Filmgeschichte:Lieblingsfilm auf Knopfdruck

Un scopitone

Vorläufer des Videoclips: Bei den Scopitones konnte man aus bis zu 35 Filmen seinen Liebling wählen.

(Foto: Rue des Archives/RDA)

Eine Late-Night-Lecture widmet sich dem Scopitone, einem alten Apparat zwischen Jukebox und Youtube

Von Jürgen Moises

Zwei Meter hoch und 180 Kilo schwer. Mit diesen Maßen hätten Scopitones gegen Flachbildschirme und vor allem gegen Handys heute keine Chance. Schon Ende der Sechzigerjahre wuchs mit dem Farbfernsehen ein Gegner heran, mit dem die "monströsen" Kreuzungen aus Jukebox und Fernseher, wie das Time Magazine 1964 die Scopitones beschrieb, nicht mithalten konnten. Zudem waren sie mit dreieinhalbtausend Dollar recht teuer in der Anschaffung. Dass diese Video-Jukeboxes, wie man sie nennen könnte, in Texten über Musikvideos nur selten als Vorläufer von MTV und Youtube auftauchen und auch sonst so gut wie vergessen sind, das haben die in den Fünfzigerjahren in Frankreich erfundenen Scopitones trotzdem nicht verdient.

Wobei zumindest die auf 16 Millimeter gedrehten Scopitone-Clips ein kleines Comeback feiern. Leider nicht in den Original-Apparaten, von denen nur noch wenige existieren. Sondern auf DVD und im Internet, auf Youtube und Webseiten wie scopitones.blogs.com, wo man einen Großteil der gut 1000 Musikvideos findet, die in den Sechzigern entstanden. Ungefähr 40 davon kann man an diesem Donnerstagabend auch im Atelier-Kino sehen, bei der Scopitones-Film-Lecture von Bernd Brehmer. Der Filmsammler und Co-Leiter des Werkstattkinos besitzt zwar ebenfalls keinen Scopitone-Apparat, aber dafür etwa 200 Original-Clips, die er in den vergangenen fünf Jahren gesammelt hat.

Den Anstoß dafür hat der im letzten Jahr verstorbene Filmemacher Harun Farocki gegeben. "Er war vor sechs Jahren im Werkstattkino und hat für eine Ausstellungsreihe zum Thema '16 mm' in der Wiener Kunsthalle Material gesucht." Die Zusammenarbeit kam nicht zustande, aber bei Brehmer war die Erinnerung an seltsame 16 mm-Musikclips geweckt, die der Filmsammler Jack Stevenson irgendwann mal im Werkstattkino gezeigt hatte. Er fing an zu recherchieren, stieß bei Ebay auf erste Ergebnisse, landete bei einem Berliner Sammler. "Est-ce que tu le sais?" von Sylvie Vartan aus dem Jahr 1962, das war Brehmers erster eigener Scopitone-Clip.

Scopitone, so hieß die französische Firma, die die gleichnamigen Apparate 1960 auf den Markt brachte. Nach Vorbild des 1939 in Chicago entwickelten "Panoram". Denn auch die Scopitones hatten ihre Vorläufer. Acht Schwarzweiß-Filme, so genannte "Soundies", konnte man damit in einer festen Reihenfolge abspielen. Bei den Scopitones aber konnte man sich per Knopfdruck aus 36 Farbfilmen seinen Lieblingstitel auswählen. Dafür musste man in Amerika 25 Cents einschmeißen, in Frankreich wohl 50 Centimes und in Deutschland 50 Pfennig, da ist sich Brehmer nicht ganz sicher. Aufgestellt waren die etwa 3000 Scopitones in Bars, Kneipen, Restaurants, Hotels oder auf Bahnhöfen.

Die meisten Clips, ungefähr 700, wurden in Frankreich produziert, der allererste mit keinem geringeren als Serge Gainsbourg. Im arabischen Raum entstanden an die 300, in Amerika 185, in Deutschland 37 und in Großbritannien nur neun. Auch in Spanien und Israel wurde gedreht. Aus allen Ländern wird Brehmer Filme zeigen. Darunter etwa einen Clip zu "The Night Has A Thousand Eyes" von Bobby Vee, der darin mit dem Moped zum Strand fährt, wo er von Lianen schwingenden Frauen im Bikini umzingelt wird. "Für mich einer der abgefahrensten Scopitones." Oder zu "High Heel Sneakers" von Billy Lee Riley, der durch seine "entfesselte" Kamera heraussticht. Bei den meisten anderen Scopitones bewegen sich nur die Menschen - mit ekstatischen Twist-Bewegungen vor möglichst exotischer Kulisse.

Gerne wurden die Kulissen abgedrehter Kinofilme benutzt, denn die Scopitone-Produktion musste vor allem in Frankreich schnell und billig sein. Über ihre Regisseure weiß man wenig. Aber mit Claude Lelouche und Daidy Davis-Boyer, die in Frankreich jeweils an die 300 Clips produziert haben, und der amerikanischen Sängerin Debbie Reynolds sind zumindest die wichtigsten Produzenten bekannt. Als nach einer kurzen Hochphase zwischen 1962 und 1967 die Scopitone-Euphorie vorbei war, landeten ein paar umfunktionierte Apparate bei der Nasa oder in Pornokinos. Ein Großteil wurde verschrottet. Einer der wenigen noch funktionierenden steht im Belcourt Theatre in Nashville, ein anderer im Foyer des Stadtkinos Basel. Auch im Foyer des Werkstattkinos könnte sich Brehmer, der da auf einen runden Geburtstag und das Wohlwollen seiner Freunde hofft, einen Scopitone-Apparat gut vorstellen.

Late-Night-Film-Lecture: Scopitones, Do., 6. August, 22.30 Uhr, Atelier-Kino, Sonnenstr. 12

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