Angelika Niebler:Die Frau fürs Hirn

Die Europäerin: Angelika Niebler sitzt seit 1999 im EU-Parlament in Straßburg. Im Herbst soll sie CSU-Vize werden.

Die Europäerin: Angelika Niebler sitzt seit 1999 im EU-Parlament in Straßburg. Im Herbst soll sie CSU-Vize werden.

(Foto: Elyxandro Cegarra/Imago)

Die CSU hat Markus Söder fürs Grobe und Ilse Aigner fürs Herz. Wenn es um differenzierte Botschaften geht, tut sich die Partei eher schwer. Dafür hat sich Horst Seehofer eine bislang nahezu unbekannte Europa-Politikerin ausgesucht.

Von Daniela Kuhr

Wenn man Horst Seehofer in diesen Tagen nach den wirklich starken Frauen in seiner Partei fragt, sollte man meinen, seine erste Antwort laute: Ilse Aigner. Oder man erwartet wenigstens sonst irgendeinen Namen aus dem Kabinett, in dem immerhin fünf Frauen sitzen. Doch stattdessen sagt Seehofer ohne zu zögern: "Angelika Niebler" - und nennt damit eine Frau, die selbst in Bayern den meisten bislang unbekannt sein dürfte.

Welche Pläne Horst Seehofer hat

Das wird sich bald ändern, so viel ist sicher. Und zwar nicht, weil Niebler auf einmal nach vorn drängen würde. Im Gegenteil. Wenn es nach ihr geht, bleibt die 52-Jährige genau da, wo sie seit 1999 ist: im Europaparlament. Doch Seehofer gibt deutlich zu erkennen, dass er mit ihr, die mittlerweile der CSU-Europagruppe vorsitzt, andere Pläne hat. "Ich habe kaum jemanden so oft gefragt, ob er einen Ministerposten will", sagte er kürzlich über Niebler. Fast habe er nicht mehr dran geglaubt, "dass ich jemals ein Ja bekomme". Doch in diesem Frühjahr hatte Seehofer endlich Glück. Niebler erklärte sich auf seine Bitte hin bereit, im Herbst auf dem CSU-Parteitag für den Posten einer stellvertretenden Parteivorsitzenden zu kandidieren.

Läuft alles nach Plan, wird sie damit - neben Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt, Landtagspräsidentin Barbara Stamm und dem EU-Abgeordneten Manfred Weber - eine von vier CSU-Vizes werden. Schon allein dadurch dürfte sie deutlich stärker in den Fokus rücken. Und so hätte Seehofer einen Teil seines Ziels bereits erreicht.

Der Parteichef weiß, dass er die CSU breiter aufstellen muss, wenn sie bei den kommenden Wahlen punkten will. Deshalb ist er gerade dabei, eine Riege von Topleuten zusammenzustellen, die möglichst viele verschiedene Wählergruppen ansprechen. Ein Markus Söder etwa ist super fürs Bierzelt, eine Ilse Aigner super fürs Herz, aber Seehofer hat sich zum Ziel gesetzt, die CSU so breit aufzustellen, dass sie auch ein Großstadt-Publikum anspricht, in all seinen Facetten - also das kulturell interessierte Bildungsbürgertum genauso wie den engagierten Familienvater und die erfolgreiche Businessfrau. Eben dafür wäre Niebler in seinen Augen perfekt.

Auf ihr Mandat ist Niebler nicht angewiesen

Sie lacht, als sie das hört. "Ich freue mich natürlich über das Lob", sagt sie. "Aber ich bin lange genug dabei, um dies richtig einzuordnen." Die schlanke, hochgewachsene Frau mit den blonden Haaren ist schon allein deshalb ein unabhängiger Geist, weil sie auf ihren Job als Europaabgeordnete überhaupt nicht angewiesen ist. "Wenn ich morgen keine Lust mehr habe, würde ich übermorgen das tun, was ich vor meinem Mandat acht Jahre lang gemacht habe, nämlich wieder Vollzeit als Anwältin arbeiten", erzählt Niebler.

Dort würde die gebürtige Münchnerin auch deutlich mehr Geld verdienen. Ohnehin fragt man sich, wieso die promovierte Juristin, die in München, Genf und Edinburgh studiert und anschließend in einer Großkanzlei gearbeitet hat, eines Tages beschloss, in die Politik zu wechseln. Und dann auch noch ausgerechnet in die CSU - die nach Meinung vieler Kritiker selbst heute noch kein modernes Familienbild hat, erst recht aber nicht in den Neunzigerjahren, als Niebler dazustieß. "Es hat sich irgendwie so ergeben", sagt sie. In erster Linie lief das über ihren Mann, der damals in der Jungen Union sehr aktiv war. "Ich merkte, da ist immer was los." Bis dahin war sie politisch überhaupt nicht engagiert gewesen.

Eine Frau, die mit Ideologien wenig anfangen kann

Inzwischen aber ist Niebler nicht nur Vollblutpolitikerin, sondern hat nebenbei auch zwei Söhne bekommen. Zu ihren Herzensthemen zählt die Förderung von Frauen. So hat Niebler, die seit 2009 auchLandesvorsitzende der Frauen Union Bayern ist, erfolgreich für eine Frauenquote in der CSU gekämpft. Natürlich sei sie nicht immer mit allem einverstanden, was in ihrer Partei entschieden werde. "Aber dieses Leitbild von leben und leben lassen finde ich schon richtig."

Sogar das Betreuungsgeld befürwortet sie deshalb. "Mich stören einfach diese ideologischen Grabenkämpfe, in denen berufstätige Mütter gegen angebliche Heimchen am Herd ausgespielt werden", sagt sie, während ihr Fahrer sie zu einer Podiumsdiskussion im Landkreis Landshut fährt. Jeder solle selbst entscheiden, wie er seine Kinder betreuen möchte. Es sei falsch, wenn der Staat nur die Betreuung in öffentlichen Einrichtungen unterstütze. Niebler versichert, dass sie das nicht nur aus Parteiräson sage, sondern "weil ich davon fest überzeugt bin".

"So einfach ist die Welt nicht"

Dass sie mit Ideologien wenig anfangen kann, zeigt sich auch wenige Minuten später, als sie den Saal in dem Landgasthof betritt und mit den Gästen, unter ihnen einige Kommunalpolitiker, zu diskutieren beginnt. Leicht, das steht nach wenigen Minuten fest, wird dieser Abend nicht für Niebler. Es geht um das geplante Freihandelsabkommen TTIP, das die EU derzeit mit den USA verhandelt und das von weiten Teilen der Öffentlichkeit sehr kritisch gesehen wird. Als eine Gemeinderätin sich in Rage redet und schimpft, bei dem Abkommen seien die Lobbyisten von Anfang an "unter sich" gewesen, antwortet Niebler ruhig: Es sei ja nicht so, dass alle Interessenvertreter von Unternehmen böse seien und alle Nichtregierungsorganisationen gut. "Meine Erfahrung ist: So einfach ist die Welt nicht.

" Im übrigen wolle sie sich auch nicht dafür kritisieren lassen, mit der Wirtschaft zu reden. "Wenn wir auf EU-Ebene beispielsweise über Höchstgrenzen für den CO₂-Ausstoß von Autos reden, dann ist das meines Erachtens nicht nur ein Thema für Umweltverbände. Dann will ich schon auch wissen, welche Folgen das für die Arbeitsplätze in der Autoindustrie hat, damit wir eine vernünftige Lösung hinbekommen."

Auf der Suche nach vernünftigen Lösungen

Vernünftige Lösungen für komplexe Themen zu finden, das ist es, was Niebler an der Politik reizt. Und so wird sie auch an diesem Abend in Niederbayern nicht müde, den Besuchern des Dorfgasthofes zu erklären, dass auch sie viele Risiken bei TTIP sieht - aber eben auch jede Menge Chancen. Deshalb solle man nicht von vornherein auf die Verhandlungen verzichten, zumal TTIP nur in Kraft trete, wenn am Ende das EU-Parlament und sämtliche 28 Mitgliedstaaten zustimmten. Die Politiker würden mit Sicherheit nichts beschließen, was zur Folge hätte, dass Europas Verbraucher weniger geschützt wären als bisher - oder Europas Politiker weniger Macht hätten.

Nicht jeder im Publikum kann ihr folgen, das ist klar zu erkennen. An einer Stelle ihrer Ausführungen murmelt ein junger Mann leise: "Das hat sie jetzt aber kompliziert ausgedrückt." Er überlegt kurz. "Wobei", sagt er dann, "es ist ja auch ein kompliziertes Thema. Vielleicht macht sie das schon richtig." Eben das ist die Herausforderung: Wer komplexe Themen vernünftig diskutieren will, und genau das will Niebler, läuft Gefahr, selbst kompliziert zu werden. Der CSU-Wähler aber könne "nur einfach", sagte kürzlich mal ein führendes Mitglied der Partei. "Mit komplizierten Botschaften oder Zwischentönen braucht man dem CSU-Wähler nicht zu kommen." Sollte das stimmen, könnte das für Niebler tatsächlich ein Problem werden.

Allerdings hat Seehofer sie ja auch gar nicht für die einfachen Botschaften vorgesehen. Dafür, das darf man getrost feststellen, hat er bereits genügend andere.

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