hier genauso zu Hause wie das neue Geld, aber das heißt noch lange nicht, dass man als Gastronom automatisch von den teilweise absurden Preissteigerungen profitiert, die der Sylter Immobilienmarkt zu verzeichnen hat. Um überhaupt an ein Prestigeobjekt wie das Gogärtchen zu kommen, braucht man erst mal Kontakte. Und Geduld. "Geldgeber, Vermieter und Lieferanten - das sind ja alles Sylter, die brauchen Zeit, bis sie dir vertrauen", sagt Hühne. Sein Vorteil sei, dass er vom Land komme, aus dem kleinen Dorf Wacken in Schleswig-Holstein, wo jeder jeden kennt, sofern nicht gerade die Heavy-Metal-Fans einfallen. Er kennt die Mentalität der Friesen, die gerne auf stur schalten.

Der Wind hat sich gelegt, der Sonnenuntergang auf der Uwe Düne, dem höchstgelegenen Punkt auf Sylt, sieht jetzt so aus wie von einem jener Expressionisten gemalt, die sich schon vor hundert Jahren von der herben Naturschönheit inspirieren ließen. Auch die Ausflügler, die zu Fuß oder mit dem Rad die Insel erkunden, haben ihre Funktionsjacken abgelegt.

Zeit für einen Absacker im "Pony Club", wo man die Blau-, Rot- und Grünhosenträger vom Strand wiedertrifft. Das Pony tarnt sich, wie alles in Kampen, als reetgedecktes Traditionshaus. Obwohl der Chef einer jener redseligen und stets gebräunten Südtiroler ist, die überall zu Hause sind. Oskar Schnitzer, 53, trägt gerne weiße Hemden mit breitem Kragen; er zählt zu den alerten Insel-Unternehmern, die immer erreichbar sind, wenn sie nicht gerade ihren Schönheitsschlaf machen. Schnitzer schläft gerne am späten Nachmittag, weil er ja oft erst um fünf Uhr in der Früh ins Bett kommt. "Solange mich die Gäste brauchen, bin ich da", erzählt er.

Seit 1981 führt Schnitzer den Klub, in dem früher die Bismarcks, Krupps, Springers, Flicks und Sachs' Party machten bis zum Umfallen. Große Namen, mit denen sich die Insel bis heute schmückt, aber in diesen Tagen, in der Hochsaison, braucht man keine Werbung: Das Pony hat ja ohnehin eine rührend kleine Tanzfläche, dafür aber eine Außenbar, an der sich nach Mitternacht die Düsseldorfer mit den Hamburgern vereinigen und die Dortmunder Oberblondine mit der Reibeisenstimme zu später Stunde ihren Kitesurfer-Ehemann lieber mal nach Hause schickt.

"Die Leute sind hier lockerer als zu Hause, die geben gerne auch mal ein bisschen mehr Trinkgeld", sagt Schnitzer. Goldene Zeiten also in Kampen, wo man für ein Ferienhaus locker ein paar Millionen hinlegen muss? Nun ja, die nachwachsende Generation ist offenbar doch ein wenig unsteter als die ihrer Eltern: "Da muss nur mal die Wetter-App drei Tage Regen ankündigen - schon sind sie weg, auf Ibiza."

Am Tag danach, die Schickeria aus dem "Saint Tropez des Nordens" bereitet sich auf einen weiteren kühlen Strandtag vor. Edda Raspé steht im Sonnenlicht vor ihrem Haus in Morsum. Wer ein persönliches Unikat aus Sylt mit nach Hause nehmen will, wird bei der Goldschmiedin fündig. Edda Raspé verwendet für ihren Schmuck die Steine, die sie am Strand findet. Das alte Friesenhaus, in dem die Künstlerin jetzt gemeinsam mit ihrem Sohn Jonas und dessen Familie lebt, hat noch den Charme der Einfachheit, den man auf Sylt immer seltener findet. Weil jedes Jahr wieder ein paar Alteingesessene der Versuchung erliegen und ihre Immobilien an den Meistbietenden verkaufen - um dann am billigeren Festland von dem Geld sehr gut zu leben.

Auch Wolfgang Schäuble ist Stammgast auf der Insel. Nur mag er keine lauten Clubs

Die Insel, sagt die Goldschmiedin, musste schon immer dieses Spannungsverhältnis zwischen den Besuchern und den Dauerbewohnern aushalten; das ist der Preis der Attraktivität. Früher war das Verhältnis noch einigermaßen im Gleichgewicht. "Es gab viele Kreative, Künstler, die hier bewusst anders leben wollten, die hier ihren Lebensunterhalt verdienten. Wo haben die heute ihren Platz?" Die 67-Jährige ist nicht die Frau für ein großes Lamento, auch sie versteht sich ja als Dienstleisterin; sie braucht die Touristen genauso wie es die Hotels und die Restaurants tun. Sie hat da allerdings ein paar Fragen, die die anderen gar nicht mehr stellen: "Wie können wir es schaffen, dass nicht alles zugebaut wird von den Investoren und ein paar Freiräume erhalten bleiben?"

Ein paar Orte weiter, die Fahrt geht an Westerland vorbei in den Süden. Herbert Seckler hat sich seinen Freiraum mit Fleiß und Beharrlichkeit erarbeitet. Längst genießt er Kultstatus auf der Insel oder wie er sagen würde: "den Reschpekt der Leut". Wenn Seckler ins Plaudern gerät, klingt er fast wie Wolfgang Schäuble, der ebenfalls zu den Sylter Stammgästen zählt, aber lieber Klassikkonzerte als laute Restaurants besucht. Am späten Vormittag hat der Chef des "Sansibar" gerade noch Zeit für ein Gespräch, bevor hier der Sturm losbricht: Zwischen 3000 und 4000 Gäste suchen jeden Tag das Lokal in den Dünen auf. Der Mann von der Schwäbischen Alb, der seinen Heimatdialekt nie abgelegt hat, sitzt im Weinkeller, erst später mischt er sich unter die Stammgäste, die er braucht, "um richtig in Schwung zu kommen".

Ob er sich selbst erklären kann, wie aus einem winzigen Strandkiosk im Lauf von fast vier Jahrzehnten ein Restaurant geworden ist, für das die Leute jeden Mittag und jeden Abend Schlange stehen? Seckler wiegelt ab: "Ich hatte nie einen Plan, ich hab immer nur gemacht, was die Kunden wollen. Die Kunden haben mich erzogen, das ist die ganze Geschichte." Man könnte auch sagen: Die Gäste suchen sich eine Insel und machen daraus, was sie wollen.

Später am Abend kann man dann bei einem dramatisch bewegten Abendhimmel erleben, warum das Sansibar das Lieblingslokal für Leute ist, für die Sylt ein Lebensgefühl ist. Im Sansibar kann man einerseits sehr gut essen und andererseits mit all den anderen Verrückten eine Party feiern, wobei hier jeder seine Rolle spielt, so gut er kann: die unverschämt gut gelaunten Bedienungen genauso wie die Gäste, die sich von der guten Laune anstecken lassen. Am Nachbartisch prosten sich gerade Johannes B. Kerner und Jürgen Klopp zu, die offenbar Teil der verschworenen Gemeinschaft von Freizeit-Piraten sind - nicht wenige Sansibaristas tragen das Logo des Lokals sogar auf dem Poloshirt.

Seckler schüttelt den Kopf, wenn man ihn fragt, ob manche Gäste hier etwas besser behandelt werden als andere. "Ach, die Promis, die sind doch inflationär hier. Die meisten unserer Gäste würden sagen: Wir kommen nur wegen der Natur. Aber dann redest du fünf Minuten mit ihnen und sie fangen an zu erzählen: Wir haben den gesehen und den . . ." Der 63-Jährige selbst legt größten Wert darauf, nicht prominent zu sein. Auf Partys, sagt er, würde er nie gehen, ihm reicht seine Familie, seine Frau; mit dem Lokal ist er ohnehin verheiratet.

Ob er nicht manchmal auch die Insel genießen kann, einfach so? "Das geht nur bei mir im Garten in Rantum - mit Blick aufs Wattenmeer, wenn kein Mensch da ist."

Nicht jeder Sylt-Liebhaber braucht die aufgepeitschten Wellen. Es geht auch mal stiller. Bis zum nächsten Sturm, der kommt garantiert.

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