Griechenland:29 Seiten, die es in sich haben

Griechenland: Sozialer Tsunami

Griechenland: Passanten vor einem Graffito im Zentrum Athens

(Foto: obs)
  • Auf technischer Ebene haben sich Griechenland und die Geldgeber auf Kreditbedingungen geeinigt.
  • Die Vorgaben für Athen sind hart: Regelmäßiger und gründlicher als früher sollen Reformfortschritte geprüft werden.
  • Festgeschrieben sind etwa das Ende von Steuervorteilen und Frühverrentungen. Erleichterungen für Reeder und Bauern sollen ebenfalls enden.

Analyse von Alexander Mühlauer, Brüssel

Auf 29 Seiten steht, was Griechenland jetzt zu tun hat. Es sind dicht bedruckte Seiten, und immer wieder tauchen zwei gefettete Worte auf: "prior action". Gemeint sind damit jene Gesetze, die Athen an diesem Donnerstag, spätestens am Freitag, im Parlament beschließen soll. Sie sind eine Art Vorleistung; die griechische Regierung soll den Geldgebern beweisen, dass sie es ernst meint mit den Reformen. Doch bevor Griechenland das dritte Hilfspaket in Höhe von 86 Milliarden Euro bekommt, müssen noch die Finanzminister der Euro-Staaten zustimmen - an diesem Freitag ist es so weit. Danach folgen noch Abstimmungen in mehreren nationalen Parlamenten, auch im Bundestag.

Nur zwei Wochen hat es gedauert, bis sich die Unterhändler auf das sogenannte Memorandum of Understanding einigen konnten. Dass es diesmal so schnell ging, lag vor allem am Willen der griechischen Regierung. In EU-Kreisen wird Athens neuer Finanzminister Euklid Tsakalotos sehr gelobt, er sei in den Verhandlungen viel konstruktiver aufgetreten als sein Vorgänger Yanis Varoufakis.

Einen Fehler der Vergangenheit wollen die Geldgeber beim neuen Hilfspaket auf keinen Fall machen: Sie werden die Umsetzung der vereinbarten Reformen immer wieder überprüfen - erstmals im Oktober. Diese Prüfung werde sehr umfassend sein, sagt ein mit der Sache vertrauter EU-Beamter. Die größte Unsicherheit sieht er in der wirtschaftlichen Entwicklung. Die Geldgeber rechnen damit, dass das griechische Wirtschaftswachstum in diesem Jahr um 2,3 Prozent einbrechen wird. Bei ihrer Frühjahrsprognose war die EU-Kommission noch von einem Mini-Plus von 0,5 Prozent ausgegangen. Jetzt erwartet man erst im Jahr 2017 wieder positive Zahlen.

Das akuteste Problem sind die griechischen Banken. Um sie vor dem Kollaps zu schützen, sollen laut Verhandlungskreisen zehn Milliarden Euro auf ein Sonderkonto fließen. Weitere 15 Milliarden Euro sollen dann bis zum Jahresende folgen, nachdem die EZB-Bankenaufsicht eine Art Stresstest vorgenommen hat.

Ansonsten enthält das Memorandum eine Reihe von Maßnahmen, die Athens Regierungschef Alexis Tsipras noch vor wenigen Monaten vehement abgelehnt hatte. Es sind 29 Seiten, die es in sich haben. Griechenlands Bürger müssen sich auf tiefe Einschnitte und Steuererhöhungen gefasst machen. Einkommen-, Körperschaft- und Vermögensteuern sollen erhöht und die Frührente weitgehend abgeschafft werden.

Hinzu kommen Liberalisierungen, die die Geldgeber schon seit Langem fordern - doch bislang konnte sie noch keine griechische Regierung durchsetzen. Es sind Vorgaben, die das Leben der Bürger ganz praktisch verändern werden. Etwa die Frage, wo frisch gebackenes Brot verkauft werden darf, wie lange frische Milch haltbar sein soll und wann Läden Schlussverkauf machen dürfen. Hinzu kommen Kürzungen bei Renten und im Verteidigungshaushalt. Für höhere Staatseinnahmen sollen Kraftstoff-Subventionen für Bauern in zwei Schritten abgeschafft werden. Zugleich wird die Tonnagesteuer für die mächtigen Reedereien angehoben. Die geringeren Mehrwertsteuersätze für die griechischen Inseln sollen bis Ende 2016 komplett wegfallen. Das Steuersystem soll insgesamt vereinfacht, Ausnahmen sollen abgeschafft und der Kampf gegen Steuervermeidung verschärft werden.

Tsipras verspricht den Gläubigern außerdem, so schnell wie möglich Staatsbesitz zu verkaufen. 14 Regionalflughäfen sollen für 1,2 Milliarden Euro an den deutschen Flughafen-Betreiber Fraport langfristig vermietet werden. Am Hafen von Piräus haben Chinesen Interesse, ihnen gehört bereits ein großer Terminal. Unklar ist noch, wie hoch die Erlöse für den geplanten Privatisierungsfonds ausfallen werden. Ebenfalls unklar ist, wie hoch die einzelnen Überweisungen an Athen sein werden.

Die 29 Seiten, die am Dienstagabend verschickt wurden, haben noch zwei Anhänge. Darin sind Zeitpläne aufgeführt: einmal, wenn es wie geplant klappt; und eine Alternative, wenn es doch länger dauert - und Griechenland eine Brückenfinanzierung benötigt.

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