Hamburger SV:Gefangen in der Häme-Falle

Hamburger SV: "Wenn's nicht floriert, muss man hineinspringen": Ernst Happel, HSV-Coach von 1981 bis 1987. Nach ihm florierte es nicht mehr.

"Wenn's nicht floriert, muss man hineinspringen": Ernst Happel, HSV-Coach von 1981 bis 1987. Nach ihm florierte es nicht mehr.

(Foto: Claus Bergmann/imago)
  • Die Imagewerte des HSV liegen derzeit irgendwo zwischen denen des mittleren Berti Vogts und denen von Rudolf Scharping in der Swimmingpool-Phase.
  • Die Hamburger haben sich vom ehrwürdigen und zeitweise sehr erfolgreichen Verein im tugendhaften Seeler-Weiß zum Chaosklub entwickelt.
  • Mit dem Einkauf falscher Spieler und der Einstellung ungeeigneter Trainer und Manager lässt sich das alles auch nicht mehr erklären.

Von Holger Gertz

Manchmal ist Hamburg ein Ort, an dem sich Verlierer versammeln, dann liegt die Hansestadt am Tränenmeer. Kurze Rückblende zum Jahresanfang, im ehemaligen Hauptzollamt in der Speicherstadt startet die Hamburger FDP in ihren Bürgerschaftswahlkampf. Schönes Gebäude, ziegelsteinfarben, viele junge Hamburger da, Johannes-Oerding-Bärte, Blazer, dünnlippiges Lächeln. Viele Politiker, unter anderem die Hamburger Spitzenkandidatin Katja Suding und auch die Bremer Spitzenkandidatin Lenke Steiner.

Die Hamburger FDP ist zu diesem Zeitpunkt ungefähr so weit vom Einzug in die Bürgerschaft entfernt wie die Bremer FDP, die Umfragen sind deprimierend: Hier treffen sich Mitglieder einer Partei, die es hinter sich hat. Was sich in den Vorträgen wie Zuversicht anhören soll, wirkt wie verzweifeltes Mutmachertum. Der HSV spielt auch eine Rolle. Die Bremerin Lenke Steiner gibt einen kurzen Überblick über das finanzpolitische und städtebauliche und überhaupt ewige Duell der "Nordköppe", wie sie es nennt. Sie sagt: "Hamburg gewinnt, immerhin mit Platz 14, grandios vor Bremen." Die Bremer stehen da, es ist noch Winterpause, auf einem Abstiegsplatz.

Sogar sein Image ist verbeult

Danach sind mehrere Wunder geschehen. Die Liberalen schafften es in Hamburg und Bremen in die Parlamente, Werder knabberte an der Kruste des Uefa-Cups. "Nur der HSV" ist ein Slogan, dem der HSV Ehre macht, denn nur der HSV war es, der am Ende der Saison doch fast abgestiegen wäre und sich gegen den KSC in der Relegation rettete, weil der Schiedsrichter wenigstens einmal nicht richtig hingeschaut hat. Dankbar entwarf die Merchandise-Abteilung ein T-Shirt mit zwei stehenden Glücksschweinchen, ungefähr da, wo bei Meisterteams die Sterne sitzen. Wer die Kraft hat, selbstironisch zu sein, macht eigentlich nie was verkehrt. Allerdings stellte sich heraus, dass man in Hamburg sein Schwein paniert und plagiiert bekommen kann: das Internet-Satiremagazin Der Postillon hatte einen Entwurf mit Schweinen schon vorher ins Netz gestellt.

Der HSV hat viel verloren in den vergangenen Jahrzehnten. Spiele, Spieler, inneren Wert. Jan Philipp Reemtsma, Gründer des Hamburger Instituts für Sozialforschung, hat über das Verlieren geschrieben: "Man wächst nicht an Niederlagen. Man geht an Niederlagen zugrunde, und wo man nicht zugrunde geht, wird man deformiert." Der HSV ist inzwischen so deformiert und runtergerockt, dass sich sogar sein Image verbeult hat. Er hat sich vom ehrwürdigen und zeitweise sehr erfolgreichen Verein im tugendhaften Seeler-Weiß zum Chaosklub entwickelt, normalerweise ist es umgekehrt. Die ehemaligen Chaosklubs Eintracht Frankfurt, Schalke 04, 1. FC Köln sind mehr oder weniger dauerhaft gezähmt, oder sie sind in der Unterklassigkeit versunken wie die Sechzger.

Welcher Trainer würde heute noch sagen: "Dem haben sie ins Gehirn geschissen." So urteilte Ernst Happel über Wolfram Wuttke, beide begegneten sich in den Achtzigern beim Hamburger SV, da war der Verein die Nummer eins in Deutschland, gewann 1983 unter Happel den Cup der Landesmeister, hatte aber schon 1986/87 Probleme mit dem Geld. Die Belga-Zigaretten für den alten Happel wurden in Güterzügen herangekarrt, er musste rauchen, grübeln, junge Leute einbauen. Happel sagte, was nur ein Wiener sagen kann: "Ab und zu, wenn's nicht floriert, muss man hineinspringen." Am Ende von Happels letzter Saison gewann der HSV den DFB-Pokal. Seitdem floriert's nicht mehr.

Fragen nach dem Warum und Wieso

Die Frage nach dem Warum und Wieso ist oft genug gestellt worden, aber mit dem Einkauf falscher Spieler und der Einstellung ungeeigneter Trainer und vor allem Manager lässt sich das Siechtum dieses Vereins inzwischen auch nicht mehr erklären. Falsche Spieler haben auch die Bayern gekauft, unvergessen der Stürmer Adolfo Valencia, der auf dem Trainingsplatz regelmäßig die Bälle in die Baumkronen drosch, sie nannten ihn "Entlauber". Es muss allerdings beim HSV auch Schicksal sein, etwas Größeres. Dass es Fraktionen im Verein gibt, die aufeinander einprügeln; dass Fangruppen der Spaß am Anfeuern geraubt wird; dass ein rätselhafter Investor aus den Kulissen tritt: kommt auch anderswo vor. Aber nirgendwo verdichtet sich alles derart wie beim HSV, der erdrückt wird von den Symbolen alter Zeiten.

Bundesligaspiel gegen Schalke im Mai, wenn sie verlieren, sind sie abgestiegen. Man trifft sich also am Uwe-Seeler-Fuß, einem Denkmal. Man blickt im Stadion auf die ewige Uhr, in der Bundesliga seit 51 Jahren und soundsoviel Tagen, Stunden, Minuten. Mit den Spielern läuft auch taumelnd der Dino Hermann auf, jenes nach dem Kult-Kneter Rieger - ein Denkmal! - benannte Maskottchen, eine Riesenechse, die am Ende eben doch ausgestorben ist. In der Halbzeitpause steht auf einmal Rudi Kargus - ein Denkmal!- im Verpflegungsraum, wo es Kaffee gibt, Kargus ist ein alter HSV-Torwart, der sich zum Maler weitergebildet hat. Er trägt einen schwarzen Existenzialisten-Wollpullover, er wirkt darin wie ein hagerer Geist.

Aber dann gewinnt der HSV, das Spiel der Schalker ist eine Frechheit, der HSV hat unfassbaren Dusel. Freilich findet sich kaum jemand, der dem HSV das Glück gönnt, er gönnt sich das Glück nicht mal selbst. "Wir strapazieren die Gerechtigkeitsgefühle vieler Menschen", zitiert die Zeit einige Fans.

Hamburger als "Uhrensöhne"

Christian Lindner, Chef der FDP und bewährter Abstiegskämpfer, hat zu Beginn des Jahres im Hauptzollamt gesagt, dass den Leuten die Häme noch vergehen wird, mit der sie die FDP begleiten. Häme, so hörte sich das, ist noch schlimmer als ein schlechtes Wahlergebnis, das man sich irgendwie schönreden kann. Häme ist nicht relativierbar, Häme ist im digitalen Zeitalter die Höchststrafe. Witze, mit der Faust verabreicht. Auf Youtube tanzt eine Prinzessinnenreporterin im klassischen Dreischritt die prekäre Lage des HSV. Und auch auf Nachrichtenseiten werden die traditionsfixierten Hamburger inzwischen "Uhrensöhne" genannt.

Nur der HSV scheint in der Lage zu sein, die Euphorie der Vorbereitung auf die Bundesliga in wenigen Stunden so entschlossen zu zerbröseln. Schlimm genug: eine Pokalniederlage gegen einen Viertligisten, obwohl der Schiedsrichter schon wieder stehende Schweinchen auf den Augen gehabt hat. Schlimmer: die Nummer mit den Dokumenten im Jenischpark, der angeblich entwendete Rucksack des Sportdirektors Peter Knäbel, sein Spruch, er werde sich jetzt halt den Stahlhelm aufsetzen, um da durchzukommen. Und dann auch noch ein T-Shirt im Fanshop, auf dem die Choreografie von Hertha-Fans abgebildet ist.

Manchmal konzentriert sich der Dilettantismus von Jahrzehnten in einer Petitesse, die dadurch zum Symbolbild wird. Die Geschichte mit dem Rucksack ist irre genug; die Art, wie sie gemanagt wird, macht die einen sprachlos, die anderen erst recht kreativ. Radio n-joy stellt bei Twitter geleakte Dokumente ein: 3333,33 Euro monatlich für die Glücksfee, 5121,53 monatlich für den Fußballgott, der Shitstorm-Manager bekommt erheblich mehr.

Kaum Auswege aus dem Schlamassel

Die Imagewerte der Nordköppe vom HSV liegen derzeit irgendwo zwischen denen des mittleren Berti Vogts und denen von Rudolf Scharping in der Swimmingpool-Phase. Schon damals griffen Kräfte, die heute erst recht wirken: Wer in der Häme-Falle sitzt, ist verloren. Der muss schon verdammt viel gewinnen, um da wieder rauszukommen.

Zum Glück ist es Fußball, da kann viel passieren, allerdings fängt der HSV die Saison beim FC Bayern an, ausgerechnet beim FC Bayern, wie die Reporter früher sagten, als der HSV noch Ernst Happel auf der Trainerbank sitzen hatte, der nicht das Glück mitgenommen hat, aber den Erfolg, die Haltung und auch eine Perspektive. Und über den der Hamburger Autor Kay Sokolowsky vor Jahren schon Gedanken notiert hat, die Saison für Saison an Wucht und Wahrheit nur zulegen. "Nun weiß ich wieder, wie ich Ernst Happel damals gesehen habe, eingehüllt in dicke Wolken Tobaccorauchs, unbeweglich, und da ich ihn sah, dachte ich bei mir: Es ist, als sei dies alles, das Spiel, das Stadion, das Publikum, all dieses sei nur seinetwegen da, und als müsste es vergehen, wäre er nicht mehr an seinem Platze, müsste alles verpuffen wie der Qualm aus seinem Cigaretto."

Und dann ist alles verpufft.

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