Unter falscher Flagge:Selbstgemachte "Lügenpresse"

Rechtsextreme sind oft davon überzeugt, dass sie von der "Lügenpresse" getäuscht werden. Blöd nur, wenn es dafür keine Belege gibt - außer man fingiert sie.

Von Paul Katzenberger

Es ist eine Meldung, die ans Herz rührt: "Seneki Mutalla, ein Flüchtling aus Mali, ist für die 69-jährige Silke P. der Held des Tages. Seneki hatte einen herrenlosen Koffer auf dem Bahnsteig stehen sehen und sich sofort auf die Suche nach dem Besitzer gemacht." Darüber prangt das Foto eines Schwarzen, wie er gerade einen schweren Koffer die Treppen einer Bahnhofsüberführung hinaufschleppt.

Fingierter Artikel mit gestohlenem Foto bei Facebook.

Fingierter Artikel mit gestohlenem Foto bei Facebook.

(Foto: Screenshot)

Eine solch positive Nachricht ist selten geworden - in einer Zeit, in der die hohe Zahl der Flüchtlinge aus dem Nahen Osten, Nordafrika und vom Balkan für Deutschland zu einer großen organisatorischen Herausforderung geworden ist. Das Perfide: Der bei Facebook am 29. Juli gepostete - und inzwischen gelöschte - Eintrag soll keine positive Stimmung bewirken, sondern genau das Gegenteil. Es soll Hass erzeugt werden gegen Flüchtlinge und gegen Medien, die nach Meinung des Verfassers viel zu positiv über die Asylbewerber berichten.

Denn Seneki Mutalla heißt in Wahrheit Lamin Gibba, er kommt auch nicht aus Mali, sondern aus Gambia, und einen Koffer gefunden hat er wohl sein ganzes Leben lang noch nicht. Das Foto erschien vor zwei Jahren in einem Artikel des Schwäbischen Tagblatts, der über ein Projekt der Stadt Schwäbisch Gmünd berichtete, bei dem Flüchtlinge Reisenden helfen sollten, von einem Gleis aufs andere zu gelangen.

Gepäckträger-Projekt für Flüchtlinge in Schwäbisch Gmünd.

Das echte Foto der Nachrichten-Agentur dpa: Lamin Gibba trägt am 24.07.2013 am Bahnhof in Schwäbisch Gmünd (Baden-Württemberg) einen Koffer von Bahnreisenden die Treppen einer Fußgängerbrücke hinauf.

(Foto: dpa)

Dass die Fälschung bei Facebook so übertrieben positiv klingt und fehlerhaft ist, gehört zu ihrem Konzept: Die Leser sollen auf Ungereimtheiten im Text stoßen und sich darüber erzürnen, wie dreist die "Lügenpresse" falsche Nachrichten verbreite. Die Betrüger stoßen den Sturm der Entrüstung selbst an, indem sie unter ihre eigene Falschmeldung Wut-Kommentare schreiben.

Meldungen wie die über Seneki Mutalla tauchen in den Sozialen Netzwerken derzeit gehäuft auf. Da ist von jungen Flüchtlingen die Rede, die einer obdachlosen Frau ihre Einkaufsgutscheine schenken, oder einem syrischen Flüchtling, der 50 Euro findet und sie edel im Rathaus übergibt.

Alles gelogen. Auf Falschmeldung dieser Art stoßen Internet-Surfer inzwischen sogar so oft, dass der gemeinnützige Verein Mimikama, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, den Missbrauch des Internets zu bekämpfen, von einer eigenen Gattung spricht - der "Findermeldung".

"False-Flag-Operationen"

Sind die "Findermeldungen" bei Facebook oder anderen sozialen Netzwerken zusätzlich mit fiktiven Medien verlinkt, sprechen Experten auch von "False-Flag-Operationen", also Kampagnen unter falscher Flagge. Die Aufwiegler laden sich aus echten Meldungen Fotos herunter, verfassen einen erfundenen Text und kreieren ein fiktives Medium, auf das verlinkt wird, um schließlich die Falschmeldung selbst in Frage zu stellen.

Für diese Art der Täuschung gebe es historische Vorläufer sagt der Kommunikationswissenschaftler Christoph Neuberger von der Ludwig-Maximilians-Universität München: "Schon im Zweiten Weltkrieg wurden Flugblätter oder Zeitungen unter falschem Namen verfasst, um die Bevölkerung des Gegners zu täuschen."

Im Internet seien die "Operationen unter falscher Flagge" aber ein recht neues Phänomen, vor allem im deutschen Sprachraum, so Neuberger: "Es steckt schon eine besondere Perfidie darin, gegen ein Angriffsobjekt Stimmung zu machen, das man sich selber geschaffen hat."

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