Politikernamen in Gebärdensprache:Pagenkopf Merkel, Segelohr Obama

In der Gebärdensprache sind die Zeichen für Politiker oft politisch inkorrekt oder offenbaren einen schonungslosen Blick auf das Äußere. Aber wie entstehen sie überhaupt?

Von Friederike Zoe Grasshoff und Laura Hertreiter

Zwanzig Uhr, Tagesschau. Was Mimik und Gestik der Sprecher angeht eine eher minimalistische Veranstaltung. Es sei denn, man schaut die Nachrichten in der Gebärdensprache. Wenn die eingeblendete Dolmetscherin die Finger fliegen lässt, wird Merkel zum "Pagenkopf" und Westerwelle zum "Pickelgesicht". Nein, nett oder politisch korrekt müssen die Namensgebärden für Politiker nicht sein. Aber wie entstehen sie überhaupt?

Christian Rathmann leitet das Institut für Gebärdensprachen an der Universität Hamburg und beschäftigt sich auch mit solchen Fragen. Taucht jemand neu auf der politischen Bühne auf, behalte er erst einmal auch in der Gebärdensprache seinen echten Namen. "Er wird dann einfach mit dem Fingeralphabet buchstabiert." Die Gebärdensprache funktioniert von Land zu Land unterschiedlich; die Briten etwa buchstabieren in vielen Fällen nur den Namen. In Deutschland erfinden Gehörlose schnell eigene Namensgebärden.

Wie Worte in der Lautsprache etablieren sich Politikernamen, indem einige Gehörlose beginnen, sie zu verwenden. Die Dolmetscherin in den Nachrichten trägt auch dazu bei, dass sich die Gebärden etablieren. "Sie buchstabiert zum Beispiel den Namen Helmut Kohl eine Weile und setzt dann die u-förmige Gebärde für ein Doppelkinn dahinter. Bis Kohl irgendwann nur noch das Doppelkinn ist." In der Regel sind die Namensgebärden also das Ergebnis eines schonungslos ehrlichen Blicks auf das Äußere. So ist Bundesfinanzminister Schäuble der "Rollstuhlfahrer", veranschaulicht durch eine kleine rollende Geste mit beiden Händen.

Auch als prägnant wahrgenommene Charaktereigenschaften können zum Pseudonym werden: Der oft unentschlossene Altkanzler Schröder ist unter Gehörlosen der "Schwankende" - eine Kippbewegung mit dem Arm. Einige Politiker können sich also glücklich schätzen, wenn ihre Namen einfach durchbuchstabiert werden. Für die so gar nicht unscheinbare Verteidigungsministerin von der Leyen etwa hat sich nie eine Gebärde durchgesetzt. Meist entwickeln sich aber je nach Kontext gleich mehrere. Offiziell wird Deutschland seit fast zehn Jahren von einem "Pagenkopf" regiert. Und inoffiziell? Von einem "Miesmund".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: