Porträt:Mann des Worts

Porträt: Er hat sein Publikum im Griff: Alex Burkhard ist ein erfahrener Poetry-Slammer, der jetzt Bücher schreibt.

Er hat sein Publikum im Griff: Alex Burkhard ist ein erfahrener Poetry-Slammer, der jetzt Bücher schreibt.

(Foto: oh)

Von der Bühne zum Buch: Alex Burkhard ist ein Beispiel für die Entwicklung der Poetry-Slam-Szene

Von Renate Frister

Ein Mann steht in der Schlange beim Bäcker. Er zittert. Wie paranoid dreht er sich um. Als die Verkäuferin ihn nach seinen Wünschen fragt, flüstert er mit bedeutungsschwangerer Miene: "Ich sage Ihnen, was ich will." Er schluckt. Dann verlässt er den Laden.

Mit schauspielerischen Elementen unterstreicht Alex Burkhard beim Poetry Slam, wie er beschloss, "der Welt ein paar überdramatische Cliffhanger zu verpassen". Weil er wissen wollte, ob das auch fernab der TV-Serien funktioniert. Neben dem Text zählt bei diesem Dichterwettstreit vor allem die Performance. Gestik, Mimik, Lautstärke und Tempo setzt der Poet ein, um seinen Text lebendig zu machen. Die Zeit des Auftritts ist auf fünf oder zehn Minuten begrenzt. Die literarische Form dagegen ist völlig frei: Ob Lyrik oder Rap-Poetry, hier ist die Performance besonders wichtig, oder Storytelling (Prosa) - erlaubt ist, was gefällt. Den Sieger kürt das Publikum durch frenetischen Jubel.

Seit acht Jahren tritt Burkhard auf Poetry Slams auf. Vor eineinhalb Jahren beendete er sein Studium; Skandinavistik, Germanistik und Ethnologie. "Seitdem lebe ich davon, dass ich Texte schreibe und sie manchmal vortrage", fasst der 27-jährige Wahl-Münchner seine Philosophie zusammen. Das sei super, er habe viel Freizeit und stehe nicht im Berufsverkehr. Schon immer habe er die direkte Verbindung zum Publikum geschätzt, so könne er Stimmungen besser vermitteln. Im Jahr tritt er zwischen 80 und 100 Mal auf, dieses Jahr hat er etwas reduziert.

In der "Slamily", wie sich die Szene scherzhaft nennt, herrsche eine "sehr angenehme Atmosphäre", sagt Burkhard, "man mag und schätzt sich." Den meisten Slammern sei "scheißegal, wer gewinnt". Unter ihnen sind viele Studenten, meist Geisteswissenschaftler, aber auch Mathematiker und Physiker. Manche haben ganz normale Jobs, sind Buchhändler oder Arzt. Die Charaktere seien sehr unterschiedlich, sagt Alex, die einen seien lustig, stünden im Mittelpunkt, die anderen eher ruhig, die würden die Bühne nutzen, um aus sich rauszukommen. "Ein bisschen wie bei mir vielleicht", fügt er hinzu. Die Szene ist enorm gut in ganz Deutschland vernetzt, vor allem über Facebook. Eine Art Minikosmos, in dem jeder jeden kennt. Trotzdem ist er offen für Neulinge und wächst rapide. Man lerne schnell neue Leute kennen, "ein bisschen schneeballmäßig", erklärt Burkhard. Auf Meisterschaften treffen sich die Poeten immer wieder. Burkhard schätzt, dass in Deutschland zwischen 50 und 100 von ihnen vom Slammen leben.

Seit den Anfängen in Deutschland in den Neunzigern wurde Poetry Slam immer populärer: Während 1997 nur 200 Besucher zu den nationalen Meisterschaften kamen, waren es vor drei Jahren 10 000. Kritiker werfen den Poeten vor, inzwischen zu gesellschaftskonform zu sein; es heißt, Poetry Slam verkomme zur Stand-up-Comedy. Ernste Themen und tiefgründige Texte hätten da kaum noch Platz. Diese Tendenz sieht Alex auch, aber nicht ganz so drastisch: "Es ist wie bei allen Sachen, die gehypt werden, irgendwann wird's halt ein bisschen Mainstream." Das habe auch seine guten Seiten: Statt auf Matratzen in der Turnhalle schlafe er nun im Hotel. Dennoch gehe das Literarische nicht verloren, es gebe immer noch genug Gegenbeispiele. Wie tiefgründig ein Text sein könne, komme auch auf den Kontext an: "Je mehr Zuschauer da sind, desto mehr funktioniert etwas, wo alle lachen." Auch die Dramaturgie des Abends ist relevant. War der vorhergehende Auftritt ruhig, wählt er aus seinen zehn bis 15 Texten eher etwas Lustiges und umgekehrt. Die zunehmende Popularität führe auch dazu, dass viele Anfänger schon sehr gut seien. Inzwischen gibt es viele Workshops für Schüler. "Die wissen genau, wie Slam funktioniert", sagt Alex, "meinen ersten Slamtext kann ich nirgends mehr zeigen."

Doch Poetry Slam alleine reicht Alex nicht mehr. Er wolle "nicht mehr ständig durchs Land reisen nur für fünf Minuten Auftritt." Er will längere Texte schreiben, deshalb tritt er vermehrt auf Lesebühnen auf. Und schreibt Bücher. Sein neuestes, ein humoristischer Reisebericht, trägt den etwas albernen Titel "Die Zeit kriegen wir schon Rom" (Satyr Verlag). Der Verkauf der Bücher hänge auch von seinen Slam-Erfolgen ab: "Wer gewinnt, verkauft." Beim Schreiben spiele das Format zunächst keine Rolle, denn er schreibe das, was ihm am Herzen liege. Kann das funktionieren? Das Buch lässt ein wenig Zweifel aufkommen.

Auf der Bühne nimmt Alex das Publikum direkt mit; dafür ist seine Präsenz zentral. Geschrieben wirken seine Texte platter; als ob einer sich anstrengen würde, witzig zu sein. Läse er aus seinem Buch, in sarkastischem, selbstironischen Ton, wären ihm dagegen die Lacher des Publikums sicher. Auch wenn er, wie er sagt, nicht mehr so dramatisch vorträgt wie früher.

Zurück auf die Bühne: Alex Burkhard kehrt in die Bäckerei zurück. Die Verkäuferin erkennt ihn wieder und erwartet gespannt seine Worte. Er winkt sie nasenspitzennah zu sich heran und flüstert: "Ein Walnussbrot."

Nächster Slam-Termin mit Alex Burkhard: Poetry Slam Kiezmeisterschaft, Sa., 15. August, 20 Uhr, Stragula, Bergmannstr. 66, www.kiezmeisterschaft.de

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